Es ist laut in der Werkstatt der Bootswerft Markus Glas in Possenhofen am Starnberger See. Sägen und Schleifmaschinen kreischen. Gerade wird ein Freizeitsegler vom Typ L-35 hergestellt, ein Boot aus der Lake-Serie. Am Typ L-95 in der Nachbarwerkstatt wird gerade letzte Hand angelegt, bevor das Boot nach Österreich ausgeliefert wird. Die Fertigung der Holzboote in der Bootswerft Glas ist aufwendig. Rund 2000 bis 3500 Arbeitsstunden müssen investiert werden, bis ein zehneinhalb Meter langes Holzboot die Werkstatt verlassen kann. So viel handwerkliche Arbeit kostet natürlich. Für ein großes Boot müssen je nach Ausführung Preise von bis zu 400 000 Euro kalkuliert werden. Ein kleines Boot ist schon für 200 000 Euro zu haben.
Seit der Werkstoff Teak wegen des Embargos der Militärjunta in Myanmar verboten wurde, sind viele Bootsbauer nach Angaben von Firmenchef Maximilian Glas auf Kunststoff umgestiegen. Das sei viel billiger. Wie er vorrechnet, kostet das Material für ein Kunststoffboot rund 25 000 bis 30 000 Euro, Holz liegt etwa beim Dreifachen. Dennoch ist Kunststoff für Glas keine Alternative. Zwar hätten andere Materialien durchaus ihre Reize, aber dafür seien ganz andere Maschinen notwendig. „Wir machen seit 100 Jahren Holz und wir bleiben bei Holz“, betont er. „Holz ist ein natürliches Material und wesentlich schöner.“ Er ist daher nach dem Teak-Aus auf Doussiéholz umgestiegen. Und mit dem afrikanischen Hartholz, das ähnliche Eigenschaften wie Teak hat und obendrein noch härter ist, schaffe man noch eine Verbesserung, ist Glas überzeugt. Ein weiterer Vorteil: „Wir sind die Einzigen auf dem Markt.“ Holz habe viele Liebhaber, daher hat Glas auch einen festen Kundenstamm.
Sich auf Probleme einstellen und an den Markt anpassen – das war und ist die Erfolgsgeschichte der Familie Glas seit nunmehr 100 Jahren. Max Glas ist der Urenkel des Firmengründers Markus Glas senior und führt die Bootswerft nun in vierter Generation. „Stillstand gibt es nicht – wir gehen mit der Zeit“, erklärt er die Unternehmensphilosophie. Das sei schon beim Firmengründer der Fall gewesen.
Seit 1508 lebt und arbeitet die Fischerfamilie Glas in Possenhofen. Als das Fischereihandwerk vor 100 Jahren nicht mehr einträglich genug war, habe der gelernte Wagner und Fischer Markus Glas senior sich überlegt, was er noch machen könnte, um ein weiteres Standbein zu haben. Der Firmengründer war das achte von insgesamt 13 Kindern. Da einige im Ersten Weltkrieg gefallen waren, übernahm er das landwirtschaftliche Anwesen, musste aber seine Geschwister ausbezahlen. Wie sein Urenkel erzählt, hatte er die Idee, Ruderboote zu bauen für die reichen Münchner, die in den 1920er-Jahren ihre Freizeit am Würmsee verbrachten, wie der Starnberger See damals noch hieß.
Er machte also eine Lehre zum Bootsbauer und gründete 1924 eine Werft. Seine Ruderboote verkaufte er bis an den Chiemsee und überstand so die Wirtschaftskrise. Damals hatte Glas senior zwei Mitarbeiter, baute aber die Bootswerft in den 1930er-Jahren stetig aus. Er richtete eine Reparaturwerkstatt ein, baute erstmals Segelboote und bot darüber hinaus auch ein Winterlager an. Nach seinem Maschinenbau-Studium übernahm später sein Sohn Markus Glas junior den Betrieb. Dieser baute Motorboote und fuhr selbst Rennen. Im Jahr 1959 habe Glas junior einen Geschwindigkeitsrekord von genau 111,8 Stundenkilometern aufgestellt, erklärt Max Glas stolz.
Als Motorboote in den 1960er-Jahren auf dem Starnberger See verboten wurden, besann man sich wieder auf den Ursprung und kam auf die Produktion von Segelbooten zurück. Markus Wolfgang Glas, Werft-Chef in dritter Generation, führte die Firma nicht nur mit dem Bau des legendären Segelboots „Drachen“ zum Erfolg, er feierte selbst als Segelsportler Rekorde. Laut seinem Sohn Max wurde er 1981 Weltmeister, war fünfmal Europameister und zwölfmal Deutscher Meister. „Damals gingen Glas-Boote um die ganze Welt, bis in die USA“, erinnert sich Max Glas. Mehr als 50 Jahre arbeitete sein Vater Markus Wolfgang Glas in der Firma, bevor er an seinen Sohn Max übergab. In dieser Zeit wurden rund 200 Drachenboote gebaut, jeden Winter etwa zehn, erinnert sich der Seniorchef.
Nach 30 Jahren hat sich Markus Wolfgang Glas aus dem aktiven Segelsport zurückgezogen. Da der Drachen aber insbesondere für internationale Regatten hergestellt wurde, habe die Nachfrage nachgelassen, so Glas. Daraufhin wurde die Produktion eingestellt. Doch schon 1995 habe man angefangen, Typ-L-95-Boote zu bauen. Diese Boote hat es nach Angaben von Markus Wolfgang Glas schon unter Kaiser Wilhelm gegeben, doch dann sei die Produktion eingeschlafen. Er habe den Bootstyp „wieder aus der Schublade“ geholt, erklärt der Seniorchef.
In der Firmengeschichte gab es aber auch Rückschläge, etwa als im Winter 1962 ein Feuer die Werft sowie die Lagerhalle mit allen eingelagerten Booten zerstörte. In den 1990er-Jahren musste die Firma auch lange um eine neue Bootshalle kämpfen. Erst nach zwei Bürgerbegehren konnte der Neubau im Jahr 2000 umgesetzt werden. Die neue Halle bietet Platz für die Einlagerung von 250 Booten mit einer eigenen Reparaturwerkstatt. Heute gibt es neben der Winterlagerhalle mit Tiefgarage drei Werkstätten mit Baueinrichtungen für insgesamt sechs Boote sowie einen Maschinenraum mit Lager. Eine weitere Winterlagerhalle am Seeufer verfügt über drei Kräne, die bis zu zehn Tonnen schwere Boote heben können.
Bootsbaumeister Max Glas, der die Firmenleitung 2022 übernahm, hat nicht nur als Segler Erfolge gefeiert – im Jahr 2009 wurde er Vize-Europameister – er hat auch als Firmenchef eine glückliche Hand. Die Corona-Phase beispielsweise war für den Juniorchef eine sehr erfolgreiche Zeit. Man habe den Absatz steigern können, weil die Leute zu Hause bleiben mussten, sagt er.
Auf dem Areal gibt es auch einen Yachthafen, ein Restaurant und Ferienwohnungen. Zudem hat dort ein Segelclub seinen Standort. Heute arbeiten zehn Mitarbeiter in dem Unternehmen, davon vier Auszubildende. Im Sommer ist die ruhigste Zeit. Die diesjährigen Aufträge werden abgearbeitet, bevor die Boote in den Monaten Oktober und November aus dem See geholt und ins Winterlager verfrachtet werden. Anschließend werden die Aufträge für das kommende Jahr in Angriff genommen. „Dann beginnt unsere Hauptarbeitszeit“, erklärt Max Glas. Die fertigen Boote werden dann im darauffolgenden Frühjahr ausgeliefert.
Vorrangiges Ziel von Max Glas ist es, die Firma durch alle Höhen und Tiefen zu führen und sie „am Laufen zu halten“. Vergrößern will er das Unternehmen nicht mehr, wohl aber umbauen, wenn man ihn lässt. Er würde sich wünschen, die Werkstatt vom Seeufer weg in den hinteren Teil des Areals zu verlagern.