Es ist natürlich ein Porsche, der in Percha in der Tiefgarage steht. Ein Dienstwagen, gratis zur Verfügung gestellt von dem Autokonzern, der diese Flitzer herstellt, und das auch noch lange nach dem Abschied in den Ruhestand. So ist das nun mal, wenn jemand weit genug oben in der Hierarchie des Unternehmens in Stuttgart gearbeitet hat. „Mit Service“, ergänzt Anton Hunger aus Kempfenhausen schmunzelnd. Den Kundendienst für seinen Porsche Panamera darf er bis zu seinem Lebensende in Anspruch nehmen. „Dafür muss ich zwar nach Stuttgart fahren, aber das ist nun auch kein hartes Los“. Der 77-Jährige hat ein Herzleiden und eine Krebserkrankung überstanden, ist nach wie vor gern unterwegs, schreibt Essays, Bücher und Reden. „Mit Nichtstun kann ich nichts anfangen“, sagt er.
Das ist nicht zu übersehen bei einem Besuch in seinem Büro an der Ortsdurchfahrt von Percha, nur fünf Minuten zu Fuß entfernt vom Nordufer des Starnberger Sees. Etwa ein Dutzend Bücherstapel sind am Boden aufgereiht, auf einem liegt die Abhandlung von Elke Heidenreich über das Altern obenauf. Die Regale an den Wänden sind gefüllt mit Literatur und Aktenordnern, ein Terminkalender liegt aufgeklappt auf einem großen und sehr aufgeräumten Schreibtisch mit Bildschirm und Tastatur. In der Luft hängt mild der Geruch von Zigarillos. Es ist der Arbeitsplatz eines Rentners.
Hunger war 17 Jahre lang Unternehmenssprecher an der Seite von Firmenchef Wendelin Wiedeking. „Das war eine unheimlich spannende Zeit bei Porsche“, sagt er. Wenn er davon erzählt, ist er kaum mehr zu stoppen, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und verliert sich in Details. Und das alles in einem angenehmen schwäbischen Tonfall, der noch deutlich zu vernehmen ist, obwohl der gelernte Journalist, der im Bayerischen Wald geboren wurde und in Baden-Württemberg aufgewachsen ist, schon seit mehr als 30 Jahren in Kempfenhausen wohnt.
Direkt spitzbübisch klingt das, stellenweise wie ein großes Abenteuer. Wie er vom Industriemagazin in München abgeworben worden sei, wie er an seinem ersten Arbeitstag Überzeugungsarbeit leisten musste, dass einer wie er überhaupt gebraucht werde und wie das dann mit einem „scharfen Getränk“ begossen wurde. Und dann habe er den Vorständen gleich beigebogen, wie er sich die Zusammenarbeit vorstellt: „Die wichtigste Forderung von mir war: Ich bin bei Vorstandssitzungen mit dabei. Ich will nicht erst danach informiert werden“. Und Wiedeking habe er recht nassforsch klargemacht: „Ich definiere alleine, wie Sie in der Öffentlichkeit auftreten.“ Er sah sich da in einer Art Schutzfunktion, hatte darauf zu achten, dass sich Vorstände in der Öffentlichkeit nicht unvorsichtig oder zum falschen Zeitpunkt äußern. Ein Satz, ein Wort konnte ja Börsenkurse in die Höhe treiben oder abstürzen lassen.


Eine spannende Zeit, aber nicht immer einfach, denn rückblickend stellt der ehemalige Kommunikationschef auch fest: „Das war eine harte Zeit. Als ich im September 1992 hinkam, war das Unternehmen so gut wie pleite. Ich musste damals Verluste verkaufen. Das war nicht lustig.“ Und dann auch noch ein Ermittlungsverfahren und eine Anklage. Im Zusammenhang mit der Übernahme von VW durch Porsche wurde ihm irreführende Kommunikation und Beihilfe zur Manipulation der Finanzmärkte vorgeworfen; der ehemalige Hauptabteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit und Presse habe im Übernahmekampf unrichtige Erklärungen vorbereitet und zur Veröffentlichung freigegeben.
Hunger musste mit einer sechsstelligen Geldstrafe rechnen. Doch 2016 wurde das Verfahren eingestellt. Hunger ist zu sehr Profi, um bei der Geschichte zu sehr ins Detail zu gehen, schließlich stehe eine letzte Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch aus. Zu der Anklage sagt er: „Das hat mich beinahe mehr getroffen als die Krebserkrankung“.
Der Tumor wird bei einer Operation festgestellt
Bei einer Prostata-Operation in einer Urologischen Klinik wurde eher zufällig aber noch rechtzeitig ein Tumor entdeckt. Wegen eines schon länger bekannten Herzleidens, das einen Bypass notwendig gemacht hatte, sollte er nicht operiert werden, darum wurde der Krebs mit 40 Bestrahlungen bekämpft. Schließlich erfolgreich. „Ich bin ich wieder zurück im Leben“, sagt Hunger. Auch diese Episode ist in seinem neuesten Buch nachzulesen. Recht lapidar kommt auf Seite 134 der Absatz über den Tumor daher. Doch die eigene Endlichkeit scheint ihn zu beschäftigen.
„Loslassen“, heißt dieses Buch. Es handle davon, „wie man das Alter mit Gelassenheit schafft“, verspricht der Untertitel. Ein Ratgeber ist das allerdings nicht. Es ist eher Assoziationskette, ein Sammelsurium von Erinnerungen, Anekdoten, Gedanken zu Alter und Tod, ergänzt mit zahlreichen Zitaten. Eine klare Struktur, ein roter Faden fehlt. Hunger nennt das knapp 200 Seiten umfassende Werk Essay. Vier Romane und acht Sachbücher hat er schon veröffentlicht.
„Das mit dem Loslassen ist mir noch nicht gelungen.“
Das Schreiben ist seine Leidenschaft. „Mein Leben ist ohne Druck und Papier nicht vorstellbar“, ist in seinem Buch nachzulesen. Er hatte bei der Südwest-Presse Schriftsetzer gelernt, später Volkswirtschaft studiert und vor seiner Zeit in der Autoindustrie bei verschiedenen Zeitungen gearbeitet. Und beim Gespräch in seinem Büro erklärt er: „Ich mache, was ich kann und was mir Spaß macht“. Er arbeitet als Kommunikationsberater, verfasst Reden für Manager und Verbandspräsidenten, Beiträge in verschiedenen Zeitschriften; über die Hoffnung etwa oder über qualitatives Wachstum. „Damit fühle ich mich ausgelastet.“
Und wie war das mit dem Loslassen? Da muss Hunger, der eigentlich seit 16 Jahren im Ruhestand ist, lachen: „Das mit dem Loslassen ist mir noch nicht gelungen. Ich halte das nach wie vor für eine große Tugend, aber ich tue mich schwer damit.“ In seiner Handy-Nummer kommt die Zahlenkombination 911 vor, die steht für die bekannteste Baureihe von Porsche. Die Telefonnummer wollte er unbedingt behalten. Mit seinem früheren Chef Wendelin Wiedeking ist Hunger nach wie vor freundschaftlich verbunden und gehört dem Vorstand seiner Stiftung an, die gemeinnützige Projekte in den Bereichen Soziales, Kultur und Wissenschaft fördert.
Am 8. Oktober stellt Anton Hunger in der Oskar-Maria-Graf-Buchhandlung in Berg sein Buch über das Loslassen vor. Die Lesung in Zusammenarbeit mit dem SPD-Ortsverein beginnt um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Reservierung per E-Mail an info@omg-buchhandlung.de.

