Das Schiff der Andechser Klosterkirche besichtigen, sich fürstlich mit dem Bucentaur über den Starnberger See rudern lassen, ins Peißenberger Bergwerk einfahren und Augenzeuge der ersten Mondlandung sein: Das alles lässt sich jetzt binnen weniger Minuten erledigen. In der Ausstellung "Virtuelle Welten" im Raistinger Radom kann man etwa dreidimensionale Projektionen bekannter bayrischer Baudenkmäler erkunden, aber auch historische Momente miterleben: darunter Otto Lilienthals Abheben mit dem "Normalsegelapparat" 1895, der Absturz des Luftschiffs Hindenburg 1937 in Lakehurst oder eben die Apollo 11-Mission. Die lässt sich von Armstrongs Ausstieg aus der Landefähre bis zum Start der "Eagle" betrachten - aus der Perspektive eines Mondbewohners versteht sich.
An 13 interaktiven Whiteboards können Informationen, dreidimensionale Darstellungen und Animationen zur Technik- und Architekturgeschichte abgerufen werden. So wird etwa gezeigt, wie eine seinerzeit hochmoderne Dampflok des Typs S 3/6 den Münchener Hauptbahnhof verlässt mit dem Stadtbild von 1921 im Hintergrund. Auch das weltweit erste Elektrizitätswerk lässt sich im plastischen Modell untersuchen: Es wurde 1878 im Auftrag von König Ludwig II. in Schloss Linderhof in Betrieb genommen. 24 Dynamomaschinen und Kohlebogenlampen tauchten die Venusgrotte damals in eine nie zuvor erlebte Farbenpracht. Ebenso kann der traumhafte Wintergarten besucht werden, den der "Kini" auf dem Dach der Münchner Residenz bauen ließ, der aber 1897 wegen statischer Probleme wieder abgerissen werden musste.
Höchst interessant sind auch die Science Fiction-Visionen und Projekte des technisch affinen Herrschers, die in den "Virtuellen Welten" vorgestellt werden. Etwa der "Byzantinische Palast", der im Graswangtal nahe Linderhof geplant war; der "Chinesische Sommerpalast", der am Plansee entstehen sollte, oder "Burgschloss Falkenstein", das Ludwig II. anstelle der höchstgelegenen Burgruine Deutschlands in Sichtweite von Neuschwanstein bauen lassen wollte. Die Pläne für diese Luftschlösser offenbaren zahlreiche Details, die noch heute staunen lassen.

Die auf Basis von Raumfahrttechnologie entstandene Ausstellung im Radom ist unter der Ägide von Professor Gerd Hirzinger, vormals Leiter des Instituts für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen, entwickelt worden. Sie war eigentlich für das "Forum der Zukunft" des Deutschen Museums in München gedacht. Deshalb ist im Radom auch ein digitaler Klon des Gips-Bergwerks zu sehen, das vor der Sanierung im Museum untergebracht war und den Pechkohleabbau in Penzberg oder Peißenberg wiedergab. Wegen Umbau des Museums konnte das "Virtual Reality-Labor" in München 2022 nur wenige Wochen lang besucht werden.

Bei der Eröffnung der Schau am Freitag unter der Tragluftkuppel des weltweit einmaligen Industriedenkmals wurde der erkrankte Hirzinger von Jürgen Dudowits vertreten, der das Projekt mit dem Seefelder Professor über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat. Der Geschäftsführer der Agentur "VR-Dynamix" gilt als Pionier der Erschaffung dreidimensionaler Computer-Welten und hat bereits 1983 erste Computerspiele entwickelt. Dudowits erläuterte, wie die Simulationen und Modelle mittels fotogrammetrischer Methoden - Laserscans, hochauflösende Kameras und tausende Fotos - hergestellt wurden. Lücken vermochte man mithilfe künstlicher Intelligenz zu schließen: KI schuf etwa die Illustrationen, mit denen die Seidentapeten im Salon der "Hindenburg" dekoriert waren und die beim Brand des Zeppelins verloren gingen.


Bis auf Weiteres ist die Ausstellung im Inneren des Radom an Samstag- und Sonntagnachmittagen zugänglich, in den Pfingstferien (18. Mai bis 2. Juni) und Sommerferien (27. Juli - 9. September) zudem mittwochs und freitags jeweils von 14 bis 17 Uhr. Der bloße Eintritt kostet für Erwachsene sechs Euro (Kinder drei Euro), mit Führung werden neun beziehungsweise vier Euro verlangt. Für den virtuellen Besuch des Pechbergwerks und des südlichen Randgebiets des "Mare Tranquillitatis", also des Meeres der Stille auf dem Mond, liegen je zwei VR-Brillen bereit.

Wie lange die "Virtuellen Welten" im Inneren des Radoms zu sehen sein werden, ist noch offen. Es könnte durchaus "sehr, sehr lange sein", hoffte Weilheim-Schongaus Landrätin Andrea Jochner-Weiß zur Eröffnung. Diesen Optimismus stützt die Sonderausstellung, die noch im Fuß der 290 Tonnen schweren Antenne im Radom betrachtet werden kann: Sie wurde vor fünf Jahren aus Anlass des 50. Jahrestags der Apollo 11-Mission eröffnet. Dass dieses epochale Ereignis auch in Europa live verfolgt werden konnte, ermöglichte einst die Antenne 1 der Erdfunkstelle.