Süddeutsche Zeitung

Prozess um Doppelmord von Krailling:"Man will einfach nur schreien"

Lesezeit: 3 min

Knapp zehn Monate nach der Tat beginnt der Prozess um den brutalen Doppelmord an zwei Mädchen im Münchner Vorort Krailling. Der Angeklagte Thomas S., Onkel der Toten, gibt sich vor Gericht selbstbewusst, lässt sich bereitwillig von den Fotografen ablichten - und schweigt. Der Staatsanwalt schildert unterdessen grausame Details, Zeugen sind noch immer fassungslos.

Anna Fischhaber

Die Stimme des jungen Beamten ist brüchig. "Manchmal ist es schwierig, die richtigen Worte zu finden, manchmal will man einfach nur schreien", sagt er zu Beginn seiner Befragung vor dem Landgericht München II. Eine Kollegin und er waren die ersten Beamten, die am Tatort eintrafen. Die Bilder wird der Polizist wohl nie vergessen: Das Bild der Mutter zum Beispiel, deren Hände blutverschmiert sind und die schreit: "Tun Sie doch etwas!"

Am Dienstag hat der Prozess gegen den Mann begonnen, der seine zwei kleinen Nichten brutal ermordet haben soll. Um kurz vor 10 Uhr betritt Thomas S. den Gerichtssaal. Mit einer halben Stunde Verspätung beginnt der Indizienprozess. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 51-Jährigen vor, Ende März 2011 die zwei Mädchen in Krailling getötet zu haben. Heimtückisch und aus Habgier.

Der Angeklagte hatte die Tat bei der ersten Vernehmung abgestritten und sich dann nicht mehr zum Geschehen geäußert. Doch einiges spricht gegen ihn - so wurde am Tatort sein Blut gefunden. Zum Prozessauftakt gibt sich Thomas S. selbstbewusst. Er lässt sich bereitwillig von den Fotografen ablichten, einmal lächelt er sogar.

Der 51-Jährige trägt eine helle Jeans, Turnschuhe und einen grauen Pulli, seine halblangen Locken sind weg, genau wie der Bart, er hat deutlich an Gewicht verloren. Auf den Fotos nach seiner Festnahme sah er ganz anders aus. Der Mann ist kaum wiederzuerkennen.

Dann liest der Staatsanwalt die Anklageschrift vor: Das Motiv für den Doppelmord soll die drohende Zwangsversteigerung des Hauses von Thomas S. in Peißenberg gewesen sein. Demnach hatte der Postzusteller einen teuflischen Plan gefasst: Der damals 50-Jährige habe seine Schwägerin Anette S. und ihre Töchter umbringen wollen, damit seine Frau ihr Geld erben würde - und habe das Ganze als "erweiterten Suizid zu tarnen" versucht.

Der Plan scheitert. Die Mutter ist in der Nacht auf den 24. März 2011 nicht zu Hause. Anette S. tritt in dem Prozess nun als Nebenklägerin auf, doch an diesem ersten Tag erscheint sie nicht vor Gericht. Nur ihre Anwältin Annette von Stetten, die bereits im Prozess um den Mord an Dominik Brunner dessen Eltern vertreten hatte, nimmt vorne Platz.

Als der Staatsanwalt den brutalen Tathergang schildert, schüttelt Thomas S. immer wieder den Kopf - er ist offenbar nicht mit der Anklageschrift einverstanden. Diese schildert grausame Details. Zunächst soll Thomas S. demnach versucht haben, die schlafende Chiara mit einem mitgebrachten Seil zu erdrosseln. Die elfjährige Sharon hatte offenbar mitbekommen, dass der Onkel ihre kleine Schwester würgte und wollte fliehen. Sie schaffte es nur bis in die Wohnküche, dort habe sich ihr der Mann in den Weg gestellt und sei mit einer Hantel auf sie losgegangen. Als sich seine Nichte wehrte, griff er zum Messer.

Während Sharon um ihr Leben kämpfte, versuchte die bereits schwer verletzte Chiara von innen die Tür zum Kinderzimmer zuzudrücken - sie muss "Todesängste" verspürt haben, so die Staatsanwaltschaft. Die Anklage wirft Thomas S. weiter vor, nach dem Mord an Sharon die Tür zu Chiaras Zimmer aufgedrückt und die Achtjährige mit der Hantel erschlagen zu haben. Danach brachte er das sterbende Kind ins Schlafzimmer der Mutter. "Chiara starb an den massiven Gewalteinwirkungen."

Am ersten Prozesstag zeigt eine junge Beamtin von der Spurensicherung Fotos vom Tatort. Die Bilder zeigen das Zuhause von Anette S. und ihren Töchtern, die Wände sind bunten Farben bemalt, im Kinderzimmer hängen Tierbilder. Dazwischen Blutspuren, im Flur, in der Küche, im Kinderzimmer. An Türen, auf Stühlen, auf dem Tisch, selbst auf der Toilette ist Blut. Thomas S. wendet die ganze Zeit den Blick nicht von den Bildern ab, erst als das Schlafzimmer der Mutter im Dachgeschoss und der blutige Abdruck von Chiaras Leiche zu sehen sind, beugt er sich vor und flüstert seinem Anwalt etwas ins Ohr.

Die Fotos zeigen auch die Eckbadewanne in der Küche, halbvoll mit Wasser. Auf dem Wannenrand liegt ein eingestecktes Elektrogerät, ein Küchenmixer ohne Stäbe, halbverdeckt von Badetüchern. Für die Staatsanwaltschaft ist es ein Indiz dafür, dass der Täter auch die Mutter umbringen und die Tat als Suizid tarnen wollte.

Doch Anette S. kam in jener Nacht erst später nach Hause. Nach langer Wartezeit, so die Staatsanwaltschaft, habe Thomas S. schließlich den Tatort verlassen - aus Angst beobachtet zu werden.

"Zum jetzigen Zeitpunkt macht mein Mandant keine Angaben", lässt Thomas S. am ersten Prozesstag durch seinen Anwalt Adam Ahmed ausrichten. Möglicherweise werde er zu einem späteren Zeitpunkt etwas sagen. Der Verteidiger hatte die Theorie der Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld "kühn" genannt.

Der SZ hatte er zudem gesagt, dass man sich fragen müsse, ob es nicht zwei Täter gebe - unabhängig von Thomas S. Der Anwalt will im Prozess die Rolle von Ursula S., der Ehefrau von Thomas S. und Schwester von Anette S., hinterfragen - zum Beispiel, ob sie von der Finanznot nicht hätte wissen müssen. Auch auf diese Antworten sei er "sehr gespannt".

Bei dem Prozess sollen insgesamt mehr als 50 Zeugen aussagen - neben Ursula S. auch die Mutter der ermordeten Mädchen und ein Mithäftling von Thomas S., dem er die Tat angeblich gestanden hat. 13 Prozesstage sind angesetzt, das Urteil soll am 27. März fallen.

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