Prostituiertenfilm:"Welche Frau in meinem Alter kriegt noch regelmäßig Sex?"

Domina, Bordellchefin und Großmutter: Der Film "Frauenzimmer" begleitet drei Prostituierte der Generation 50-plus. Die Starnberger Regisseurin Saara Aila Waasner über die Menschen dahinter.

S. Popp

Der Film Frauenzimmer zeigt drei Berliner Frauen um die 50, die ihr Geld mit Sexarbeit verdienen: Christel, 59, Paula, 49, und Karolina, 65, arbeiten im Wohnzimmer ihrer Wohnung, im Bordell oder im eigenen Dominastudio. Die Starnberger Regisseurin Saara Aila Waasner, 29 Jahre alt, hat sie acht Monate lang mit der Kamera begleitet, befragt und ihre Geschichten auf die Leinwand gebracht. Frauenzimmer ist Waasners Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg und wird am Montag um 0:05 Uhr im ZDF gezeigt.

Film Frauenzimmer

Saara Aila Waasner hat Frauenzimmer gedreht. Der Film läuft am 8. November um 0:05 Uhr im ZDF. 

(Foto: oh)

sueddeutsche.de: In Ihrem Film geht es um Frauen um die 50, die ihr Geld mit Sexarbeit verdienen - wie kamen Sie auf die Idee?

Saara Aila Waasner: Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählte eine Bekannte, dass ihre Patentante als Sexarbeiterin arbeitet, obwohl sie über 60 ist. Ich war gerade auf der Suche nach einem Thema für meinen Abschlussfilm und habe gleich angefangen zu recherchieren. Es waren mehr ältere Frauen, als ich dachte, die ihr Geld auf diese Weise verdienen.

sueddeutsche.de: Welche Geschichte aus dem Film hat Sie besonders berührt?

Waasner: Christels Geschichte hat mich gerührt. Sie war verheiratet, hat vier Kinder und führte ein sehr bürgerliches Leben. Also nicht so, wie man sich den Lebenslauf einer Prostituierten vorstellt. 30 Jahre lang konnte sie ihre Sexualität nicht leben, weil sie manisch depressiv war. Mit Ende 40 ist sie da einen extremen Schritt gegangen und lebt sich jetzt auch in der Prostitution aus.

sueddeutsche.de: Dieses Motiv des "Auslebens" findet sich bei allen drei Frauen - sie sehen in der Sexarbeit eine Art Befreiung. Ist das nicht ein sehr euphemistischer Blick auf das Gewerbe?

Waasner: Man muss dazu sagen, dass Frauenzimmer bestimmt kein Film über die Prostitution an sich ist. Es ist vielmehr ein Portrait dieser drei Frauen, die in der Prostitution arbeiten. Natürlich gibt es auch Frauen, die mit ihrer Arbeit anders umgehen.

sueddeutsche.de: Und wie gehen die Frauen damit um, dass sie in einem Beruf arbeiten, der meistens mit jungen und faltenfreien Körpern verbunden wird?

Waasner: Sehr unterschiedlich. Wenn zum Beispiel Karolina, die Domina in dem Film, in einen Raum kommt, das ist ein Wow-Effekt. Sie ist jetzt 65 und hat Beine, das ist unglaublich. Da drehen sich auch die jungen Männer um. Das weiß sie und genießt es. Für Christel und Paula gehört das Älterwerden mehr dazu.

sueddeutsche.de: Warum machen die Frauen das?

Waasner: Mit Sicherheit ist es eine gewisse Art von Emanzipation. Die drei Frauen gehen sehr selbstbestimmt ihrer Tätigkeit nach und sind zufrieden, so wie ihr Leben jetzt ist.

Drei Frauen mit großer Wirkung

sueddeutsche.de: Wie sind Sie an die Darstellerinnen gekommen?

Film Frauenzimmer

Christel hat nicht den typischen Lebenslauf einer Prostituierten. Sie war Sekretärin, verheiratet und hat vier Kinder. Mit Ende 40 ging sie dann den extremen Schritt.

(Foto: oh)

Waasner: Ich habe mich im Internet durch die Erotikportale geklickt. Ungefähr 80 Frauen habe ich angerufen, denn die Telefonnummer steht immer dabei. Wichtig war es, Protagonistinnen zu finden, die dazu stehen und die es nicht aus der Bahn wirft, wenn der Nachbar sie plötzlich auf den Film anspricht.

sueddeutsche.de: Die drei Frauen kommen alle aus Berlin. Ihre früheren Filme haben hingegen oft in München gespielt. Warum diesmal in der Hauptstadt?

Waasner: In München hätte es mit Sicherheit auch Protagonistinnen gegeben. Aber in Berlin dürfen die Frauen auch in ihrer Privatwohnung arbeiten, was für den Film und die Dreharbeiten von Vorteil war. Wir haben dann mit der einen am Vormittag gedreht, dann hatte sie mehrere Kundentermine und wir sind zur nächsten gegangen.

sueddeutsche.de: Wodurch gelingt es, dass die Frauen so viel Privates vor der Kamera preisgeben?

Waasner: Wir haben uns vor den Dreharbeiten in regelmäßigen Abständen ohne Kamera getroffen. Stück für Stück hat man sich besser kennengelernt. Ich habe den Partner getroffen und die erwachsenen Kinder fanden es spannend, wer da immer kommt und einen Film machen will. Am Ende waren auch die Familien bereit, in dem Film mitzumachen. Nur die eine Tochter von Christel wird nicht befragt. Sie ist Lehrerin in der Schweiz und will nicht auf dem nächsten Elternabend erklären müssen, welchem Beruf die Mutter nachgeht.

sueddeutsche.de: Wie reagiert denn das Umfeld generell auf den Job?

Waasner: Die Familien haben es akzeptiert. Es kommt auch nur selten vor, dass der Partner zu Hause ist, wenn sie Kunden empfangen. Und wenn eines der Kinder mit den Enkeln da ist, dann ist das keine Arbeitszeit.

sueddeutsche.de: Welche Szene in dem Film ist Ihnen selbst wichtig?

Waasner: In einer Szene wird Karolina von ihrem Sklaven mit der Fahrradrikscha durch Berlin gefahren. Sie sitzt dabei im Wagen, genießt den Ausblick und trinkt ein Glas Sekt. Irgendwann reicht sie das Glas nach oben und gibt es an ihn weiter. Den Moment mag ich, denn er zeigt eine sehr persönliche Komponente, die immer wieder bei den Frauen durchkommt.

sueddeutsche.de: Zur Berlinale 2010 hat der Film Premiere gefeiert. Wie waren die Reaktionen?

Waasner: Das Publikum hat an den richtigen Stellen gelacht oder war still und nachdenklich. Als die Frauen danach vor dem Kino standen, kamen wildfremde Menschen auf sie zu und haben sie umarmt. Viele Leute haben ihre eigene Geschichte erzählt, auch wenn diese überhaupt nichts mit Prostitution zu tun hatte. Sie haben Verhaltensmuster wiedererkannt. Das ist toll, dass die Frauen es geschafft haben, bei anderen so etwas auszulösen.

sueddeutsche.de: Hat sich für die Protagonistinnen etwas geändert seit dem Film?

Waasner: Christel ist jetzt dabei, sich langsam 'rauszuschleichen'. Karolina hat ihr Studio geschlossen und will als Tätowiererin arbeiten. Und Paula arbeitet jetzt als Immobilienmaklerin. Ich glaube, das hat nicht unbedingt mit dem Film zu tun, sondern die Frauen waren gerade an einer Schwelle in ihrem Leben. Christel sagt, mit dem Film hat sie nun eine Zusammenfassung von ihrem Leben.

Saara Aila Waasner wurde im Mai 1981 in Starnberg geboren. Als Schülerin arbeitete sie in München bei verschiedenen Kurzfilmen mit und machte nach dem Abitur 2001 Praktika bei Film- und Fernsehproduktionen. Seit 2003 studiert Waasner an der Filmakademie Baden-Württemberg. 2005 entsteht Leise Fluchten, ein Film über Münchner Jugendliche, die auf der Straße leben. Frauenzimmer wird in der Nacht auf Dienstag, am 8. November um 0:05 Uhr im ZDF in der Reihe "Das kleine Fernsehspiel" gezeigt.

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