Und dann kommen plötzlich doch Tränen. Es ist einfach zu viel. Zu viel Elend, das Beate Blaha aus Gauting im Lauf ihres Berufslebens als Journalistin gesehen hat. Frauen, die in armseligen Verschlägen in Rumänien hausen, Kinder, die auf einer Müllkippe in Litauen leben, der Straßenstrich in Moskau. Fast zwei Stunden lang erzählt sie am Holztisch im Wohnzimmer davon, ruft die Erinnerungen wach, bis es ihr einfach zu viel wird. Auch zehn oder 20 Jahre danach sind die Bilder noch da. Und wohl auch das Gefühl, diese Menschen nicht alleine lassen zu dürfen.
Insbesondere in Osteuropa war Beate Blaha zu Dreharbeiten für das Bayerische Fernsehen unterwegs, zunächst für die Abendschau, bald aber für viele Jahre für die "Sternstunden", das Hilfswerk des Bayerischen Rundfunks. Sie war in Russland und der Ukraine, in Georgien und Bulgarien. Besonders oft aber ging es nach der Hinrichtung des damaligen Staatspräsidenten Nicolae Ceaușescu im Herbst 1989 nach Rumänien. Etwa 80 Mal war die Gautingerin inzwischen in dem Land. Anfangs mit der CSU-Politikerin Barbara Stamm, die damals Staatssekretärin im Sozialministerium war und für Blaha im Lauf der Jahre zu einer Art Mentorin wurde.
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Die Eindrücke dort haben Beate Blaha so tief berührt: "So ein Elend habe ich noch nie gesehen. Eine unglaubliche Verwahrlosung. Frauen, die in Verschlägen gewohnt haben, die nichts zu essen hatten. Den Geruch werde ich nie vergessen." Sie erzählt von Bettlern, die sich auf einem Brett mit Rollen fortbewegt haben, von leeren Fabrikhallen, in denen Menschen hausten. Aus dieser Welt konnte die Journalistin nicht nur berichten, da wollte sie helfen. In der Universitätsstadt Iasi hat sie ein Schutzhaus aufgebaut, in dem Mütter mit ihren Kindern übergangsweise in Appartements wohnen können, die sich zum Beispiel vor gewalttätigen Männern in Sicherheit bringen mussten.
Sie hat das Grundstück dafür gesucht und Spenden eingeworben, hat mit dem dortigen Bürgermeister verhandelt und sich von dem damaligen Nördlinger Stadtbaumeister Josef Eichert bei den Planungen beraten lassen. Barbara Stamm wurde Schirmherrin. Seit bald 20 Jahren gibt es das Haus nun, es funktioniert mittlerweile selbständig, 80 Menschen haben dort Platz. "Das ist zu einem Modellprojekt geworden. So etwas gab es bis dahin in Rumänien noch nicht", sagt Blaha.
Es muss ein großes Erfolgserlebnis gewesen sein, das Gedeihen dieser Einrichtung beobachten zu dürfen und mitzuerleben, welcher Segen es für die Schutzsuchenden ist: "Das war so berührend, die Familien zu sehen, die erst gar nicht verstehen konnten, was da jetzt passiert, dass sie das Glück haben, da aufgenommen zu werden", erzählt die Mitgründerin.
Dann erzählt sie von einer Müllhalde in der Nähe der litauischen Stadt Klaipėda, dem ehemaligen Memel. Im Jahr 2004 hat das Bayerische Fernsehen die Auslandsreportage von Beate Blaha von diesem Ort des Grauens gezeigt. Es müssen apokalyptische Szenen gewesen sein, die sich dort abgespielt haben. Wenn Lastwagen kommen und wieder eine Ladung Abfall abkippen, darüber Möwen kreisen, Hunde kläffen, Staub und Dreck aufgewirbelt. So wird das in einer Info des BR geschildert. Mittendrin Kinder und Jugendliche, die den Müll sortieren und nach Brauchbarem suchen und unter Plastikplanen dort sogar leben. Und dann habe es auf diesem Platz im Dreck auch noch mafiöse Strukturen gegeben, erzählt die Journalistin, die mit ihrem Team eine Woche dort gedreht hat.
Die Bilder von den Müllkindern sind ihr 15 Jahre danach noch präsent. Damals hat sie sich für die Schaffung eines Tageszentrums für die Kinder eingesetzt, wo sie ein Essen bekamen und bei den Hausaufgaben betreut wurden: "Es geht darum, sie kräftig zu machen." In ihrer Heimatgemeinde engagiert sie sich außerdem im Förderverein des Caritas-Mädchenheims, der zum Beispiel einen Ausflug oder Kleidung finanziert oder Schülerfirmen unterstützt.
Für ihr soziales Engagement ist Blaha im August ausgezeichnet worden und hat bei einer Feierstunde mit Sozialministerin Ulrike Scharf in der Münchner Residenz die Barbara-Stamm-Medaille erhalten, die nun zum ersten Mal verliehen wurde. Die nach der ehemaligen Landtagspräsidentin benannte Auszeichnung soll nun alle zwei Jahre an bis zu fünf Persönlichkeiten verliehen werden, die sich um die bayerisch-rumänischen Beziehungen verdient gemacht haben. Neben ihren eigenen Projekten kümmere sie sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins "Bayerische Kinderhilfe Rumänien". Mit der Stiftung Hecuba habe sie eine Kinderkrippe und einen Kindergarten für sozial benachteiligte Kinder aufgebaut.
"Da lässt du Federn, auch psychisch."
Die Eindrücke, das Elend, sich immer wieder berühren zu lassen, das hinterlässt Spuren. "Was ich erlebt habe, das ist schon sehr viel für eine Person. Da lässt du Federn, auch psychisch", sagt die Gautingerin, die sich in diesem Jahr beruflich zur Ruhe gesetzt hat. Und dennoch: Wenn sie ein Hilferuf ereilt, fällt es der heute 66-Jährigen auch heute noch schwer, Nein zu sagen. Im vergangenen Jahr hat sie bei sich in der Wohnung für ein knappes halbes Jahr eine Mutter mit Tochter aufgenommen, die aus der ukrainischen Stadt Charkiw geflüchtet waren. "Die waren am Anfang noch ganz eindeutig unter psychischer Anspannung und traumatisiert. Das hat gedauert", erzählt die Gautingerin. Bei ihr konnten sie erstmal zur Ruhe kommen und haben Deutsch-Unterricht erhalten.
Und dann streicht aus dem Nachbarzimmer Kater Filou herein. Er ist fast blind. Als seine vorherige Besitzerin vor zweieinhalb Jahren verstarb, hat er bei Beate Blaha Asyl gefunden. "Der war am Anfang so traumatisiert", sagt sie über ihre Katze. "Ach, mein Katerchen." Aber sie hat sich vorgenommen: "Ich werde jetzt öfter Nein sagen".