Raisting:Alle Horste schon besetzt

Zuchtstörche belegen Raistings Nisthilfen - und stechen die aus Afrika kommenden Vögel aus.

Von armin greune, Raisting

Schon für die alten Germanen war er Frühlingsbote und galt als Bringer neuen Lebens: Der Volksmythos, dass der "Klapperstorch" die Babys bringt, ist wohl darauf zurückzuführen. Und in Thüringen brachte der Storch und nicht der Hase die Ostereier. Im Fünfseenland aber sind die Vögel demnächst ganz und gar mit den eigenen Gelegen beschäftigt. Auch heuer wieder trifft auf die Raistinger Kolonie der leicht abgewandelte Liedtext zu: "Alle Störche sind schon da".

Was nicht weiter verwunderlich ist, denn den weiten Weg aus Afrika hat wohl keiner der Vögel zurückgelegt: Als aus Zuchtstationen stammende "Weststörche" liegen ihre Überwinterungsquartiere meist im Mittelmeerraum. So sind sie sehr früh im Jahr zur Stelle, wenn es darum geht, die Nisthilfen südlich des Ammersees zu beziehen. Sogar im November hatten sich schon sechs junge Störche in Raisting eingefunden, die sich angesichts der milden Witterung anschickten, dort zu überwintern. Als dann in der zweiten Januarhälfte doch noch reichlich Schnee fiel, zogen sie jedoch wieder ab.

Aber bereits am 14. Februar traf der erste Artgenosse ein, der in diesem Frühjahr in Raisting brüten will: Das Männchen ließ sich auf einem Silodach im Raistinger Gewerbegebiet nieder, eine Woche später gesellte sich seine Partnerin dazu. Inzwischen sind sechs der sieben Quartiere im Ort fest belegt und auch die Nisthilfe in Vorderfischen wurde von einem Storchenpaar bezogen. Nur für den Horst auf der Sölber Kirche gibt es noch mehrere Bewerber und Revierkämpfe, sagt Reinhold Grießmeyer, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Ammersee (SGA), die das Artenhilfsprojekt für den Weißstorch betreut. Außerdem seien vier jüngere Störche auf den Wiesen vor Pähl beobachtet worden: Bei ihnen sei aber fraglich, ob sie schon Nistplätze suchten.

Zuletzt stellte sich ein zuvor beispielloser Bruterfolg ein: 2014 wurden 16 Jungvögel in Raisting und Fischen flügge. Dennoch sieht die SGA die Wiederansiedlung zwiespältig: Nahezu alle Störche stammen aus Zuchtstationen, wie ihre Beringungen verraten. Diese Vögel aber zeigen degenerierte Verhaltensweisen und machen sich im Herbst nicht mehr auf die kräftezehrenden Fernreisen bis nach Afrika, sondern bleiben in Europa. Raisti, der 2011 gestorbene "Gründervater" der Raistinger Population, wurde sogar acht Winter lang im Ort durchgefüttert. Seine ehemalige Partnerin Rosita, die mit ihrem Neuen bei Weilheim Quartier bezog, pendelte bei geschlossener Schneedecke auch heuer wieder nach Raisting, um sich Küken servieren zu lassen.

Die Überwinterer im Ort und die ehemaligen Zuchtstörche - die etwa auf Müllkippen in Spanien die kalte Jahreszeit verbringen - besetzen die Horste, bevor die "echten" Wildstörche aus Afrika ankommen. Diese Konkurrenten sind vom langen Flug noch dazu in schlechter Kondition - und ziehen deshalb im Kampf um Nester und Reviere den Kürzeren. Für die Arterhaltung aber wäre eine Auslese wünschenswert, bei der sich die Störche mit natürlichem Zugverhalten durchsetzen.

Aus diesem Grund ist Grießmeyer froh, dass sich die sechs potenziellen Winterstörche Anfang des Jahres wieder verzogen haben. Der SGA-Vorstand hat auch beschlossen, die Winterfütterungen einzustellen - doch ob sich dieser Vorsatz umsetzen lässt, ist noch offen, Arten- und Tierschützer in der SGA sind darüber unterschiedlicher Meinung. Im Grunde aber stehen mit dem Klimawandel die Chancen gut, dass sich die Störche auch ohne menschliche Unterstützung im Fünfseenland halten können - obwohl es mit seinen Spätfrösten bislang die südliche Verbreitungsgrenze des Weißstorchs in Bayern markierte. 2014 wurde sogar auf den britischen Inseln, wo seit etwa 600 Jahren keine brütenden Störche beobachtet wurden, ein nistendes Storchenpärchen entdeckt.

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