Süddeutsche Zeitung

Sammler aus Gauting:Das gespenstische Klimpern

Der 18-jährige Sandro Neugebauer sammelt Musikinstrumente, die wie von Geisterhand spielen. Seine Liebe hat eine Drehorgel auf dem Oktoberfest entfacht. Nun träumt der Gautinger von einem Museum.

Von Carolin Fries

Die Papierrolle ist eingelegt, das Gebläse eingeschaltet, die Vorführung kann beginnen. Erst erklingt lediglich das Rauschen des Luftzugs, doch plötzlich beginnt die Klaviertastatur wie von Geisterhand zu spielen. Das Klimpern des Kimball Electromatic aus dem Jahr 1970 erinnert an einen alten Westernfilm, doch tatsächlich steht das selbstspielende Instrument im Wohnzimmer von Sandro Neugebauer in Hausen bei Gauting. Der 18-Jährige schiebt mit den Fingerspitzen vorsichtig das Papier in den Einzug, überwacht die Mechanik mit voller Aufmerksamkeit. Er wird an diesem Nachmittag noch mehrere seiner Musikvollautomaten vorführen, die fast das komplette Wohnzimmer einnehmen. "Jeder von uns hat einen Vogel. Das ist meiner", sagt er.

Mit "uns" meint er die 809 Mitglieder der Gesellschaft für selbstspielende Musikinstrumente (GSM), der er als jüngstes Mitglied beigetreten ist. Neugebauer hat dort Gleichgesinnte gefunden, unter anderem Fred Gerer aus Tutzing. Sie verbindet die Liebe zu Musikautomaten, "die Vorgänger der Robotik", wie Neugebauer es formuliert. Als Tonträger dient diesen Papier oder Messing, die Automatik besteht aus Holz, Leder, Leim. "Viele dieser Instrumente haben zwei Weltkriege überstanden", sagt Neugebauer andächtig. "Das muss man doch für die Allgemeinheit erhalten."

Sandro Neugebauer war fünf Jahre alt, als es um ihn geschah, wie er erzählt. Bei einem Besuch auf der Wiesn mit seinen Großeltern entdeckte er einen Drehorgelspieler, "da war die Liebe geweckt". Damals spielte der Junge bereits Akkordeon, er hatte es sich selbst beigebracht. "Im Kindergarten hat er immer seine Gruppe beim Singen begleitet", erinnert sich Oma Helga Krendl voller Begeisterung. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sie noch ihre Wohnzimmereinrichtung gegen die Begeisterung ihres Enkels würde verteidigen müssen. Denn dieser fasste damals den Entschluss, selbstspielende Musikinstrumente zu sammeln. "Der Gedanke, ein Instrument automatisch erklingen zu lassen, fasziniert mich", sagt er. Wenn er auf seiner Walzenspieluhr aus dem Jahr 1801 "Die schöne Polin" aus der Operette "Der Bettelstudent" laufen lässt, dann leuchten seine Augen wie die eines kleinen Jungen. Insgesamt acht Stücke hat er auf der Walze. Auch sein Polyphon von 1810 präsentiert er wie einen Schatz: Messingscheiben mit Noppen, welche beim Drehen die Tonkämme anreißen, führen dazu, dass aus dem Gerät Musik erklingt. "Man kann das alles günstig kaufen", sagt er. Damit es allerdings funktioniert, bedürfe es "viel Geduld, ein paar Schraubenzieher und Ruhe".

Natürlich hat Sandro Neugebauer neben seinen 15 Akkordeons auch einen sogenannten Tanzbären, ein automatisches Akkordeon. Er packt sich den Kasten auf den Schoß und schiebt den Balg auseinander und zusammen, Tasten muss er keine drücken. Eine Abtastleiste öffnet die Ventile, wie es die Lochbandrolle vorgibt. "Was eine Frau im Frühling träumt" erklingt, "einer meiner Favoriten", so Neugebauer. Mit der modernen Musik könne er nicht viel anfangen, das sei "Musik aus der Konserve". Er schwärmt für die "Comedian Harmonists", kann einen Foxtrott von einem Walzer unterscheiden, ist ein großer Fan von Johannes Heesters. Wenn der 18-Jährige für einen Auftritt als Akkordeonist, Pianist oder mit seiner Drehorgel gebucht ist, dann zieht er immer Frack und Zylinder an, nur beim Trachtenverein macht er eine Ausnahme. "Ich bin ein bisschen Traditionalist".

Täglich widmet er sich seinem Hobby, kaum dass er nach seinem Berufspraktikum zurück bei den Großeltern ist. Viermal in der Woche spielt der 18- Jährige alle Instrumente durch, damit sie intakt bleiben. Nebenbei bastelt er an einem Orchestrion. Dafür hat er einen Holzkasten mit einem Akkordeon, einem Becken und einer Basstrommel auf ein altes Klavier gesetzt, dessen Innenleben er für seine selbstkonstruierte Steuerungseinheit ausgebaut hat. Über ein Gebläse sollen die Instrumente betrieben werden, die Schläuche hat Neugebauer bereits verlegt - auch zu einer Snare Drum im Fuß des Klaviers. Die Ton-Informationen liegen auf einem papiernen Lochstreifen mit 88 Löchern. Spätestens an Weihnachten will er sein Orchestrion, das bis wenige Zentimeter unter die Wohnzimmerdecke reicht, erklingen lassen, denn: "Es fehlen nur noch mehr ein paar wenige Einzelteile." Danach will er sein Pianola aus dem Jahr 1925 restaurieren, das aus Platzgründen bei einem Orgelbauer eingelagert ist - die Großmutter war einfach nicht bereit, den Wohnzimmertisch rauszuschmeißen. "Eigentlich bräuchte es ein Museum für Musikautomaten in der Nähe", sagt Neugebauer. Das wäre sein großer Traum. Gleich danach kommt eine Raffin-Konzertdrehorgel, "der Rolls-Royce unter den Drehorgeln", wie er sagt.

Sandro Neugebauer spielt beim Christkindlmarkt in Pöcking am Samstag, 30. November, von 16.30 bis 17.30 Uhr an der Kirche Weihnachtslieder mit seiner Drehorgel.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2019
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