Oper:Erlösung am Ammersee

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Das Geisterschiff nimmt Fahrt auf: Die Wagner-Fans (von links) Arabella und Claudia Hellmann, Rainer Armbrust, Anahita Ahsef und Andreas Hörl bringen Richard Wagners Oper "Der Fliegende Holländer" an den Ammersee. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Wagner-Verband lässt sich zu seinem siebenjährigen Bestehen auf ein Abenteuer ein: Er bringt des Meisters romantische Oper "Der Fliegende Holländer" ins Schondorfer Strandbad.

Von Gerhard Summer, Schondorf

Hallajoh und Hallahah, eine Fahne wird gehisst. Cheforganisatorin Arabella Hellmann, Sopranistin Anahita Ahsef und Dirigent Rainer Armbrust stehen schon bereit, sie sind seit Monaten dabei, dieses Wagner-Werk aus dem Boden zu stampfen, das vom Fluch der Unsterblichkeit, von ewiger Liebe und Erlösung handelt. Der geldgeile Daland, der seine schöne Tochter Senta in der Oper für Perlen und Juwelen an einen Fremden verhökert, biegt gerade mit seinem klapprigen Wagen ums Eck. Nein, stopp: Im wirklichen Leben ist das Andreas Hörl (Bass), der die Rolle des raffgierigen Vaters bei diesen Aufführungen notfalls auch ohne Gage übernehmen würde, wie er sagt. Für den Fotografen lässt Hellmann noch mal die Fahne ein Stück herunter. Und dann spannen sie, ihre Mutter, Ahsef, Armbrust und Hörl das gute Stück ein wenig auf, damit der Aufdruck zu erkennen ist: eine wunderbare Kinderzeichnung, die ein Schiff mit schwarzem Mast, blutroten Segeln und dem Dutchman am Bug zeigt. Ja, das passt. Johohe!

Richard Wagners verfluchter Kapitän, "Der fliegende Holländer", der bis zum jüngsten Gericht nur alle sieben Jahre an Land darf, läuft diesmal nämlich weder, wie's im Libretto steht, unter Matrosenrufen an Norwegens Küste ein noch in Bayreuth oder Bregenz, sondern im Strandbad Forster in Schondorf: Der bisher durch witzige und kuriose Flashmobs und Poetryslams bekannt gewordene Wagner-Verband Ammersee hat sich auf das kühne Abenteuer eingelassen, die zweieinhalb Stunden dauernde romantische Oper in einer zwar minimalistischen, aber immer noch sehr aufwendigen Inszenierung mit Profis und jungen Talenten zu zeigen, sinnigerweise zu seinem siebenjährigen Bestehen. Arabella Hellmann, die Vorsitzende der 151 Mitglieder zählenden Vereinigung, sagt dazu: "Jetzt weiß ich, warum ein Theater so viele Abteilungen hat und warum die so groß sind."

Plakatmotiv für die Aufführungen des "Fliegenden Holländers", entworfen von der sechsjährigen Philippa, der Tochter einer Freundin von Intendatin Arabella Hellmann. (Foto: Richard-Wagner-Verband Ammersee)

Die Idee, Wagner Mitte Juli an den Ammersee zu bringen, sozusagen zum Vorglühen auf Bayreuth, sei im vergangenen Sommer entstanden. Seit Herbst 2021 laufen die Vorbereitungen. Der zwischen New York, Tel Aviv und Würzburg pendelnde Dirigent und Pianist Rainer Armbrust hat die musikalische Leitung übernommen. Zusammen mit der Japanerin Michiko Tashiro dampfte er die Partitur ein und kümmerte sich mit Hellmann um die Besetzung. Regisseur Georg Rootering zeichnet für die Inszenierung verantwortlich. Für alles andere sind im Wesentlichen Hellmann und Anahita Ahsef zuständig, ob es um die Beschaffung der Kostüme geht und das Kürzen und Anpassen in einer syrischen Schneiderei in Landsberg um Lech oder um die Sperrung der Seestraße an den beiden Opernabenden. Sie haben die Gemeinde mit ins Boot geholt, die das Herzensprojekt der Wagnerianer finanziell unterstützt und die Bühne stellt, Feuerwehr und Wasserwacht als Helfer gewonnen. Zwei Flügel beschafft, die im Strandbad zum Einsatz kommen sollen, sich um Versicherungen, Werbung und das Plakatmotiv gekümmert, das die sechsjährige Philippa gezeichnet hat, die Tochter einer Freundin von Hellmann. Und dafür gesorgt, dass die Besucher einigermaßen bequem sitzen. Weil mieten teurer gekommen wäre, zogen sie los und kauften 120 zusätzliche Stühle bei Ikea.

"Ich hätte nie gedacht, was da alles an Kleinigkeiten dranhängt", sagt Hellmann, die vormals 15 Jahre lang "Blaues Mädchen" war im Festspielhaus Bayreuth, also Türsteherin, und lange Zeit Besucher der sogenannten Mittelloge wie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und Entertainer Thomas Gottschalk umsorgte. Heute ist sie als Businesscoach für die Weiterbildung von Führungskräften zuständig.

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Als Hauptquartier des Verbands, vor dem jetzt die Holländer-Fahne weht, dient das Haus ihrer Eltern, Claudia Hellmann und Uwe Gremmers-Hellmann. Ein Wagner-Haushalt, wie er im Buche steht. In einem gemauerten Gartenrondell liegt schon ein zusammengerolltes dickes Tau bereit, das den Bug des Schiffs symbolisieren soll, mit dem der verfluchte Kapitän die Weltmeere und bald den Bauernsee durchkreuzt. Im Flur findet sich eine verschweißte Rolle mit großen hell- und dunkelgrauen Tüchern. Statisten werden flattern und wogen lassen, um Wellen und Nebel zu simulieren. Im Wohnzimmer stehen Klavier und Flügel. Später wird Andreas Hörl dort mit gewaltiger und in der Tiefe funkelnder Bassstimme seine Daland-Partie üben, die auf einer unangenehmen Übergangslage verharrt und deshalb auch "d-Land" heißt. Mutter und Tochter Hellmann singen kurz mit: "Wohl, Fremdling! Hab ich eine schöne Tochter." In etlichen Ecken finden sich Wagner-Büsten und -Figuren, und im ersten Stock ist das Bettenlager aufgebaut, zehn Leute könnten dort übernachten, erklärt Uwe Gremmers-Hellmann. Denn letztlich seien die Mitwirkenden an dem Opern-Experiment, etwa 50 an der Zahl, zu einer Gemeinschaft, ja zu einer Familie geworden, so Claudia Hellmann: "Es ist ein Miteinander, das wird hier gelebt."

Ob beim gemeinsamen Kochen, Singen und Feiern schon mal die Rede auf die dunklen Seiten des Meisters kommt? Wohl kaum. Natürlich ist auch einer glühenden Verehrerin wie Arabella Hartmann klar, "dass "Wagner nicht der feinste Mensch war": einerseits Revoluzzer, andererseits Hofgünstling, einerseits übler Judenhasser und Verfasser eines antisemitischen Pamphlets, andererseits Judenfreund, der sich für seinen "Parsifal"-Dirigenten Hermann Levi eingesetzt habe, wie Armbrust meint. Tatsächlich gebe es in Gesprächen mit Schondorfern immer wieder Kritik an dem Wagner-Verband, der mit einem Altersdurchschnitt von 40,7 Jahren alles andere als ein ergrauter Club ist, sagt Hellmann. "Für mich ist das Unwissenheit", viele glaubten, der Komponist (1813 bis 1883) sei Nazi gewesen. Und Armbrust findet: "Von seiner politischen Haltung her wäre er sicher kein Freund des Regimes gewesen."

Erst bei Kandidat Nummer sieben passt alles

Schon bei ihrer Gründung hatte sich die Vereinigung auf die Fahne geschrieben, alle zusammenzubringen - Profimusiker und Talente, Kinder und ältere Semester, Besucher, die mit Perlen- oder via Fahrradkette kommen. Der Verband vergebe inzwischen vier Stipendien pro Jahr, junge Musiker dürften mit Rainer Armbrust und seiner Frau, der Vokalcoachin Hemdi Kfir, am Ammersee arbeiten und eine Woche in der Wagner-Welt Bayreuth verbringen, sagt Arabella Hellmann. Sieben von ihnen sind bei den zwei Aufführungen im Strandbad dabei. Auf Streicher verzichtet Armbrust völlig, letztlich tritt ein Kammerensemble mit zwei Flügeln, Kontrabass, Horn, Oboe, Klarinette und Trompete an. Dafür ist der Chor mit 30 Männern und Frauen vergleichsweise stattlich. Und außerdem sind exzellente Gesangssolisten am Start: Hörl in der Rolle des Daland, Anahita Ahsef als Senta , Stefan Vinke als Erik, Sandra Gerlach als Mary , Marius Pallesen als Steuermann und Paul Gukhoe Song als Holländer. Die Titelrolle zu besetzten, war nicht so einfach gewesen. Vier Bewerber winkten ab, zwei sagten dem Verband nicht zu. Bei Kandidat Nummer sieben, dem Bass-Bariton aus Seoul, passte schließlich alles.

Flashmobs gehören zu den Spezialitäten des Wagner-Verbands Ammersee. Das Bild zeigt ein von Einkäufern bestauntes spontanes Konzert vor dem Supermarkt zur Europawahl 2019. (Foto: Richard-Wagner-Verband Ammersee)

Obwohl Armbrust und Rootering auf einen puristischen "Fliegenden Holländer" setzen, haben die Aufführungen ihren Preis. Die ehrenamtliche Produktionsleiterin Arabella Hellmann schätzt den finanziellen Aufwand auf 90 000 bis 100 000 Euro. Den Großteil davon übernehmen der Verband und Sponsoren, womöglich bleibt Hellmann aber noch mit Geld aus der eigenen Kasse hängen. Verglichen mit Inszenierungen im Festspielhaus sind das immer noch sparsame Abende. Wie Andreas Hörl sagt, der stimmgewaltige Daland, lägen die Kosten einer Bayreuther Aufführung im "oberen siebenstelligen Bereich".

"Der Fliegende Holländer": Freitag und Samstag, 15. und 16. Juli, Strandbad Forster in Schondorf (An der Point 2), jeweils 18 Uhr. Karten für 35 und 50 Euro unter rwv.ammersee-de.

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