Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Der Rabulist und der Landprediger

Für das schöne Spiel Scrabble gibt es nun ein Gendersternchen.

Glosse von Peter Haacke, Starnberg

Ein Klassiker des bildungsbeflissenen Bürgertums ist das schöne Spiel Scrabble: ein bisschen in die Jahre gekommen vielleicht, aber stets unterhaltsam. Und ein Klassiker ist nicht unmodern. Für Scrabble, seit 1948 weltweit mehr als 100 Millionen Mal in 30 Sprachen verkauft, wurde allein für die Deutschen nun eine echte Neuerung ersonnen: Zum Welt-Scrabble-Tag am 13. April kam ein Gendersternchen-Stein hinzu. Zehn Punkte ist diese neusprachliche Gleichberechtigung wert - ebenso viel wie ein Q oder Y.

Grund genug, das Spiel wieder hervor zu kramen. Die Familie mault zwar ("Du legst immer Wörter, die es nicht gibt."), aber alle spielen mit - nach neuen Regeln. Doch es ist nur eine Frage der Zeit bis zur ersten Diskussion. Auslöser: Das Wort "Rabulist", stolze 36 Punkte. Erstaunen in der Runde: "Das gibt es nicht", plärren die Kinder, Mutter meint: "Lügner, Geschichtenerzähler - das hätte ich durchgehen lassen. Aber das ist dann ein Fabulist!" Aber nein, doch, das gibt es: "Ein Rabulist ist jemand, der..." Weiter kommt man nicht. Die Tochter wirft ein: "Kabulist vielleicht? Einer, der in Kabul wohnt?" Immerhin, das gäbe drei Punkte mehr. "Nein, nein", hört man sich sagen, und erinnert sich an ein womöglich viel zu wenig beachtetes Werk des berühmten Autors Frans Michael Franzén von 1842: "Der Rabulist und der Landprediger".

"Meinst du vielleicht Nabulist?", kräht nun der Jüngste dazwischen, und zückt sein Tablet. "Nabulist is not a valid scrabble word, steht hier", sagt er. "Don't play the word nabulist." Da mag er recht haben, aber: "Es gibt das Wort Incunabulist", entgegnet man. Das kommt nämlich von den Inkunabeln und hat irgendwas mit frühzeitlichem Buchdruck, beweglichen Lettern und der Gutenberg-Bibel zu tun. Doch darum geht's gar nicht, außerdem fehlen "INCU" und ein N. Der Kleine gibt aber nicht auf mit seinem kompakten Halbwissen. "Quabulist gibt's auch nicht, wie wär's mit Tabu-List?" Ja, könnte gehen. Aber Scrabble hat keine Bindestriche.

Der Disput nimmt dadaistische, wenn nicht gar gagaistische Züge an. "Was ist denn ein Rabulist?", fragt schelmisch nun die Gattin. "Jemand, der in spitzfindiger, kleinlicher, rechthaberischer Weise argumentiert und dabei oft den wahren Sachverhalt verdreht", zitiert man den Duden. "Ah, verstehe", sagt die Dame des Hauses, "ein klugscheißender Wortverdreher also." Kühl lächelnd zückt sie den Genderstein - und vollendet das Wort auf dem zweiten Dreifach-Wortwert-Feld zur "Rabulist*in". Macht unschlagbare 198 Punkte. "Na gut, Frau Schlau", heuchelt man anerkennend, aber schwer gedemütigt, "passt perfekt: Das Wort ist wie gemacht für dich..."

Übrigens: Das "*IN"-Steinchen kann kostenlos bei Mattel online bestellt werden. Dazu heißt es: "Mit dem Genderstein bei Scrabble haben wir die Chance, den Stein des Anstoßes für eine gendergerechte Sprache zu geben. Er ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich die Spielregeln in der Gesellschaft verändert haben."

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