Mit dem Pilz-Experten auf Tour:Treibjagd auf die Schwammerl

Lesezeit: 4 Min.

Um die 40 Leute waren bei der ersten vom LVB organisierten Pilzwanderung mit Markus Scherl (vorne) dabei. (Foto: Georgine Treybal)

An einem Vormittag lernen Familien und Senioren mit dem Landesbund für Vogelschutz im Wald bei Gilching dutzende Pilzarten kennen – und, wie man die essbaren am besten verarbeitet.

Von Armin Greune, Gilching/Schöngeising

Zum Glück gehören sie nicht zu den scheuesten Geschöpfen des Waldes, der Fluchtinstinkt ist bei Schwammerln nicht so ausgeprägt. Denn die Gruppe, die mit Markus Scherl vom Jexhof aus in den Forst westlich von Gilching aufbricht, ist weithin zu hören. 40 Anmeldungen waren eingegangen, mit 25 Teilnehmern für die geführte Pilzwanderung hatte der Veranstalter gerechnet. Worauf die Kreisgruppe Starnberg im Landesbund für Vogelschutz (LBV) noch zusätzliche Betreuung rekrutiert hat, um die zur Zerstreuung neigende Gruppe auf Hörweite zusammenzuhalten.

Von vier bis jenseits der 60 reicht das Alter in der Gruppe, wobei die Kleinsten vielleicht mit dem größten und sicher dem lautesten Enthusiasmus bei der Sache sind. Ob Schätze, Ostereier oder Pilze: Suchen ist für sie ein Heidenspaß. Zudem sind sie den Objekten der Begierde perspektivisch am nächsten. Am Ende der Exkursion lässt sich feststellen, dass die Begeisterung der Kinder selbst nach drei Stunden nicht nachgelassen hat. Ihre durchgehende Entdeckungsfreude und Wissbegierde übertragen sich auf die Eltern und versetzen auch die übrigen Erwachsenen in gute Laune.

Nachdem Günther Paschek vom LBV-Vorstand die Teilnehmer am Bauernhofmuseum begrüßt hat, geht es im strammen Marschtempo am Geopfad entlang Richtung Wildmoos. Die mit Säcken und Körben ausgestattete Karawane fällt auseinander. Am Waldrand muss Markus Scherl erst mal auf um Hunderte Meter abgehängte Nachzügler warten.

Der Experte vom Münchner Pilzverein nutzt die Zeit und reicht den ersten Schwammerl herum, „dass d’ Leit alle amoi schnuppern kenna“. Den charakteristischen Geruch erkennt zunächst niemand. Als Scherl das Exemplar als Rosa Rettich-Helmling identifiziert, kommt das Aroma doch einigen vertraut vor. Ein später eingesammelter Anis-Champignon trägt freilich eine viel markantere Duftnote und auch die getrocknet als Gewürz genutzten Habichtspilze riechen ziemlich kräftig.

Die Pilzwandergruppe zerfällt im Gilchinger Wald sehr schnell in ihre Bestandteile. (Foto: Inge Döpfmer/oh)

Der Zeitpunkt für die Bestimmungstour ist optimal gewählt: An diesem neblig-kühlen Oktobermorgen ist der Waldboden übersät mit Pilzen. Gerade gäbe es „eine außergewöhnliche Artenvielfalt“, bestätigt Scherl. Er kann zwar keine Ausbildung als Pilzberater, -coach oder -sachverständiger vorweisen, seine Qualifikation steht trotzdem außer Zweifel, schließlich hat er sein Wissen vom Vater aus der Oberpfalz geerbt und der 39-jährige Germeringer sammelt seit der frühesten Kindheit Schwammerl.

Als kompetenter Autodidakt leitet er die erste geführte Pilzwanderung, die der Starnberger LBV veranstaltet. Der Naturschutzverband kümmert sich ja längst nicht mehr bloß um Vögel, sondern auch um Amphibien, Insekten und ganze Biotope. Das im Corona-Lockdown und mit dem Trend zu veganer Ernährung stark gewachsene Interesse am Pilzsammeln lässt sich auch nutzen, um Naturverständnis zu fördern. Dass der LBV mit diesem Angebot offene Türen einrennt, zeigt sich am großen Andrang zur Premiere.

Der Name sagt nicht immer etwas über die Giftigkeit der Pilze aus

Den Titel „Wanderung“ hat die Aktion allerdings nur bedingt verdient. Nach dem rasanten Start reicht es, nur etwa 500 Meter in den Wald vorzudringen, um in den folgenden Stunden einer schier unendlichen Zahl unterschiedlichster Pilze zu begegnen. Rasch wird auch den unbedarftesten Laien klar, dass sich giftige und ungiftige Arten generell weder an Form noch Farbe unterscheiden lassen. Nicht mal die Namen geben eindeutige Hinweise: So sind Totentrompete und Hexenröhrling trotz der schaurigen Assoziationen sehr gute Speisepilze – der so küchenfreundlich klingende Rettich-Helmling aber kann Verwirrungszustände und Brechdurchfälle hervorrufen. Die Bauchwehkoralle wiederum hält, was ihr Name verspricht und auch der Gelbe Knollenblätterpilz wird seinem Ruf gerecht, wenngleich sein Gift nicht so lebensbedrohend ist, wie das der weißen und grünen Verwandten.

Am Beispiel eines Stinkenden Schirmlings erklärt Scherl, dass man alle kleinen Schirmlinge meiden sollte, weil sie ungenießbar oder giftig sind. Ganz anders verhält es sich mit dem Riesenschirmling, der ausgezeichnet schmeckt. Auf der Tour lernt man den auch als Parasol bekannten Schwammerl in allen Wuchsphasen kennen. Er legt eine erstaunliche Entwicklung zurück: von einer erdfarbenen, birnenförmigen Knolle über einen ellenlangen Trommelschlegel bis zur gestielten, braun geschuppten Scheibe, die größer als eine Langspielplatte werden kann.

Der Parasolpilz macht eine erstaunliche Wandlung durch. Anfangs ist er eine erdfarbene, birnenförmige Knolle ... (Foto: Inge Döpfmer/oh)
... halbwüchsig sieht er aus wie ein ellenlanger Trommelschlegel ... (Foto: Inge Döpfmer/oh)
... und schließlich wird aus ihm eine gestielte, braun geschuppte Scheibe, die größer als eine Langspielplatte werden kann. (Foto: Inge Döpfmer/oh)

Ritter- und Helmlinge, Kremp- und Schleierlinge, Schirm- und Trichterlinge, Blätt- und Porlinge, Stäub- und Schmierlinge, Schneck-, Milch- und Tintlinge: Die Pilzfamilien schwirren einem bald im Kopf herum. Zum Abschluss werden im Garten des Jexhofs noch einmal die Funde verglichen und besprochen. Scherl sammelt die E-Mail-Adressen der Teilnehmer ein, die zur nächsten Tour wieder eingeladen werden wollen. Mit seinen Exkursionen spreche er zwei unterschiedliche Gruppen an: Die einen seien bloß daran interessiert, dass er seine „Stellen“ ausplaudert, an denen reiche Steinpilz-Ernten zu erwarten sind. „Die anderen wollen ihr Wissen über das enorme Artenspektrum im Reich der Pilze erweitern“, sagt Scherl. Die sind unter den Gästen des LBV eindeutig in der Mehrheit. Und doch war die Freude über jeden der begehrten Edel-Schwammerl groß. Scherls anfangs augenzwinkernd gegebenes Versprechen, dass „jeder seinen Steinpilz finden wird“, konnte allerdings nicht bei allen eingelöst werden.

Aus dem kurzweiligen Vormittag lassen sich fürs Selbersammeln vor allem drei praktische Lehren ziehen: die Schwammerl nie abschneiden, sondern immer mit der Stielbasis vorsichtig aus dem Boden drehen. Nur so lassen sich manche Arten zweifelsfrei bestimmen. Um das Myzel – das unterirdische Geflecht, das den eigentlichen Pilz ausmacht – zu schützen, bedeckt man das Loch, das der Fruchtkörper hinterlassen hat, mit Moos, Laub oder Erde.

Das Objekt der Begierde: ein kleiner Steinpilz (Bildmitte), umzingelt von Pilzsuchern. (Foto: Armin Greune)

Regel Nummer zwei lautet: Die Ernte nie in eine Plastiktüte stopfen, weil man sonst daheim nur noch einen unappetitlichen Matsch vorfindet. Das gilt besonders im Umgang mit den zarten Schopftintlingen, die bei der Reife zur schwarzen Soße zerlaufen. Im jungen Zustand sind sie besonders delikate Speisepilze – man sollte sie aber nur einsammeln, wenn man sicher ist, sie sofort verarbeiten zu können. Zum Verstauen der Beute eignen sich Stoffsäckchen besser – am besten aber ein Korb, wo die empfindlicheren Stiele und Hüte am wenigsten Druck ausgesetzt sind.

Und drittens noch eine wesentliche Erkenntnis zum Sammelerfolg: Zur richtigen Zeit, wenn das Jahr fortgeschritten ist und die Bodenfeuchte stimmt, wachsen in fast jedem Wald jede Menge Pilze zum Ernten und Bestimmen. Schließlich sollte man auch die Konkurrenz durch andere Sammler nicht überschätzen. Selbst, wenn schon zwei Dutzend Suchende ein Waldstück abgegrast haben, lassen sich dort noch manchmal Steinpilze entdecken. Ihr Fluchtverhalten mag verbesserungswürdig sein, aber ihre Scheu äußert sich als Meister der Tarnung.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusHistorische Kartengrüße
:So schön war es am Starnberger See

Die klassische Ansichtskarte gilt als antiquiert, dabei sind gerade historische Karten kleine Kunstwerke auf Karton. Eine Reise im Kleinformat zu den Sehenswürdigkeiten an den Ufern des Fürstensees.

Von Sabine Bader, Nila Thiel und Georgine Treybal

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: