Süddeutsche Zeitung

Von Bauernerotik bis Bierordnung:Den Bayern aufs Maul geschaut

Der Schriftsteller und Volkskundler Georg Queri hat Bräuche wie das Haberfeldtreiben erforscht. Er starb vor 100 Jahren - ein Leichenschmaus in seinem Geburtshaus, dem "Oberen Wirt" in Frieding.

Von Astrid Becker, Andechs

Für Anton März aus Frieding ist der Dresscode an diesem Abend Ehrensache: Er hat sich sein TSV 1860-Hoodie angezogen. Einen Tisch weiter sitzt ein junger Familienvater aus Haunshofen, der wohl ähnlich gedacht hat, auch er trägt das graue Sweatshirt aus dem Fanshop des Münchner Traditions-Fußballvereins. Aus gutem Grund: Im "Oberen Wirt" im Andechser Ortsteil Frieding ist am Donnerstag ein "Leichenschmaus" angesetzt - zum 100. Todestag von Georg Queri. Der so Geehrte war nicht nur ein bedeutender bayerischer Schriftsteller, Journalist und Volkskundler, sondern eben auch ein Mann, der sich bei den "Löwen" engagierte. Diese Tatsache würde wahrscheinlich aber weder März noch kaum jemand anderer unter den 120 Stammgästen an diesem Abend wissen, wenn es die Wirte Nicole und Martin Bauer nicht schon einmal erzählt hätten.

Das Lokal, das den Bauers seit mehr als 20 Jahren gehört, ist das Geburtshaus des Schriftstellers - und sicherlich der Grund, warum Queri bis heute einen recht gehörigen Platz im Leben der Wirtsfamilie einnimmt. Die Leidenschaft, mit der sie die Erinnerung an den Autor pflegt, geht weit über das hinaus, was man heutzutage modernes Marketing nennen würde. Das zeigt sich schon allein in dem Umstand, dass sich Martin Bauer selbst an diesem Abend nicht blicken lässt. Er bringt seinen Gästen zwar gern Queri und sein Werk näher, die Öffentlichkeit aber scheut er. Dabei sei er es, der wie kaum ein anderer in dieser Familie alles zusammentrage, was mit Queri zu tun habe, sagt seine Frau. Eine eigene Stube für den Schriftsteller gibt es daher in dem Lokal, die nur dem Dichter gewidmet ist.

In einem abschließbaren Schränkchen werden Originalausgaben von Queris Werk gehütet, das "Kriegsbüchl aus dem Westen" ist darunter, die "Schnurren des Rochus Mang", "Mattheis bricht's Eis" oder auch die "Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern" aus dem Jahr 1911, die nur sehr knapp der Konfiskation durch die Polizeidirektion München entgangen war. Queri hatte sich darin dem bäuerlichen Brauch des Haberfeldtreibens gewidmet, einer Art Femegericht und Selbstjustiz, dem nicht selten erotische Handlungen zugrunde lagen. Queri hatte das alles kenntnisreich beschrieben, was, wenn man so will, auch ganz deutlich seine Bedeutung in der bayerischen Literatur aufzeigt: Queri war keiner, der sich Begebenheiten am Schreibtisch ausdachte, sondern vielmehr einer, der den Menschen um sich herum aufs Maul schaute, also Erlebtes niederschrieb.

Ein Bild an der Wand in der Queri-Stube seines Geburtshauses erinnert beispielsweise an sein Werk "Bierordnung". Darin beschreibt Queri, wie ein neunjähriger Wirtsbub seinem Vater beweist, wie gut er bereits über die Gastronomie Bescheid weiß: "A Maß", sagt der Xaverl da, "is a Maß. Und a Halbi is a Halbi. Und a Pfiff und a Quartl ist dees gleichi. Und drei Quartl san halt drei Pfiff." Das wird Queri wohl im Wirtshaus aufgeschnappt haben, wieder einmal mit dem Ziel, das Altbairische authentisch wiederzugeben, dabei sogar altes Sprachgut zu untersuchen oder sogar Geheimcodes berühmter Haberfeldtreiber zu entschlüsseln - bei denen, beispielsweise in Miesbach, "Biergeist" gesagt wurde, wenn der Bürgermeister gemeint war oder "Viehweide", wenn es um das Gericht ging, und "Metzger", wenn vom Untersuchungsrichter die Rede war.

Vielleicht hat ihn Frieding schon früh geprägt - wenngleich bis heute nicht eindeutig feststeht, in welcher Eigenschaft sich seine Eltern dort niedergelassen hatten. Denn über den beruflichen Hintergrund von Queris Vater Georg gibt es recht unterschiedliche Angaben: Mal wird er Fischerei- und Schiffsmeister genannt, mal Wirt, mal Dampfschiffheizer. Die Bauers gehen daher davon aus, dass Queris Eltern das Lokal nur als Pächter betrieben haben und nennen als Argument dafür die chronischen Geldnöte des Schriftstellers: "Hätte das Haus seiner Familie gehört, wäre es wohl nie so weit gekommen", meint Nicole Bauer. Sie selbst stammt aus Köln, ihren Mann lernte sie in San Francisco kennen.

Die Landwirtschaft der Eltern hat das Paar vor ein paar Jahren übernommen, sie züchten Bio-Angusrinder. Vermarktet werden sie, wie schon bei Bauers Vater, nun in der Wirtschaft, die den Beinamen "Zum Queri" trägt. So wird das Lokal nun auch von der Landjugend genannt, für die es ebenfalls Ehrensache ist, an diesem Abend dabei zu sein: "Wir haben ja nicht viele Berühmtheiten, das gehört sich einfach", sagen sie. Dann lassen sich die jungen Leute Kellerbier und Schweinsbraten schmecken, was an diesem Abend neben Pastinakensuppe und Apfelkücherl serviert wird. "Dem Queri hätt' das gefallen", meint auch der "Sechzger" Anton März. Gut möglich, dass er recht hat.

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SZ vom 23.11.2019
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