Generationen:Das Leben der Ahnen

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Zuletzt hat sich Axel Wagner (rechts) noch mit der Kunst seiner Großmutter beschäftigt. "Rhizome" hieß die Ausstellung im Dießener Taubenturm. Nun prangert er die Ausbeutung der Arbeiter in Katar an. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Im Schondorfer Taubenturm spüren fünf Menschen der Kunst ihrer Vorfahren nach. Die Ausstellung "Rhizome - Ich - Ahne" nicht ist nur eine Hommage an die Vorfahren, sondern auch eine Spurensuche nach der eigenen Identität.

Von Katja Sebald, Dießen

Wer jemals im Garten Giersch oder Ackerwinde bekämpft hat, der weiß, was ein Rhizom ist: ein vitales wurzelartiges Geflecht, das an jeder Spitze unbegrenzt weiterwächst, während ältere Teile allmählich absterben. Im übertragenen Sinn wird der Begriff auch in der Philosophie verwendet, als Metapher für ein vielschichtiges Denkmodell. "Rhizome - Ich - Ahne" heißt nun eine sehr sehenswerte Ausstellung von Andreas Kloker, Axel Wagner, Christian Wahl, Christoph Möller und Janós Fischer im Dießener Taubenturm. Alle fünf haben künstlerisch tätige Ahnen und gehen der Frage nach, wie diese Vorfahren sie, jenseits der Genetik, in ihrem eigenen Schaffen beeinflussen.

Andreas Kloker fand technische Zeichnungen und Modelle seines 1893 geborenen Großvaters. Der "Malermeister, Maler, Erfinder und Menschenfreund" starb 1956 in Schondorf. Er fuhr mit einem selbst konstruierten Eissegler über den See und meldete einen "Luftkamin zu Gesundhaltung von Räumen" als Patent an. Im Ersten Weltkrieg porträtierte er seine Kameraden, später malte er die Landschaft am Westufer des Ammersees. Der 1948 geborene Andreas Kloker absolvierte selbst im Familienbetrieb eine Malerlehre, bevor er Künstler wurde. Installationen und Performances bestimmen heute seine Arbeit. Ausgehend von der auf einer kleinen Plakette formulierten Frage "Ist da was" zeigt er in einer Art Assoziationskette seinen eigenen künstlerischen Weg.

Der Großvater von Andreas Kloker, Erwin Forster, zeichnete daheim in Schondorf gerne den Ammersee - so wie hier um 1940. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Axel Wagner wird noch einmal zum Kind und zeigt gleichzeitig ein Stück deutscher Geschichte, wenn er seine 1914 in Hermannstadt geborene Großmutter Helga Wagner in den Taubenturm holt. Nach der Ausreise aus Rumänien bemalte sie jahrelang in einer Münchner Keramikmanufaktur die Sparscheine, die in der Wirtschaftswunder-Fernseh-Ratesendung "Was bin ich?" zum Einsatz kamen. Mit eigenen Zeichnungen beantwortet Wagner Tierzeichnungen seiner geliebten "Oma" und mit einem Video von seiner Joggingstrecke am Ammersee ihre gemalte Waldlandschaft in Siebenbürgen.

Ein Originalschwein aus Robert Lembkes Rateshow 'Was bin ich', gestaltet von Helga Wagner, der Großmutter von Axel Wagner. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eva Weiß kam 1924 in Muncács, damals in Ungarn, heute in der Ukraine, zur Welt. Sie entstammte einer jüdischen Fabrikantenfamilie und überlebte den Krieg, weil sie in Budapest untertauchen konnte. Sie emigrierte 1965 mit ihren Kindern nach Deutschland und starb 2008 in Dießen. "Malen war für sie stets ein Mittel der Lebensbewältigung", sagt Janós Fischer über seine Mutter.

Wie stark, wie schwach war die eigene Mutter?

Als die gröbsten Probleme gelöst waren, entfiel diese Notwendigkeit und sie hörte auf zu malen. Einige wenige frühe Gemälde konnten Freunde aus dem damals noch sozialistischen Ungarn mitbringen. Die mit schöner kräftiger Geste gemalten und zugleich sehr sensiblen Bilder wirken, brutal aus dem Rahmen geschnitten, selbst wie verwundet. Fischer stellt ihnen zwei sehr zurückhaltende eigene Arbeiten gegenüber und betont damit noch ihre starke, anrührende Aura.

Die Mutter von Janós Fischer, Eva Weiß, war Jüdin. Den Krieg überlebte sie versteckt in Budapest. Im Selbstbildnis offenbarte sie ihre verletzliche Seite. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Keramiker Christoph Möller erzählt mit den Fragmenten aus dem Leben seines Großvaters, des Berliner Malers Otto Möller, ebenfalls ein Kapitel deutscher Geschichte. Keine Ausstellungsmöglichkeit während der NS-Zeit, die Frau früh verstorben, ein Sohn im Zweiten Weltkrieg gefallen, am Ende einfach geschwiegen und irgendwie weitergelebt. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mein Vater von seinem Vater, von seiner früh verstorbenen Mutter, seinem im Krieg gefallenen Bruder gesprochen hätte", schreibt Christoph Möller.

War es der Großvater, der ihn zur Kunst brachte? Oder doch er selber?

Bei seiner Entscheidung, Keramiker zu werden, habe der künstlerisch tätige Großvater, an den er nur wenige Erinnerungen hat, keine Rolle gespielt. Ein einziges Foto, auf dem der Enkel wie versehentlich mit aufgenommen erscheint, hat sich erhalten. Die späten Gemälde des Großvaters, auf denen er sich selbst und einen kleinen Jungen, der das Geschehen beobachtet, immer wieder abbildet, sind mindestens so geheimnisvoll wie die abstrakte Keramikplastik, die Christoph Möller dazu ausstellt.

Die Arbeiten seiner Mutter bringt Christian Wahl auf eine Spurensuche. Auch er selber trägt einen Sinn für Kunst in sich - hier ausgedrückt in einer Collage. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Auch die Mutter von Christian Wahl, 1917 in Berlin geboren und als Pressefotografin ausgebildet, nach dem Krieg geschieden und neu verheiratet, ist ihrem Sohn ein Rätsel geblieben. Eine Kiste mit alten Fotos, Zeichnungen und Radierungen, ein paar Bilder bilden nun den Ausgangspunkt für eine heftige und spürbar schmerzhafte Spurensuche, bei der Wahl vor Ort ein Gemälde seiner Mutter weiter bearbeitet.

Die Ausstellung ist nur noch am kommenden Samstag, 5. November und Sonntag, 6. November von 14 bis 18 Uhr zu sehen.

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