Klassik im Pöckinger Beccult:Epochale Dramen in Kurzfassung

Lesezeit: 2 Min.

Das junge Orchester "Philharmonie Starnberger See" überzeugt bei seinem Aufritt im Pöckinger Beccult mit Klangfülle und meisterhafter Rhythmisierung. (Foto: Nila Thiel/l)

Die Philharmonie Starnberger See unter Leitung von Anton Bernhard begeistert das Publikum mit Ouvertüren von Beethoven und Tschaikowsky.

Von Reinhard Palmer, Pöcking

Das Trauerspiel in fünf Aufzügen "Coriolan" von 1802 des Österreichers Heinrich Joseph von Collin kennt kaum jemand. Dennoch ist dessen Held zwar nicht aus der antiken Geschichtsschreibung, doch dank Beethovens gleichnamiger Schauspielouvertüre einem breiten Konzertpublikum bekannt. Denn kaum ein neu gegründetes Amateurorchester kommt an diesem Werk vorbei: Es ist geradezu ein Muss beim Erarbeiten symphonischen Musizierens im Orchester. Im dritten Projektprogramm war das Werk nun auch bei der Philharmonie Starnberger See dran: Der vom künstlerischen Leiter Anton Bernhard gegründete Klangkörper tastet sich alljährlich in jeweils mehrmonatigen Arbeitsphasen in der Aula des Gymnasiums Starnberg an das jeweilige Repertoire heran, um es in zwei Konzerten dem Publikum zu präsentieren. Und die sind - wie auch dieses Mal am Samstagabend im Pöckinger Beccult - in der Regel ausverkauft.

Ouvertüren sind im Grunde rein instrumentale Dramen in Kurzfassung, was sie ideal geeignet macht für das Erarbeiten von musikalischen Charakteren, Ausdrucksformen und erzählerischen Strängen. Sie sind kontrastreich, lassen sich relativ leicht fesselnd gestalten und bieten den Musikern Stoff für bildhafte Vorstellungen. Letzteres hilft bei der Formung von Ausdrucksnuancen und dem Ausbalancieren von Farbtönungen im Klang. Das sind schon recht anspruchsvolle Aufgaben, die nicht gleich auf Anhieb zu bewältigen sind. Aber Bernhard ist ein guter Motivator und am Pult vital, äußerst präzise und gestisch prägnant am Werk. Die Zügel sind kurz, aber nicht zu straff gespannt.

So gelang es, das kontrastreiche Ausdrucksprogramm in der Charakterisierung der zwiespältigen Gestalt zwischen rigid-kriegerischer Angriffslust und dem Erweichen auf Bitten von Mutter und Gattin, von der Belagerung Roms abzulassen, einem dramaturgischen Spannungsbogen einzuverleiben. Es ist schon ein großer Heldenepos, dem ein Orchester nicht kleinlich begegnen darf. Die Philharmoniker vom Starnberger See überraschten mit pointierender Rhythmik von spritziger Schärfe. Beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit und zackiger Präzision der große Apparat hier den Angriff meisterte. Die Lyrik des Flehens und Erweichens gelang auch mit fließender Melodik, nur für die Atmosphäre reichte es nicht ganz aus, was aber niemand von einem so jungen Orchester erwarten kann. Dennoch war schon einiges davon in Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre zu "Romeo und Julia" nach der Pause zu hören.

Das dürfte an der leidenschaftlich-romantischen Hintergrundgeschichte liegen, die eindeutig tiefer unter die Haut geht als Coriolans Herzerweichung. Hier zündeten die Philharmoniker noch einmal ein Feuerwerk: Die Substanzfülle und Fulminanz, die Bernhard seinen Philharmonikern hier verordnete, tat der Begeisterung der jungen Musiker sichtlich wohl. Die Höhepunkte steigerten sich zu gewaltiger Wucht. Im Kontrast dazu gelang es auch, wendig in weite Rücknahmen abzutauchen und stimmungsvolle - nicht selten süßliche - Melodik auszubreiten. So gelang es Bernhard, den dramaturgischen Bogen mit Spannung zu füllen und eine emotionale Berg- und Talfahrt zu kreieren, die eng an der Erzählung blieb.

Auch eine Solo-Einlage auf dem Alphorn ist für das Publikum ein besonderes Erlebnis

Die eingeschobene Interpretation des ersten Hornkonzerts op. 11 vom erst 17-jährigen Richard Strauss greift auf keine literarische Hintergrundgeschichte zurück, auch wenn es nicht an imaginativen Elementen fehlt. Vor allem im narrativen Solopart, in dem Christian Loferer, Hornist vom Bayerischen Staatsorchester, auf Führungsrolle und interpretatorischen Freiraum rücksichtsvoll verzichtete - offensichtlich, um das Orchester nicht zu überfordern. Dass der Komponist die drei Sätze des Konzerts attacca aufeinander folgen ließ, half den Instrumentalisten, den Spannungsbogen zu erkennen und in einer satzübergreifenden Dramaturgie auszuformen.

Der Feindifferenzierung Loferers konnten sie zwar nicht ganz folgen, aber die Ansätze verwiesen auf einen fortschreitenden Lerneffekt. In einer Solo-Zugabe auf dem Alphorn vor der Pause frönte Loferer seiner besonderen Leidenschaft: ohne Jodelmotive, dafür mit reichlich Jägerlatein. Ungewöhnlich waren die Zugaben des Orchesters nach frenetischem Schlussapplaus. Aber es ist eine gute Gelegenheit, früheres Repertoire zu erhalten - und eine Tradition zu begründen: Es sei beschlossen, dass Elgars "Nimrod" (9. Variation, Adagio) aus den Enigma-Variationen nach jedem Konzert erklingen soll, kündigte Maestro Bernhard an.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSoziales Engagement
:Leben retten mit Limonade

Jacob von Perger ist der Sohn eines bekannten Saftherstellers. Nun produziert er selbst Limonade - um verwaisten Kindern und Jugendlichen im südlichen Afrika zu helfen.

Von Astrid Becker und Arlet Ulfers

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: