München im Frühjahr 1972, die Stadt ist im Olympiafieber. In wenigen Monaten beginnen die Spiele. Und damit Sportler, Zuschauer und Besucher aus aller Welt schnell und sicher von A nach B kommen, ist der öffentliche Nahverkehr in den zurückliegenden Jahren enorm ausgebaut worden. U-Bahnschächte wurden unter der Stadt hindurchgebohrt, im Umland wird das S-Bahn-Netz erweitert.
Im Zuge dessen haben die Planer damals eine Entscheidung getroffen, die so mancher Kommunalpolitiker im Landkreis Starnberg heutzutage gerne rückgängig machen würde: Am 1. Mai 1972 wird auf der Linie S8 der Bahnhof Weichselbaum vom Netz genommen. Die Fahrgastzahlen rechtfertigten den Weiterbetrieb nicht. Es gab damals ja auch kaum etwas dort: ein paar Häuser, ansonsten viel Wald und Wiese.
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen. Oberpfaffenhofen ist inzwischen zu einem großen Wirtschafts- und Forschungszentrum gewachsen, rund 13 000 Menschen arbeiten dort. Die müssen irgendwie hin- und wieder wegkommen. Reisen sie öffentlich aus München an, kommen sie mit der S-Bahn bis nach Weßling oder Gilching und steigen dort in den Bus um. Oder sie nehmen gleich das eigene Auto.
Weil das aber zum einen verkehrspolitisch nicht gewollt ist und viele in Oberpfaffenhofen ansässige Unternehmen ihren Mitarbeitenden gerne eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr bieten würden, gibt es aus Starnberg seit Längerem Bestrebungen, den kurz vor der Olympiade stillgelegten S-Bahnhof Weichselbaum wiederzubeleben. „Eine direkte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wäre für uns ein erheblicher Standortvorteil“, erklärt Christoph Winkelkötter, Chef der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT). Landrat Stefan Frey (CSU) ergänzt, der zusätzliche S-Bahnhalt würde „eine erhebliche Verkehrsentlastung“ mit sich bringen.


Die Zeichen dafür könnten schlechter stehen. Zwar ist der Investitionsbedarf im Verkehrssektor bekanntlich hoch. Viele Sanierungen und Bauvorhaben warten auf ihre Umsetzung, Weichselbaum ist da längst nicht allein. Die zweite Stammstrecke, der Erdinger Ringschluss - all das wird teuer. „Im Moment ist das Geld nicht da“, sagt auch GWT-Chef Winkelkötter über Weichselbaum. Eine Machbarkeitsstudie im Auftrag des Bayerischen Verkehrsministeriums bescheinigt dem Projekt jedoch „eine positive Fortführungstendenz“. Das bedeutet: Wägt man den Nutzen des zusätzlichen Halts gegenüber den Kosten ab, kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass ein Stopp in Weichselbaum verkehrspolitisch sinnvoll ist.
Die längere Fahrzeit, die sich durch den zusätzlichen Halt ergibt, sei mit den aktuellen Fahrplänen vereinbar - allerdings bedarf es hierfür wohl eines zusätzlichen Abstellgleises sowie eines zweigleisigen Ausbaus des Abschnitts zwischen Seefeld-Hechendorf und Steinebach. Die Kosten für all diese Vorhaben dürften sich auf mindestens 70 Millionen Euro belaufen. Dennoch heißt es in der Studie: „Es überwiegt der verkehrliche Nutzen aus einer verbesserten Erschließung des Einzugsgebiets der neuen Station gegenüber den Nachteilen aus der Fahrzeitverlängerung durch den zusätzlichen Halt.“
„Es hängt davon ab, wie die Bahn ihre Mittel einsetzt“
Ab wann die Züge wieder in Weichselbaum halten könnten, ist derzeit nicht abzusehen. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) hatte im August 2023 seine Unterstützung für das Projekt zugesichert und erklärt, der Freistaat unterstütze „verkehrlich sinnvolle Maßnahmen, die den ÖPNV vor Ort verbessern und damit den Wirtschaftsstandort stärken“. Im Fall der nun vorliegenden positiven Kosten-Nutzenanalyse hatte Bernreiter dem zusätzlichen Halt in Weichselbaum ab 2028 eine „echte Realisierungschance“ attestiert. Landrat Frey hingegen rechnet in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht mit einer Eröffnung. Und ob der Bahnhof jemals kommt? „Das hängt davon ab, wie die Bahn ihre Mittel einsetzt“, so der Kommunalpolitiker.
Für GWT-Chef Winkelkötter wäre die Station in Weichselbaum für die Wirtschaft im Landkreis von großer Bedeutung. In Zeiten knappen Wohnraums, Fachkräftemangels und verstopften Straßen sei es essenziell, qualifizierten Mitarbeitern einen möglichst stressfreien Arbeitsweg zu ermöglichen. „Wir müssen was bieten“, sagt Winkelkötter. Gerade für Pendler aus München sei eine gute Anbindung wichtig. Ansonsten würde mancher Mitarbeiter oder manches Unternehmen womöglich an einen besser angebundenen Standort abwandern und seine Gewerbesteuer dort entrichten. Diese würde dem Landkreis Starnberg dann fehlen. Und das wegen einer vor mehr als 50 Jahren getroffenen Entscheidung.