Fünfseen-Filmfestival:Vom Rückzug aus dem Leben

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Daria Kuschev zeichnet sich durch eine einfühlsame, leise und poetische Art und Weise aus, sich Themen zu nähern. Für ihre Dokumentation über die Arbeit von zwei Klinik-Clowns in einem Kinderhospiz erhält sie im November den Kulturpreis des Landkreises Starnberg. (Foto: Nila Thiel)

Die Filmemacherin Daria Kuschev präsentiert ihren Dokumentarfilm „Wie im Himmel so auf Erden“. Der Streifen schildert den Alltag im russisch-orthodoxen Frauenkloster in Buchendorf.

Von Katja Sebald, Starnberg

Der Berufsberater empfahl ihr eine Konditorlehre, nachdem sie den Wunsch geäußert hatte, in einem kreativen Bereich zu arbeiten. Ja, antwortete Daria Kuschev höflich, aber zuerst würde sie gerne weiter in die Schule gehen, ihr Deutsch perfektionieren, die Mittlere Reife und das Abitur machen, danach vielleicht studieren. Im vergangenen Jahr hat die junge Frau das Studium „Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik“ an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München abgeschlossen. Im Januar war ihr Abschlussfilm „Wie im Himmel so auf Erden“ für den Max-Ophüls-Preis nominiert. Anfang September läuft die Dokumentation über das russisch-orthodoxe Frauenkloster in Buchendorf auf dem Fünfseen-Filmfestival. Und im November wird Daria Kuschev mit dem Kulturpreis des Landkreises Starnberg ausgezeichnet.

 „Ich bin oft unterschätzt worden“, sagt die 33-Jährige lächelnd. Seit 2018 lebt sie in Starnberg. Sie sitzt am Tisch in ihrer Wohnung und erzählt, wie eins zum anderen kam. Nicht nur der Berufsberater in der Schule hielt die Ideen dieses Mädchens für reichlich überspannt. „Ich komme nicht aus einer Künstlerfamilie“, sagt sie, „meine Eltern und Geschwister haben ganz normale Berufe, sie konnten nicht verstehen, warum ich Abitur machen und mich an einer Filmhochschule bewerben wollte“. Aufgewachsen in einem Dorf in Kasachstan, kamen Daria Kuschev und ihre Eltern 2005 als russlanddeutsche Spätaussiedler nach Würzburg. In ihrem Dorf hatte es kein Kino gegeben, auch ein Fernseher war in ihrer Kindheit alles andere als selbstverständlich gewesen. In der Schule spielte sie gerne Theater. In Deutschland war anfangs alles schwierig. Sie musste zuerst die neue Sprache lernen, dann konnte sie den Hauptschulabschluss machen. „Danach kam ich jedes Jahr in eine neue Schule, ich hatte jedes Jahr neue Lehrer und ich musste immer wieder neue Freunde finden“, erinnert sie sich, „vor allem aber musste ich sehr viel lernen“.

 Aber was Daria Kuschev anpackt, das macht sie gründlich. „Ich habe mich auf die Aufnahmeprüfungen an der HFF gut vorbereitet“, sagt sie. 2012 wurde sie auf Anhieb angenommen, in ihrem Jahrgang gehörte sie zu den jüngsten. Nach dem Grundstudium nahm sie mit einem Fullbright Stipendium an einem Sommerprogramm in Kentucky teil. Dann bewarb sie sich um ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), beantragte ein Urlaubsjahr und ging 2016 für ein Jahr nach New York. Sie kam zurück und setzte, mittlerweile Mutter eines Sohns, ihr Studium fort. Nebenbei arbeitete sie als Dolmetscherin in Kliniken, engagierte sich in der „Initiative für krebskranke Kinder“ – und fand so das Thema für ihren ersten Film, der die an Krebs erkrankte „Nadeschda“ begleitet. Dieses Thema vertiefte sie noch einmal in „Clowns Elegie“, eine leise und sehr poetische Dokumentation über die Arbeit von zwei Klinik-Clowns in einem Kinderhospiz. Für diesen Film erhält sie nun den Kulturpreis des Landkreises Starnberg. Es gelinge ihr, in nur 25 Minuten auf einfühlsame Weise alles zu beschreiben, was das Leben ausmacht, heißt es in der Begründung der Jury. Ihre Arbeit beeindrucke durch eine kluge Auswahl von Zitaten, herzzerreißende Szenen und ihr Talent, Menschen in ihrem Wesen zu zeigen, ohne sie aus- oder bloßzustellen.

Das Nonnenkloster in Buchendorf ist das einzige russisch-orthodoxe Kloster in Deutschland. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Wird ein Fest begangen, brennen viele Kerzen. (Foto: Nila Thiel)

 Auch in dem Dokumentarfilm „Wie im Himmel so auf Erden“, den sie auf dem FSFF präsentieren wird, nimmt Kuschev den Zuschauer mit in eine Welt, zu der er normalerweise keinen Zugang hätte. Seit 2005 gibt es das „Frauenkloster der heiligen Märtyrernonne Großfürstin Elisabeth“ in Buchendorf, es ist das einzige russisch-orthodoxe Kloster in Deutschland. Die Äbtissin oder „Matuschka“ Maria kommt aus Griechenland, die 13 Nonnen stammen aus Russland und aus der Ukraine, auch Deutsche sind unter ihnen. Ihr Leben im Kloster ist dem Gebet und dem Gottesdienst gewidmet, sie betreiben jedoch auch eine Schneiderei und eine Buchbinderei, außerdem backen sie Prosphoren, das sind gestempelte Rundbrote für die orthodoxe Eucharistiefeier. Sie stellen Honig her und bewirtschaften einen Garten. Und sie beherbergen Pilger, die sich für eine bestimmte Zeit den Regeln des Klosterlebens unterwerfen, an den Gottesdiensten teilnehmen und mitarbeiten.

Im Frauenkloster in Buchendorf wird das Osterfest begangen. (Foto: Nila Thiel)

 „Sie kommen hierher, um sich die Seele zu wärmen“, sagt eine der Nonnen, deren schwarze Kleidung eine ständige Erinnerung an den Tod sein soll. Die Schwestern sind angehalten, während der Arbeit zu beten und nicht miteinander zu sprechen. Für die Interviews mit der Filmemacherin unterbrechen sie ihre alltäglichen Verrichtungen nicht: Sie heften mit Nadel und Faden einen Buchrücken zusammen, sie fertigen eine kunstvolle Stickerei mit der Nähmaschine, sie schmelzen Bienenwachs oder rühren einen Teig. Wie nebenbei erzählen die arbeitenden Schwestern von ihrem Rückzug aus dem Leben. „Wenn man ins Kloster geht, dann ist man für die Welt gestorben“, sagt eine von ihnen. Eine andere bedauert, dass sie diesen Schritt nicht schon viel früher gegangen ist, bevor sie so viele Sünden in ihrem Leben angehäuft hat. Und wieder eine andere erzählt, wie schwer es ihr falle, gehorsam zu sein. Einmal kommt die Äbtissin während des Interviews kurz ins Zimmer. Sie ermahnt ihre Untergebene, nicht zu posieren und nicht zu viel in die Kamera zu blicken.

Die Kamera ist auch dabei, wenn es um alltägliche Probleme geht

Es gehe ihr in dieser Dokumentation nicht um eine religiöse Botschaft, sondern um die Menschen, sagt Kuschev. Der Film nimmt sich deshalb viel Zeit für den Alltag der Nonnen. Er begleitet sie auf sehr unaufgeregte Weise vom morgendlichen Gottesdienst bis zum Abendessen, er zeigt, welche Arbeiten zu welchen Jahreszeiten anfallen und wie im Kloster die kirchlichen Feiertage begangen werden. Er zeigt die Stille und das streng geregelte Miteinander. Die Kamera ist auch dabei, wenn die Klosterschwestern sich versammeln, um mit der Äbtissin ihre alltäglichen Probleme besprechen: Eine möchte auf keinen Fall mit den Essensresten der anderen kochen. Am Tisch wird daraufhin diskutiert, ob man die übrig gebliebenen Speisen, die schließlich geweiht sind, unbedingt selbst essen muss oder ob man sie auch den Hühnern verfüttern könnte, die dann ja geweihte Eier legen würden. Auch fast komische Momente fängt die Kamera ein, etwa wenn bei der Weihe von zwei Novizinnen eine Haube partout nicht auf den Kopf passen will, oder wenn vier Nonnen einen leeren Sarg durch ein enges Treppenhaus manövrieren und eine fünfte dazukommt, um mit dem Handy ein Foto zu machen: Sie will unbedingt den Verwandten des Verstorbenen das kuschlig gepolsterte Innenleben des Sargs zeigen.

 „Wie im Himmel so auf Erden“ läuft auf dem Fünf Seen Filmfestival am 5. September um 19.45 Uhr in Gauting, am 6. September um 11.30 Uhr und um 17 Uhr in Gauting und am 8. September um 15.45 Uhr in Starnberg.

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