Politik:Verzögert, verweigert, verfahren

Turbulent wie nie zuvor gestaltet sich die Kommunalpolitik in Starnberg. Zwischen Stadtrat und Bürgermeisterin kommt es zu erbitterten Auseinandersetzungen, sogar ein Disziplinarverfahren wird angestrengt. Nur ein Thema ist entschieden: Der B2-Tunnel wird von 2018 an gebaut

Von Peter Haacke, Starnberg

Rechtliche Auseinandersetzungen, Strafanzeigen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Disziplinarverfahren prägen das vierte Jahr der Amtszeit der Ersten Bürgermeisterin in der Geschichte Starnbergs. Eva John interpretiert Öffentlichkeitsarbeit, Transparenz und die Gemeindeordnung auf völlig neue Art: Sie weigert sich wiederholt, Aufträge des Stadtrats zu erledigen. Hier die Höhe- und Tiefpunkte eines denkwürdigen politischen Jahres.

Tunnel und Umfahrung

Die wichtigste Entscheidung für die Kreisstadt fällt in der Nacht zum 21. Februar. In einer historischen Sitzung entscheidet der Stadtrat mit 19 zu 12 Stimmen: B2-Tunnel bauen, Umfahrung planen. Ausschlaggebend für das Votum ist im Januar ein Gespräch im Innenministerium zwischen Vertretern der Obersten Baubehörde und den neun Fraktionen, nachdem man 30 Monate lang vergeblich auf einen Bericht der Bürgermeisterin zur Machbarkeit einer Umfahrung gewartet hatte. Die Botschaft aus dem Ministerium: Ohne Tunnel keine Umfahrung. Ein Bürgerbegehren gegen den Tunnel lehnt der Stadtrat ab, die Initiatoren reichen dagegen Klage ein; darüber entschieden wird 2018. Der Stadtrat beschließt, das Gesprächsprotokoll an alle Bürger zu versenden - ein Auftrag, den John bis heute nicht erfüllt hat.

Wangener Weiher

Weiterhin groß ist die Empörung über den Verkauf des Wangener Weihers zum Spottpreis an einen Privatmann. Die Kommunale Rechtsaufsicht stellt dazu fest, dass John den Weiher gar nicht hätte verkaufen dürfen. Dennoch bleibt das Geschäft vorerst ebenso folgenlos wie eine anonyme Strafanzeige. Allerdings verweigert der Stadtrat der Bürgermeisterin mit 15 zu 13 Stimmen die Entlastung fürs Haushaltsjahr 2015. Grund: die dubiosen Umstände um den Weiher-Verkauf, ungeklärte Auftragsvergaben, unzureichende Dokumentationen.

Verkehrsentwicklungsplan

Steckenpferd der Bürgermeisterin bleibt der Verkehr. Doch das Blatt wendet sich. Einem Antrag aus der Bürgerversammlung 2015 folgend werden alle weiteren Untersuchungen gestoppt, bis eine Entscheidung zu Tunnel oder Umfahrung gefällt ist. Alle übrigen Ergebnisse aus dem Verkehrsentwicklungsplan - angeblich zu 90 Prozent fertiggestellt - hält John unter Verschluss.

Machtproben

Im Bauausschuss kommt es im Januar zur ersten Machtprobe über Anfangszeiten von Sitzungen: John startet die Veranstaltung trotz Protests um 16 Uhr, insbesondere Berufstätige boykottieren den Termin. Eine Neuauflage folgt bei einer vom Stadtrat beantragten Sondersitzung zum Thema Verkehr: Zweimal hintereinander legt John den Termin im November unter Missachtung von Fristen und Beschlussfähigkeit auf 9 Uhr morgens. Erst im dritten Anlauf tagt das Gremium rechtskonform.

Fachoberschule

Die Bürgermeisterin will das Grundstück am Seilerweg, auf dem die Fachoberschule (FOS) errichtet werden soll, dem Landkreis plötzlich nicht mehr zur Verfügung stellen. Sie bringt den Standort hinter dem "Creativ Center" ins Spiel. Der Stadtrat votiert dagegen, Landrat Karl Roth setzt ein Ultimatum - und John ändert eigenmächtig die Konditionen. Nach zwei Jahren zäher Verhandlungen soll der Kaufvertrag nun am 28. Dezember unterzeichnet werden.

Centrum

Trotz eklatanter Raumnot im Rathaus und wiederholter Angebote geht die Stadt beim "Centrum" leer aus: Die Bürgermeisterin vereitelt - gegen den ausdrücklichen Willen des Stadtrats - konsequent den Erwerb von Ladenpassage, Tiefgarage und Büroflächen, die nun anderweitig verkauft sind.

Straßenausbaubeitragssatzung

Das Verwaltungsgericht München erachtet im März die von John 2015 gefällte Entscheidung, die Straßenausbaubeitragssatzung außer Kraft zu setzen, für rechtswidrig. Starnberg klagt weiter: Die Stadt strebt am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Revision gegen das Urteil an.

Hanfeld

Am Ortsrand von Hanfeld stinkt's. Die Stadt lagert neben einer Pension teerhaltigen Straßenaufbruch aus der Sanierung von Ortsdurchfahrt und Kanalisation. Allen Protesten der Anlieger zum Trotz ändert sich monatelang nichts. Erst im Herbst liegt eine Genehmigung zur Lagerung des Materials am Betriebshof vor.

Kapriolen

Nach der Entscheidung um den Tunnel liegen bei Bürgermeisterin John im Februar die Nerven blank: Die Bürgermeisterin verlässt unter Tränen die tags darauf anberaumte Sitzung und malträtiert eine Tür. Eine weitere Sitzung verlässt sie vorzeitig zugunsten einer Kabarettshow, im Juli ist ein Schülerkonzert wichtiger als die Sondersitzung zum Gewerbegebiet Schorn.

Rekorde

Hoffnungslos überfrachtet sind die Tagesordnungen der Stadtratssitzungen im Jahr 2017, oft müssen Punkte vertagt werden. Am spätesten wird es am 27. März (18.30 bis 1.23 Uhr), am längsten geht es am 24. Juli (17 bis 0.28 Uhr) - also fast siebeneinhalb Stunden. Die kürzeste Sitzung des Jahres am 3. November (9 bis 10.38 Uhr) ist rechtswidrig einberufen. Von insgesamt 19 Sitzungen enden sieben nach Mitternacht.

Ermittlungen

Bei der Kommunalen Rechtsaufsicht am Landratsamt türmen sich die Beschwerden über die Bürgermeisterin. Die Landesanwaltschaft leitet im August ein Disziplinarverfahren ein. John steht im Verdacht, mehrfach Beschlüsse des Stadtrates nicht oder nicht fristgerecht vollzogen zu haben. Die Anwälte stützen sich auf einen Bericht des Vize-Bürgermeisters und Angaben der Kommunalen Rechtsaufsicht. Die Eröffnung des Verfahrens wird für 2018 erwartet. Der Stadtrat erhebt mehrheitlich eine Kommunalverfassungsklage gegen John.

Wasserpark

Um wenigstens 3,5 Millionen Euro teurer als die zunächst veranschlagten 19 Millionen wird die Sanierung des Wasserparks. Die anvisierte Wiedereröffnung des künftigen "Seebads" im Herbst entfällt, neuer Termin ist Ende April 2018.

Seeanbindung

Das wichtigste Thema für Starnberg, es geht um 100 Millionen Euro. Seit 2015 besteht der Stadtrat auf Gesprächen mit der Deutschen Bahn und verlangt ein Gutachten. Doch die Bürgermeisterin verharrt in Tatenlosigkeit. Erst mit erheblicher Verspätung unter Missachtung sämtlicher Fristen erledigt John unter höchstem Druck ihre Aufträge: Kurz vor Ablauf der im Bahnvertrag von 1987 genannten Frist wird für 2018 ein Streitschlichtungsverfahren mit Mediation vereinbart. Die Stadt will so eine Schadenersatzklage der DB vermeiden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: