Klassik trifft Moderne:Überraschende Effekte, extreme Kontraste

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In der Pöckinger Kirche St.Pius musizierte die Chorgemeinschaft Pöcking gemeinsam mit dem "ars musica chor Ottobrunn", Gesangssolisten und dem Kammerorchester Strigendo. (Foto: Georgine Treybal)

Unter musikalischer Leitung von Norbert Groh findet ein ungewöhnliches Konzert mit der Chorgemeinschaft Pöcking, dem „ars musica“-Chor, Solisten und dem Kammerorchester Stringendo statt.

Von Reinhard Palmer, Pöcking

In der Regel achten Musiker bei der Zusammensetzung ihrer Konzertprogramme auf eine gewisse Stimmigkeit, in zeitlicher, stilistischer oder inhaltlicher Hinsicht. Der Pöckinger Chorleiter Norbert Groh drehte für das Konzert im gut besuchten St. Pius am vergangenen Sonntag den Spieß jedoch um – und setzte auf Kontrast: Der hätte wohl kaum extremer ausfallen können, was nicht nur am zeitlichen Abstand von knapp 200 Jahren lag.

Haydns Nelson-Messe (Hob. XXII: 11) von 1798 heißt offiziell „Missa in angustiis“, also Messe in der Bedrängnis. Sie bezieht sich auf die napoleonischen Kriege, in denen sich der britische Admiral Horatio Nelson in der Seeschlacht bei Abukir den Franzosen entgegengestellt hatte. Verständlicherweise herrscht darin eine betrübte, bisweilen beängstigende Stimmung in Moll vor. Den 1945 geborenen britischen Komponisten John Rutter, dessen Magnificat 1990 zur Vollendung gelangte, inspirierte nach seinen eigenen Angaben indes die Fröhlichkeit der Marienfeste lateinamerikanischer Kulturen zu seinem Werk. Schon damit steht es im extremen Gegensatz zu Haydns Nelson-Messe.

Was die beiden Werke aber zudem nicht minder unterscheidet, ist der Aspekt der Stimmigkeit des musikalischen Materials: Während Haydn in seiner Messe zwar gestalterisch Kontraste angelegt hatte, die von Groh auch am Pult deutlich herausgearbeitet wurden, blieb er in seiner Stilistik dennoch konsistent.

Rutter, der das Werk ausdrücklich nicht für den Kirchen-, sondern für den Konzertgebrauch in Auftrag bekam, griff indes tief in den Vorrat der musikalischen Stilmittel seiner Zeit. Neben der klassischen tonalen Kompositionstechnik übernahm er Elemente von Musical und Filmmusik über Rock und Pop bis zum Jazz. Sein Magnificat ist eine Art postmoderne Nummernrevue, in der die musikalischen Mittel je nach Text frei gewählt wurden.

Mit einem Amateurchor ist das ein gewagtes Unternehmen. Doch die Chorgemeinschaft Pöcking besteht seit 34 Jahren und wird bereits seit 30 Jahren von Groh geleitet. Ein Zeitraum, in dem viel Aufbauarbeit eine solche Wendigkeit, stimmliche Agilität und Vielseitigkeit entstehen lassen konnte. Auch das Kammerorchester Stringendo, 2006 gegründet, seither geleitet und konzertmeisterlich geführt von der Pöckinger Geigerin Esther Schöpf, hatte genauso wenig Mühe, ein solch breites Spektrum zu stemmen, zumal mit professionellen Musikern sinfonisch ergänzt.

Außergewöhnliche Klänge unter Leitung von Norbert Groh. (Foto: Georgine Treybal)

Als Dozent der Oratorienklasse an der Münchner Musikhochschule hat Norbert Groh einen guten Einblick in die Gesangsklassen und die Stärken der Absolventen. Das war denn auch an der Wahl der jungen Solisten für Haydns Messe deutlich ablesbar. Die Sopranistin Henrike Legner, die Mezzosopranistin Maria van Hoof, der Tenor Jonas Häusler und der Bass David Holz begeisterten nicht nur solistisch mit runder Klangtemperierung und gesangstechnischer Perfektion, sondern auch im Ensemble mit gestalterischer Homogenität und klangschön austarierter Farbbalance. Und hier war viel feinsinniges Changieren gefragt, denn die emotionale Gestaltung der Wiener Klassik ließ die typisierte Affektenlehre der Barockzeit längst hinter sich.

Die fokussierende Interpretation sparte beim emotionalen Gehalt der Musik denn auch nicht an überraschenden Effekten: Plötzliche Rücknahmen, impulsive Ausbrüche, gedämpfte Stimmungen oder jubilierende Höhenflüge, bedrohliche Rhythmisierung oder weitgespannte, nahezu schwebende Lyrik, geschmeidig-sensible Solostimmen oder kraftvolle Tutti: Das alles verwies schon weit über Haydns Zeit hinaus, zumal bisweilen im extremen Kontrast unmittelbar aufeinanderfolgend. Rutters Magnificat wagte sich über dieses Spektrum an Ausdrucksmitteln seiner Zeit entsprechend noch ein gutes Stück weiter, setzte aber im Gesang vorwiegend auf eine Differenzierung der Konstellationen im Chor. Seine etwas einsam, doch umso melancholisch-lyrischer wirkende Solostimme übernahm Sopranistin Legner in plastisch wohlgeformter Manier.

Insgesamt herrschte vordergründig eine reiche Farbigkeit vor, die in einem unentwegten Auf und Ab eine entsprechende Überfülle an Emotionen auf den Plan rief. So bekam die inhaltliche Narration in packender Diktion ein effektvolles Kopfkino mit fantastischen Bildern an die Seite gestellt und riss das Publikum gewaltig mit – und schließlich zu Ovationen hin.

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