Süddeutsche Zeitung

Neue Wege in der Altenpflege:Mit 90 auf die Hollywood-Schaukel

Lesezeit: 3 min

In Seefeld soll für zwölf Millionen Euro ein hochmodernes Heim mit Dachgarten entstehen, das Alternativen zur stationären Betreuung bietet.

Von Christine Setzwein, Seefeld

Pflege ohne schlechtes Image, Bewohner, die die Intensität der Betreuung wählen können, Mitarbeiter, die motiviert und offen für Neues sind, das alles will das "Seniorenquartier Seefeld" bieten. Nicht abgeschoben, sondern gut aufgehoben sollen sich die alten Menschen fühlen, die demnächst dort einziehen. Insgesamt zwölf Millionen Euro investiert die "Seniorenstift Pilsensee Betriebs-GmbH" in das Projekt an der Anton-Ettmayr-Straße, sagt Geschäftsführer und Gesellschafter Ulf Walliczek. Die Krönung des Ganzen befindet sich auf dem Dach. Dort entsteht ein Gerontogarten, bisher einmalig im Fünfseenland. Für Walliczek ist das Ganze ein "Leuchtturmprojekt".

1985 haben Anke und Dieter Walliczek das Altenheim in Seefeld gebaut, es einige Jahre selbst geführt, dann verpachtet und schließlich wieder übernommen. Sohn Ulf wurde Geschäftsführer. Die 25 Jahre davor war er in der Immobilienbranche tätig - und entsetzt, als er zurückkam. "Pflege fühlte sich immer noch an wie früher, und die Mitarbeiter waren immer noch so schlecht bezahlt." Das wollte er ändern. Das Stammhaus wurde modernisiert und wird im kommenden Jahr erneut umgebaut. Das Hauptaugenmerk dort liegt künftig auf der Kurzzeitpflege mit etwa 50 Plätzen, die immer stärker nachgefragt wird. Das Seniorenstift bildet selber aus, ein Vorteil bei der Personalsuche. Bei allem beschäftigt Walliczek immer die eine Frage: "Wie kann Pflege im Alter aussehen?"

Zum Beispiel mit neuen Konzepten. Weg von der stationären Pflege hin zu unterschiedlichen Wohn- und Betreuungsformen, wie sie jetzt im Seniorenquartier Seefeld realisiert werden. Die Tagespflege mit 17 Plätzen an der Straße hat große Fenster. "Wir verstecken uns nicht", sagt Walliczek. Jeder kann hinaus-, aber auch herein schauen.

Im Hauptgebäude entstehen 26 Wohnappartements für bis zu 40 Singles und Eheleute sowie zwei Demenz-Wohngemeinschaften für acht und neun Senioren. Alle Bewohner sollen vor allem eines erfahren: "Unterstützung in der Gemeinschaft." Es geht um die Selbstbestimmung der Bewohner und um die Teilhabe von Familien, Nachbarn und Ehrenamtlichen. Und noch etwas ist dem 50-jährigen Geschäftsführer wichtig: die Öffnung nach außen. Weil auf dem Dach ein Gerontogarten geschaffen wird, kann die ebenerdige Grünfläche, die ursprünglich als - geschlossener - Demenzgarten nur für die Bewohner des Seniorenheims und die Gäste der Tagespflege geplant war, geöffnet werden. Dieses Areal soll nun für alle Seefelder Senioren zugänglich sein, es soll ein Ort der Begegnung werden, von den künftigen benachbarten Genossenschaftswohnungen nur durch Grün getrennt, nicht durch Zäune.

Gegenüber vom Seniorenquartier befinden sich die Grundschule und die Nachbarschaftshilfe Seefeld. "Wir könnten hier der soziale Ortskern werden", meint Walliczek, Gespräche mit der Gemeinde über eine Verkehrsberuhigung laufen. Und er denkt schon wieder weiter: In der ehemaligen Post an der Hauptstraße könnte in Zusammenarbeit mit der Nachbarschaftshilfe und der Gemeinde eine Anlaufstelle für Senioren geschaffen werden.

Für den Dachgarten stehen 330 Quadratmeter zur Verfügung. Walliczek hat genaue Vorstellungen, wie er aussehen soll: Im blauen Bereich mit Hollywood-Schaukel, Strandkorb und Vogeltränke können sich die Bewohner entspannen, im roten mit Hochbeet gemeinsam garteln, ernten und sich sportlich betätigen. Vorne und hinten werden Glaswände aufgebaut, die mit Büschen begrünt werden, die anderen Seiten sind von Schrägdächern begrenzt. Die Idee mit dem Dachgarten habe man zunächst aus Kostengründen verworfen, sagt Walliczek, aber wieder aufgenommen, nachdem im Januar ein neues Förderprogramm aufgelegt worden war. 300 000 Euro kostet das Projekt, eventuell können 60 Prozent gefördert werden.

Für die Wohnungen, die vermietet werden, gebe es bereits viele Anfragen, vergeben wurde noch keine. Zunächst müssten die Kosten ermittelt werden. Walliczek: "Es muss auf alle Fälle günstiger sein als stationäre Pflege." Das Haus ist ein Wunderwerk der Technik. Auf jeder Etage stehen zwei Server. Die Zimmer können - nach Wunsch - mit Bewegungssensoren ausgestattet werden. Der Bewohner gibt eine Person seines Vertrauens an - ein Verwandter, ein Nachbar, ein Betreuer oder ein Pfleger -, der sofort informiert wird, sollte etwas passieren. "Die Daten bleiben im Haus und landen nicht in irgendeiner Cloud", versichert der Geschäftsführer. Wer sofort einziehen würde, ist Mutter Anke. Die 81-Jährige hilft immer noch mit bei der Betreuung der Bewohner im Seniorenstift und ist dem Sohn eine wichtige Ratgeberin.

Weil die Betreuung auf viele Schultern verteilt werden soll, habe auch das Personal weniger Stress, meint Ulf Walliczek. Aktuell sind 45 Mitarbeiter beschäftigt, mehr wären schön. "Aber wir brauchen einen anderen Typus Mitarbeiter", sagt er: solche, die ihren Job mit Herzblut machten, aber offen seien für Innovationen. Als Walliczek den Geronto-Dachgarten jüngst im Seefelder Bauausschuss vorstellte, erntete er nicht nur Lob. Schließlich war der Bauantrag die dritte Tektur in kurzer Zeit. Dass es die letzte sein müsse, wie von einem Gemeinderat gefordert, "werde ich nie versprechen". Dazu sei die Altenpflege und Betreuung zu sehr im Fluss. Im Dezember, so Walliczek, soll der Neubau, geplant von Architekt Rasso von Rebay, fertig sein. Für Ulf Walliczek, Vater von zwei Buben, ist das Projekt eine deutliche Weiterentwicklung im Sinne der Senioren. "Ich möchte Qualität schaffen." Wenn man älter werde, merke man, wie wichtig Gemeinschaft sei. Das ist es, was ihn antreibt.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2020
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