Prozess:Schwarzfahrer-Prozess: Kontrolleure können sich nicht an Angeklagten erinnern

Starnberg Schwarzfahrerprozess Manuel Erhardt und Andreas Schachtner

Die Politaktivisten Andreas Schachtner (links) und Manuel Erhardt im Starnberger Amtsgericht: Die beiden Gilchinger werden noch öfter kommen.

(Foto: Nila Thiel)

Am zweiten Verhandlungstag sagen drei Kontrolleure aus. Einer von ihnen verwechselt sogar den Angeklagten aus Gilching mit dem Verteidiger.

Von Michael Berzl

Reingefallen. Zu offensichtlich muss es dem Zeugen erschienen sein, wer hier der Angeklagte sein müsste und wer der Verteidiger. Der junge Mann mit blau gefärbten Haaren, Unterlippenpiercing und Kapuzenpulli oder der daneben mit Vollbart, dunkler Jacke und schwarzer Hose, der eifrig mitschreibt und die Strafprozessordnung vor sich auf dem Tisch liegen hat. Auf die Frage von Jugendrichter Ralf Jehle an den Zugbegleiter, wen er nun damals vor zwei Jahren ohne Fahrkarte erwischt habe, antwortete der 46-Jährige: "Der Linke" müsse das wohl gewesen sein. Falsch geraten. Der Blauhaarige, der von dem Zeugen aus gesehen links sitzt, tritt hier als Verteidiger auf. Sollte diese Verwechslung beabsichtigt gewesen sein, wäre das Manöver jedenfalls gelungen.

Der 20-jährige Manuel Erhardt aus Gilching ist vor dem Starnberger Amtsgericht als Schwarzfahrer angeklagt. Die Staatsanwaltschaft listet insgesamt 23 Fälle seit zwei Jahren auf, in denen der junge Mann ohne gültigen Fahrschein in einer S-Bahn oder einem Regionalzug erwischt wurde. Stattdessen hat er stets ein Schild dabei mit der Aufschrift: "Ich fahre ohne gültige Fahrkarte". Das Wort "ohne" ist unterstrichen, damit es ja kein Missverständnis gibt. Denn die Logik des Angeklagten klingt so: Er weist plakativ darauf hin, dass er schwarz fährt, darum könne ihm doch niemand das "Erschleichen von Leistungen" vorwerfen, wie es in der Anklage heißt.

Zu den Gerichtsterminen wird Erhardt begleitet von Andreas Schachtner, der ebenfalls aus Gilching kommt. Der 27-Jährige ist gelernter Mechatroniker und kein studierter Jurist, aber als sogenannter Laienverteidiger bundesweit unterwegs, um Mandanten aus der politisch linken Szene zu vertreten. Die Rolle von Richtern sieht er kritisch: "Das sind die Leute, die meine Freunde in den Knast schicken", sagt er nach der Verhandlung. Aber er hält sich an die Regeln.

Er hat reichlich Erfahrung vor Gericht und weiß die Möglichkeiten der Strafprozessordnung einzusetzen. So stellt er systematisch nach jeder Befragung eines Zeugen den Antrag, die Aussage schriftlich zu protokollieren. Auch am zweiten Verhandlungstag am Donnerstag, als drei Kontrolleure nach Starnberg geladen sind. Da wird erneut deutlich, dass der Angeklagte davon profitiert, dass die meisten Vorfälle schon lange zurück liegen. So muss Amtsrichter Jehle immer wieder zu Protokoll geben, woran sich Zeugen nicht mehr erinnern.

Zum genauen Sachverhalte könne er leider nicht mehr viel sagen, erklärt ein 42-Jähriger von der DB-Sicherheit, ein 35-Jähriger kann sich vor allem an das Schild erinnern, und der 46-jährige Zugbegleiter identifiziert sogar den Falschen als Schwarzfahrer. Über solche Angaben dürfte Laienverteidiger Schachtner innerlich jubeln, doch er lässt sich kaum etwas anmerken.

Der Prozess gegen den Politaktivisten Erhardt, der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr fordert und mit Schild statt mit Fahrkarte in der S-Bahn sitzt, wird noch lange andauern. Der Angeklagte steht wegen 23 Fällen vor Gericht, 23 Kontrolleure sollen als Zeugen nach Starnberg kommen. Vier waren bisher da, jeweils drei lädt Richter Jehle zu den Terminen im zweiwöchigen Turnus ein.

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