Prozess:Alkohol, Widersprüche und großes Durcheinander

Nach einem handfesten Streit in der Berger Flüchtlingsunterkunft bleiben die beiden Angeklagten aus Pakistan straffrei

Von Armin Greune, Pöcking

Mit Freispruch hat vor dem Starnberger Amtsgericht ein recht aufwendiger Prozess gegen zwei Asylbewerber aus Pakistan geendet. Die beiden 36 und 24 Jahre alten Angeklagten waren der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt worden. Laut Anklage hatte der Ältere vor gut einem Jahr einem Landsmann und Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft in Berg die Faust ins Gesicht geschlagen, während der jüngere Mann das Opfer angeblich von hinten umklammert hielt.

Die Angeklagten bestritten die Vorwürfe: Der 24-Jährige bestritt eine Beteiligung am Konflikt; er sei erst später am Tatort erschienen. Der 36-Jährige - bis zu seiner Flucht in Pakistan ein Rechtsanwalt - bestätigte zwar, dass es zum Streit und gegenseitiger Schubserei ohne Verletzungen gekommen sei. Sein 28-jähriger Kontrahent habe wohl deswegen Anzeige erstattet, weil der 36-Jährige am Nachmittag vor der Auseinandersetzung seinetwegen bei der Polizei vorgesprochen hatte. "Er ist häufiger betrunken, hat mich belästigt, beschimpft und mit einem Messer bedroht", sagte der Angeklagte.

Obwohl zwei Dolmetscher zur Verfügung standen - ein Zeuge sprach nicht das in Pakistan gebräuchliche Urdu, sondern Paschtunisch, wie es in Afghanistan gesprochen wird - gestaltete sich die Beweisaufnahme sehr mühsam. Was vielleicht auch an der Hitze im Gerichtssaal lag oder am Ramadan, dessen Fastengebot die größtenteils muslimischen Zeugen Energie kostete. Einig waren sie sich nur in dem Punkt, dass sie dem 28-Jährigen ein schweres Alkoholproblem attestierten. Auch der Geschädigte selbst wiederholte mehrfach, dass er zur Tatzeit betrunken war. Erst nach vielen Nachfragen durch Richterin Christine Conrad ergab sich, dass der 28-Jährige wohl erst im Nachhinein auf einen Faustschlag schloss, als seine Schläfe stark angeschwollen war und er Zahnbeschwerden hatte.

Auch die übrigen Zeugen gaben widersprüchliche Aussagen ab. Ein 38-Jähriger wollte eine Watschn und einen Fausthieb gesehen haben. Ein anderer Flüchtling sprach von einer verbalen Auseinandersetzung und leichten Schubserei - laut dem polizeilichen Protokoll aber habe er beobachtet, wie der am Boden liegende 28-Jährige mit Fußtritten traktiert worden sei. Überhaupt standen die in den Vernehmungsprotokollen festgehaltenen Aussagen in krassem Gegensatz zu den vor Gericht abgegebenen Statements. Der 38-Jährige erklärte, damals habe in der Asylunterkunft "großes Durcheinander" geherrscht. Die Zeugen seien auf arabisch befragt worden, das sie rudimentär verstanden, der Übersetzer habe dann die Aussagen auf Englisch an die Beamten weitergegeben.

Folglich sprach einer der Verteidiger im Abschlussplädoyer von "etwas eigenartiger Ermittlungsarbeit". Weiteres konnte er sich sparen, da zuvor bereits die Anklägerin Freispruch gefordert hatte. Die Richterin konnte sich zwar nicht vorstellen, das "alles frei erfunden ist, was die Polizei aufgenommen hat". Doch die "sehr unterschiedlichen Aussagen der Zeugen" hätten nicht unbedingt glaubhaft gewirkt und der Geschädigte habe "eigentlich gar keine Erinnerung mehr." An dessen Adresse richtete Conrad den Appell, seinen Alkoholkonsum zu mäßigen.

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