Porträt:Der nahbare Geigenstar

Porträt: Rebekka Hartmann, Geigerin aus Seeshaupt.

Rebekka Hartmann, Geigerin aus Seeshaupt.

(Foto: Marc-Oliver Schlack)

Echo-Preisträgerin Rebekka Hartmann bemüht sich, die Distanz zwischen Publikum und Klassikkünstlern zu überwinden, ob solo oder mit ihrem Orchester. Anfang Juni tritt die Seeshaupterin bei einem neuen Festival in Andechs auf.

Von Gerhard Summer

Die Stargeigerin richtet sich kurz die strenge Zopffrisur, dann tanzen und trommeln ihre Finger wieder auf der Platte ihres hölzernen Küchentischs. "Hallo", ruft sie mit gespielter Empörung und wischt leicht hektisch über den Bildschirm ihres rosafarbenen iPads, als sie Bilder von sich aussuchen will und das Tablet bockt. Zwischendurch stößt die 41-Jährige, die bekennender Espresso-Junkie ist, eine schon geleerte Kaffeetasse um. "So was passiert, wenn man hyperaktiv ist", sagt sie.

Rebekka Hartmann steht unter Strom. Die Echo-Preisträgerin kommt gerade aus München, weil sie wegen der Gründung ihres neuen Orchesters zum Notar musste. Hinterher gibt sie ein paar Schülern Unterricht in ihrem Haus bei Seeshaupt am Starnberger See, und dann wird sie wohl noch auf ihrer Stradivari üben, vielleicht auch wieder zu später Stunde. Das Programm, das sie in nächster Zeit absolvieren muss, hat es nämlich in sich: Von Ende Mai bis 3. Juni spielt sie in der Martinskirche in Hoya, einem "mitten in der Natur gelegenen und wunderschönen puristischen" Gotteshaus zwischen Bremen und Hannover, den ersten Teil von Bachs Solosonaten und -Partiten ein. Tags darauf tritt sie mit ihrer langjährigen Klavierpartnerin Margarita Oganesjan bei der Premiere eines Kammermusik-Fests in Andechs auf: dem "Festival der Sinnlichkeit". Im Vorjahre musste Impresario Florian Zwipf-Zaharia das Event, das Schubert, Brahms, Franck und Skrjabin huldigt, wegen der Pandemie verschieben. Von Freitag, 3. Juni, an sind nun zwölf Konzerte geplant. Im Florian-Stadl des Klosters Andechs gastieren das Armida- und Goldmund Quartett, das Henschel Klavier Trio führt ein Auftragswerk der usbekischen Komponistin Aziza Sadikova auf. Und Hartmann lässt sich bei ihrem Heimspiel auf einen Zeitsprung von der barocken Welt zur Romantik ein, denn auf ihrem Programm steht nicht Bach, der für sie der "Vater aller Musik" ist, sondern Brahms. Am 8. Juni dann starten die Proben für ihr neues Euphonia Orchester München. Das sogenannte Gründungskonzert mit Werken von Villa-Lobos, Elgar und Beethoven soll am 12. Juni zum Hohenloher Kultursommer über die Bühne gehen.

"Momentan ist es sehr viel Stress", sagt die Geigerin, die schon mit Dirigenten wie Esa-Pekka Salonen, Christoph Eschenbach, Justus Frantz, Jukka-Pekka Saraste und dem 2018 gestorbenen Ennoch zu Guttenberg gearbeitet hat. "Aber das ist mittlerweile der Alltag eines Musikers". Längst genüge es nicht mehr, CDs einzuspielen, Konzerte zu geben und hinterher die Hände in den Schoß zu legen. Platten seien nur noch bessere "Visitenkarten", die Verkaufszahlen kaum noch erwähnenswert. "Man muss umtriebig und aktiv sein, muss Ideen entwickeln und fast manisch sein in Bezug auf die Musik". Besonders wichtig sei ihr, die junge Generation wieder in die Konzerthäuser zu locken. Hartmann tüftelt deshalb gerade an einem Konzept für die Auftritte ihres 17-köpfigen Streichorchesters. Womöglich werde es Lichtinstallationen zu den Konzerten geben, vielleicht auch einen "Live-Painter, der malt, was er hört", sagt sie.

Porträt: "Es wird so sein, dass ich mein Leben lang auf dieser Geige spielen werde": Rebekka Hartmann mit ihrer Stradivari von 1675. Angeblich existieren noch an die 650 Instrumente des berühmten Geigenbauers aus Cremona. Etwa 100 seiner Geigen sollen noch in Umlauf sein.

"Es wird so sein, dass ich mein Leben lang auf dieser Geige spielen werde": Rebekka Hartmann mit ihrer Stradivari von 1675. Angeblich existieren noch an die 650 Instrumente des berühmten Geigenbauers aus Cremona. Etwa 100 seiner Geigen sollen noch in Umlauf sein.

(Foto: Sophia Müller)

Das Ziel sei auf jeden Fall, den Zuhörern näherzukommen, "wir wollen sie involvieren". Denn bisher gehöre die Distanz zwischen Publikum und Künstlern leider zum Klassikbetrieb: Wenn der letzte Akkord verklungen ist, "sind die Leute oft so euphorisch" und hätten meist auch Fragen, aber die Musiker seien dann längst unerreichbar in der Garderobe oder im Hotelzimmer verschwunden. Rebekka Hartmann bemüht sich indes, ein nahbarer Star zu sein. Die gebürtige Münchnerin, die wie die Kabarettistin und Schauspielerin Constanze Lindner ein kleines Energiebündel ist, geht zwar nicht so weit wie die Wörthseerin, die Besucher umarmt und herzt. Aber sie mische sich in der Pause und hinterher oft unter die Zuhörer und spreche mit ihnen, sagt Hartmann. Gelegentlich halte sie auch Vorträge vor jungen Schülern, eine Initiative, die auf den Pianisten Lars Vogt zurückgeht und sich "Rhapsody in School" nennt. Und erkläre, dass sie vor Konzerten manchmal eine Banane isst, um die Aufregung zu dämpfen.

Porträt: Die längjährige Klavierpartnerin von Rebekka Hartmann: die Pianistin Margarita Oganesjan.

Die längjährige Klavierpartnerin von Rebekka Hartmann: die Pianistin Margarita Oganesjan.

(Foto: Veranstalter/oh)

Auch was ihr Repertoire betrifft, geht Hartmann nicht die breiten Asphaltwege. Ihr haben es Werke angetan, die wenig bekannt oder in Vergessenheit geraten sind, zum Beispiel von Håkan Larsson, Anders Eliasson und Allan Pettersson. Dazu kommen "Perlen" von Berühmtheiten, die im Schatten stehen. Mit der Pianistin Oganesjan hat sie außerdem Stücke armenischer und türkischer Komponisten aufgenommen. Für ihre CD "Birth of The Violin", vorwiegend mit Weltersteinspielungen barocker Musik, ist sie mit dem Preis Echo-Klassik 2012 ausgezeichnet worden.

Ihre neueste Entdeckung sind klassisch strukturierte Tangos, die der in Wasserburg lebende Komponist Peter Ludwig geschrieben hat. "Das ist so geile Musik", schwärmt sie. "Ich habe dadurch eine ganz andere Freiheit und Offenheit in Bezug auf die Interpretation der Bach-Sonaten und -Partiten bekommen." Improvisation sei für sie zwar eine komplett neue Welt. Aber trotzdem habe sie bei diesen Stücken das erstaunliche Gefühl, "als hätte ich sei schon oft gespielt". Ende des Jahres will sie mit Ludwig eine CD aufnehmen.

Ihre Geige heißt jetzt "Hartmann Stradivari"

In einem Vor-Pandemie-Jahr wie 2019 war die Stargeigerin neun Monate auf Konzerten unterwegs, heuer absolviert sie ein bis Mitte August besonders streng durchgetaktetes Programm. Deshalb kann sie es sich kaum leisten, die Violine zur Seite zu legen. Sie übe mindestens zwei Stunden am Tag, sagt sie, teilweise auch um zwei Uhr nachts, wenn sie sich in kürzester Zeit ein neues Stück draufschaffen müsse. In der Stadt würde sie damit wohl einen Polizeieinsatz provozieren. Doch Hartmann lebt mitten auf dem Land neben einem Bauernhof, sozusagen jenseits von Seeshaupt. Ihr großes Haus sei zugleich ihr Arbeitsplatz. Andere Leute haben Büro oder Wohnzimmer, an Hartmanns Küche schließt sich ein kleiner Konzertsaal an mit Galerie, Hängematte, schwarzer Ledergarnitur und einer langen Tafel, die aussieht, als wäre sie für König Artus und seine Ritter geschaffen worden. An den Wänden des mindestens sieben Meter hohen und 130 Quadratmeter großen Raums hängen Schwarzweiß-Bilder, sie zeigen die Geigerin bei einem Konzert mit zerfurchter Stirn oder mit ihrer Violine im Fond eines Wagens. Hartmann holt ihre Stradivari von 1675 aus dem silbergrauen Koffer, stimmt sie und spielt Bach vor. Die Musik durchflutet den Saal, in dem sie schon Kammerkonzerte gegeben und ein Youtube-Video aufgenommen hat. Danach ist endgültig klar, warum sie vorher gesagt hat: "Es wird so sein, dass ich mein Leben lang auf dieser Geige spielen werde." An das mächtig klingende Instrument mit unbekannter Historie, das nun "Hartmann Stradivari" heißt, sei sie durch viel Glück und einen "wahnsinnig guten Freund" gekommen: den Violinisten Josef Kröner, Europa-Direktor der weltweit größten Geigenhändler John & Arthur Beare mit Sitz in London. Nachdem ihr alter Bogen im zweiten Corona-Jahr an der Spitze gebrochen ist ("das war eine Vollkatastrophe"), nennt sie nun ein Stück in Museumsqualität ihr eigen: einen Léonard-Tourte-Bogen.

Hartmann musste sich mit 16 Jahren unters Messer legen, weil ihre Wirbelsäule stark verkrümmt war. Auch deshalb treibt sie viel Sport. Sie hat einen Personal Trainer, der mit ihr dreimal die Woche "Oberkörper, Unterkörper und Muskulatur" stählt. Sie geht schwimmen und fährt Fahrrad, macht Yoga und geht täglich in die Sauna. Früher hat sie auch Matches auf dem Tennisplatz absolviert, dann aber bemerkt, dass ihr linkes Handgelenk hinterher nicht mehr locker genug war für den Balanceakt auf vier Saiten. Inzwischen meidet sie alles, was ihre Hände gefährden könnte, zum Beispiel Skifahren. "Meine Geige ist mein Leben", sagt sie dazu.

Hartmann redet auch darüber, dass sie in der neuapostolischen Kirche aufgewachsen und gläubige Christin ist. Sie spreche selten über dieses Thema, sagt sie, weil sie selten danach gefragt werde. Sie wisse nur eines: "Wir zerstören die Erde", ob durch einen Krieg wie in der Ukraine oder durch lausigen Klimaschutz. "Aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass wir beschützt werden durch eine höhere Instanz". Die manchmal hibbelige Powerfrau, die schon fast überall auf diesem Planeten konzertiert hat, außer in Russland, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und einigen afrikanischen Ländern, formuliert es so: "Ich glaube gerade ganz stark an die Macht der Musik, wir können mit der Gabe, die wir geschenkt bekommen haben, Herzen berühren."

Porträt: Spielt am 5. Juni mit Nino Gvetadze (Klavier) im Florian-Stadl: das Goldmund Quartett.

Spielt am 5. Juni mit Nino Gvetadze (Klavier) im Florian-Stadl: das Goldmund Quartett.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das neue Kammermusik-Festival in Andechs dauert von 3. bis 6. Juni. Rebekka Hartmann und Margarita Oganesjan spielen am 4. Juni im Florian-Stadl die drei Brahms-Sonaten für Geige und Klavier sowie das Scherzo des Hamburger Komponisten in c-Moll. Beginn ist um 19 Uhr. Zu den Höhepunkten des Fest gehört auch ein ganzer Tag mit Liedern von Schubert und den berühmten Zyklen "Schöne Müllerin" und "Winterreise". Start ist um 11 Uhr, das letzte Konzert beginnt um 20.30 Uhr. Kinder und Jugendliche bis 18 haben freien Eintritt zu allen Vorstellungen. Weitere Infos und Karten unter arte-musica-poetica.de oder Telefon 0171/8755237.

Porträt: Musik aus Usbekistan: Das Henschel Klaviertrios führt eine Auftragskomposition von Aziza Sadikova in Andechs auf.

Musik aus Usbekistan: Das Henschel Klaviertrios führt eine Auftragskomposition von Aziza Sadikova in Andechs auf.

(Foto: Veranstalter)
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