Jugendgericht Starnberg:„Ich dachte, das wäre einer von den Blauen.“

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Auf der Treppe des Stockdorfer Bahnhofs sind ein Zivilpolizist und ein junger Mann etliche Stufen herabgestürzt. Dabei wurde der Beamte erheblich verletzt.
Auf der Treppe des Stockdorfer Bahnhofs sind ein Zivilpolizist und ein junger Mann etliche Stufen herabgestürzt. Dabei wurde der Beamte erheblich verletzt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die nächtliche Kontrolle eines jungen Fans durch einen Polizisten wegen eines Fußball-Aufklebers gerät auf dem Stockdorfer Bahnhof aus dem Ruder: Beide stürzen eine Treppe herab und verletzen sich. Der Angeklagte behauptet, der Beamte habe sich nicht als Zivilpolizist ausgewiesen.

Von Christian Deussing, Gauting

Wegen Graffiti, Tags und Sachbeschädigungen hatte die Polizei den Stockdorfer S-Bahnhof im vergangenen Frühjahr schon häufiger im Visier. So auch am 30. März kurz nach Mitternacht, als ein Zivilpolizist einen jungen Mann vor der Treppe auf dem Bahnsteig kontrollieren wollte. Der junge Mann hatte offenbar kurz zuvor mit einem FC Bayern-Sticker ein blaues TSV-Emblem der Sechziger überklebt. Laut Anklage entzog sich der Schüler jedoch der polizeilichen Überprüfung, entzog sich dem Griff des Fahnders und flüchtete über die Treppe hinunter vom Bahnsteig. Dabei stolperte er jedoch und stürzte ebenso wie der Beamte, der ihn am Oberarm und an der Jacke festhalten wollte. Bei der Aktion war der Polizist mit dem linken Fuß umgeknickt, zudem erlitt er Zehenbrüche sowie einen Abriss der Außenbänder. Nach dem Vorfall war der Beamte monatelang dienstunfähig.

Jetzt musste sich der 19-jährige Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und fahrlässiger Körperverletzung vor dem Starnberger Jugendgericht verantworten. „Ich dachte damals, das wäre einer von den Blauen und fühlte mich bedroht“, sagte der Angeklagte.  Zudem habe er den großen vollbärtigen Mann nicht als Polizisten wahrgenommen, der ihn geduzt und seinen Dienstausweis nicht gezeigt habe, behauptete der 19-Jährige, der sich beim Sturz auf der Treppe Schürfwunden und eine Prellung zugezogen hatte.

Auf die Frage des Richters, ob der Bereich des Stockdorfer Bahnhofs als Hochburg der Sechziger-Fans gelte, sagte der betroffene Zivilfahnder, dass in diesem Gebiet beide Fanszenen vertreten seien. Er wundere sich aber darüber, dass er auf dem Bahnsteig vom Angeklagten für einen möglichen Anhänger der 1860er gehalten worden sei, denn er habe eine rote Weste getragen. Der Beamte versicherte zudem, seinen Dienstausweis vorgezeigt zu haben, um zu verdeutlichen, dass es sich um eine polizeiliche Kontrolle handelte.

Ein weiterer Zivilpolizist hatte sich vor dem Bahnhof aufgehalten und war seinem Kollegen in der Unterführung zu Hilfe geeilt. Nach einem kurzen Gerangel, bei dem auch ein Freund des damals leicht angetrunkenen Angeklagten mitgemischt hatte, entspannte sich aber die Situation. Denn nun erkannten die jungen Leute endgültig, dass sich tatsächlich Polizisten im Einsatz befanden.

Auch der Stockdorfer Bahnhof wird immer wieder mit Aufklebern und Graffiti „verziert“, was als Sachbeschädigung gilt.
Auch der Stockdorfer Bahnhof wird immer wieder mit Aufklebern und Graffiti „verziert“, was als Sachbeschädigung gilt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Für den Verteidiger des jungen Mannes waren die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nicht plausibel. Er verwies darauf, dass in dem Verfahren „Aussage gegen Aussagen stehen“. Der Anwalt warf dem Beamten auch „Belastungseifer aus Eigeninteresse“ vor, weil er seinen Mandanten auch auf mindestens 5000 Euro Schmerzensgeld wohl wegen entgangener Wochenend- und Nachtzuschläge verklagt habe. Der Verteidiger forderte daher einen Freispruch, die Staatsanwältin hingegen einen Freizeitarrest.

Das Gericht befand, dass sich die Anklage im Wesentlichen bestätigt habe und verurteilte den 19-jährigen Angeklagten zu 48 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Der Richter hielt die Aussagen des betroffenen Polizisten für glaubwürdig und vermochte beim Beamten auch keinen Belastungseifer erkennen.

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