LiteraturDas bewegende Leben von „Hulle“, dem Kosmopoliten

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Autorin Eva-Maria Herbertz aus Feldafing blättert in ihrem neuen 184-seitigen Buch über das Leben von Paul Huldschinsky. Sie sitzt vor ihrem Laptop im privaten Wohnzimmer.
Autorin Eva-Maria Herbertz aus Feldafing blättert in ihrem neuen 184-seitigen Buch über das Leben von Paul Huldschinsky. Sie sitzt vor ihrem Laptop im privaten Wohnzimmer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Feldafinger Autorin Eva-Maria Herbertz erzählt in ihrem neuen Buch „Endstation Hollywood“  vom ereignisreichen Leben des talentierten Berliner Innenarchitekten Paul Huldschinsky, der einst in die USA emigrierte und dort sein Schicksal fand.

Von Sabine Bader, Feldafing

Die Geschichte beginnt vor gut 20 Jahren mit einer schwungvollen Handschrift auf zartgelbem Papier. Die flüssige Schrift weckt sofort das Interesse von Eva-Maria Herbertz. „Die Schrift hat mich sehr, sehr angesprochen“, sagt sie. „Er schrieb wunderbar leserlich und hat auch geschmackvolles Briefpapier verwendet.“ Der, über den sie das sagt, ist der in seiner Zeit in Berlin gefeierte junge Innenarchitekt Paul Huldschinsky (1889–1947). Die Briefe Huldschinskys haben auf sie offensichtlich sinnlich gewirkt. Interessant. Und sie fragt sich unweigerlich: Was für ein Mensch verbirgt sich hinter diesen Worten?

Allerdings ist die Autorin aus Feldafing zu jener Zeit schwer beschäftigt. Denn sie ordnet gerade den bisher nicht gesichteten Privatnachlass des Zeichners, Karikaturisten, Grafikers und Illustrators Rolf von Hoerschelmann – bestehend aus rund 1000 Briefen, 150 Fotos und kistenweise Arbeiten. Hoerschelmann hatte etliche Jahre bis zu seinem Tod in Feldafing gelebt. Trotz der Arbeit am Nachlass muss Herbertz immer wieder an jene 23 Briefe Huldschinskys denken. Deren Duktus lässt sie erahnen, dass es sich bei dem Verfasser um einen einfühlsamen Menschen handelt und beim Adressaten um eine äußerst vertraute Person – einen engen Freund. Wie sich im Laufe von Herbertz’ Recherche herausstellen wird, verbringt Huldschinsky in jenen Jahren viel Zeit mit Hoerschelmann und anderen Freunden am Starnberger See.

Schon die stahlblaue Farbe des Buchdeckels verleiht dem jüngsten Werk „Endstation Hollywood - Das Leben des Paul 'Hulle' Huldschinsky“ der Feldafinger Autorin Eva-Maria Herbertz etwas Geheimnisvolles.
Schon die stahlblaue Farbe des Buchdeckels verleiht dem jüngsten Werk „Endstation Hollywood - Das Leben des Paul 'Hulle' Huldschinsky“ der Feldafinger Autorin Eva-Maria Herbertz etwas Geheimnisvolles. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Doch wer ist dieser Briefschreiber Paul Huldschinsky, den seine Freunde „Hulle“ nannten? Er kommt 1889 in einer vermögenden Berliner Industriellenfamilie zur Welt. Sein Vater Oskar Huldschinsky ist Jude und gehört dem 1864 gegründeten elitären „Club von Berlin“ an, wendet sich aber vom Glauben ab und lässt seinen Sohn Paul evangelisch taufen. Die Heimat des heranwachsenden Sohnes ist von Anfang an das Berliner Großbürgertum: An den Wänden im Stadthaus der Familie hängen wertvolle Ölgemälde großer Meister, die Sommermonate verbringen die Huldschinskys in ihrer herrschaftlichen Villa am Wannsee. Im Ersten Weltkrieg wird Sohn Paul eingezogen. Die Front bleibt ihm indes erspart: Als erfahrener Reiter wird er in der Ausbildung und der Pflege der Pferde eingesetzt.

Erste Zeichnungen Huldschinskys verdeutlichen sein künstlerisches Talent. Er studiert Architektur, verlegt sich aber schon früh auf Inneneinrichtung. Er hat ein Gefühl für das Interieur, für Form und Farbe. Schnell gelingt es ihm – auch dank guter Kontakte - Aufträge an Land zu ziehen, und er macht sich einen Namen in der Berliner Oberschicht. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, zerbricht sein Dasein auf der Sonnenseite des Lebens jäh. Dennoch gelingt es ihm, die für die Ausreise nötigen Papiere aufzutreiben und seine Emigration zu organisieren. Doch dann wird er verhaftet und mehrere Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Im November 1938 kommt er frei, kann glücklicherweise ausreisen und lässt sich im kalifornischen Santa Monica nieder.

Im Gegensatz zu vielen anderen glücklosen Exilanten gelingt Paul Huldschinsky der Neuanfang in den USA nach einigen Anlaufschwierigkeiten recht gut. In Kalifornien trifft er alte Freunde wieder: den Regisseur Max Reinhardt, den Schriftsteller Wilhelm Speyer sowie Thomas und Katja Mann. Anfangs handelt er mit Möbeln und Antiquitäten. Bittet auch die Eheleute Mann, ihr Haus zum Selbstkostenpreis von ihm einrichten zu lassen – aus Reklamegründen, wie Herbertz es nennt.  Bis dies allerdings soweit ist, hat er bereits Aufträge in den Filmstudios von Hollywood. Zu den wichtigsten Stationen seiner Vita gehört sicher, dass ihm 1945 für die Innenausstattung, die er für den Film „Gaslight“  mit Ingrid Bergman entwirft, der Oskar verliehen wird.

Selbstporträt von Paul Huldschinsky aus dem Jahr 1922.
Selbstporträt von Paul Huldschinsky aus dem Jahr 1922. (Foto: Foto: privat/oh)
Das Foto zeigt Paul Huldschinsky (re.) mit Wilhelm Speyer in Feldafing.
Das Foto zeigt Paul Huldschinsky (re.) mit Wilhelm Speyer in Feldafing. (Foto: Foto: privat/oh)

Ohne die ihr eigene Beharrlichkeit wäre Eva-Maria Herbertz gerade bei dieser Biografie nicht ans Ziel gelangt, drohten doch die Spuren Huldschinskys immer wieder zu versanden. Aber die studierte Germanistin und Historikerin hielt durch – auch wenn die Materiallage vor allem anfangs recht dürftig war, ließ sie sich bei ihren Recherchen nicht entmutigen. Schließlich hatte sie im Verfassen von Biografien bereits Erfahrung. Immerhin ist ihr neues Werk „Endstation Hollywood – Das Leben des Paul ‚Hulle‘ Huldschinsky“ bereits das vierte aus ihrer Feder: Zwischen 2005 und 2012 schrieb sie die Bücher „Der heimliche König von Schwabylon – die Biografie des Grafikers und Sammlers Rolf von Hoerschelmann“, „Leben in seinem Schatten - Frauen berühmter Künstler“ und „Das Leben hat mich gelebt, die Biografie der Renée-Marie Hausenstein“.

Neben diesen vier Werken hat die heute 77-Jährige, die sich selbst gern schlicht als „freie Autorin“ bezeichnet, Kurzbiografien von Künstlern verfasst, im Arbeitskreis Ortsgeschichte in Feldafing mitgearbeitet, wo sie seit 1982 lebt, Vorträge gehalten und Führungen zu historischen Bauten veranstaltet. Ihr neuestes Buch ist übrigens im Leipziger Verlag „Hentrich & Hentrich“ erschienen, der sich auf Literatur mit jüdischem Hintergrund spezialisiert hat.

Paul Huldschinsky (li.) sitzt gemeinsam mit Professor John Archibald Campbell über der Anzeige zur Eröffnung des gemeinsamen Ateliers in Berlin – eine Aufnahme aus dem Jahr 1929.
Paul Huldschinsky (li.) sitzt gemeinsam mit Professor John Archibald Campbell über der Anzeige zur Eröffnung des gemeinsamen Ateliers in Berlin – eine Aufnahme aus dem Jahr 1929. (Foto: Foto: privat/oh)

So richtig Fahrt nimmt ihre Recherche in Sachen Huldschinsky nach diversen Rückschlägen erst auf, als sie im Internet auf eine Todesanzeige stößt. Über diese lernt sie Juliana, die einzige lebende Tochter, Huldschinskys kennen. „Ich war wie elektrisiert“, erinnert sich Herbertz, und berichtet von ihrer ersten Kalifornien-Reise zu Juliana. Im Zuge der Recherche in alten Dokumenten der Familie in den USA findet Herbertz auch einen Kondolenzbrief, den einst Thomas Mann an die Witwe Huldschinskys geschrieben hatte, als deren Ehemann im Alter von 57 Jahren am 1. Februar 1947 gestorben war.  Der Brief galt bis zu jenem Tag als verschollen. „Er lag Gott sei Dank nicht verknickt in einem Karton“, erzählt Herbertz. Sie habe Huldschinskys Tochter Juliana schließlich davon überzeugen können, dass das Dokument ins Thomas-Mann-Archiv nach Zürich gehört, wohin es letztlich auch „für einen guten Preis“ (Herbertz) verkauft worden sei.

In ihrem Buch hat Herbertz den Kondolenzbrief Manns an Nini Huldschinsky als Faksimile abgedruckt. Darin beschreibt der Schriftsteller Huldschinsky nicht nur als einen „lieben guten Freund“, sondern auch als „einen der feinsten, liebenswürdigsten, nobelsten Menschen, die ich gekannt habe, bewundernswert gelassen im Leiden, tapfer in Zeiten der Dürftigkeit, die doch krass genug mit seiner glänzenden Jugend kontrastierten, denen er aber immer duldsam und heiter das Gute und Genießenswerte abzugewinnen wusste“.

Überhaupt sind es die intensiven Gespräche mit Huldschinskys Tochter und die vielen Briefe und Dokumente, die Herbertz Buch zu etwas Besonderen machen – so, als würde sie mit einer Lupe auf Leben und Werdegang dieses Mannes blicken. Im Umlauf waren über Huldschinsky zuvor nur die gängigen Etiketten gewesen: Er sei ein Bohemien, hieß es, ein Sohn aus reichem Hause, lebe auf Kosten seines Vaters und ein Luftikus, der nicht mit Geld umgehen könne. All das will nicht so recht zusammenpassen mit dem Huldschinsky, den Herbertz aus dessen persönlichen Briefen kennt, der empathisch ist und empfindsam. Das macht für die Autorin den besonderen Reiz am bewegenden Leben dieses Kosmopoliten aus.

Das Buch „Endstation Hollywood“ von Eva-Maria Herbertz ist im Verlag Hentrich & Hentrich in Leipzig erschienen und kostet 22 Euro.

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