Die Ruhe ist zurück. Ab und an rauscht ein Auto durch, manchmal läuft ein Passant vorbei und grüßt. Simon Sörgel hebt dann kurz die Hand, grüßt zurück, ein kurzes Gespräch. Ansonsten liegt größtenteils Stille über Pähl, dem Ort im Pfaffenwinkel, in dem es in den vergangenen Jahren in der Kommunalpolitik gewaltig rumort hat. Seit einem Jahr ist jetzt Simon Sörgel neuer Bürgermeister mit dem obersten Ziel, nicht nur für Ruhe auf der Straße, sondern auch in Rathaus und Gemeinderat zu sorgen.
Bei einer Runde durch den Ort will Sörgel, 36, sein erstes Jahr im Amt Revue passieren lassen. Er läuft vorbei an der Gaststätte „Müllers Lust“, in der er anfangs gerne mal auf einen Espresso vorbeigeschaut hat. In seinen ersten Monaten hatte er neben seiner Aufgabe im Rathaus auch noch seine halbe Stelle als Sozialarbeiter. Manchmal hat er von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends gearbeitet. Da half das Koffein. Inzwischen ist er nicht mehr ganz so zerrissen, er ist jetzt ausschließlich Bürgermeister. Also, Herr Sörgel: Was lief gut? Was nicht so? Und welche Themen beschäftigen Sie gerade in Pähl?
Um die letzte Frage zu beantworten, muss Sörgel nicht weit laufen. Im Gegenteil: Er sitzt quasi darin. In Pähl steht der Bau eines neuen Rathauses an, das aktuelle zerfällt gerade in seine Einzelteile und ist laut den Experten nicht mehr sanierbar. Wo der neue Amtssitz des Bürgermeisters hin soll, ist eine der Fragen, über die es in Pähl in der Vergangenheit viel Streit gab und zu der es am 8. Dezember mal wieder einen Bürgerentscheid geben wird. Die einen sind wie Sörgel und die Mehrheit des Gemeinderats dafür, das Rathaus auf eine Wiese in der Eichbergstraße zu bauen. Die Schule, die sich gleich neben dem Rathaus befindet und ebenfalls neu gebaut werden muss, würde dann danach am bisherigen Standort bleiben und dort erweitert werden.
Die anderen hätten den Neubau gerne auf dem Parkplatz gegenüber dem bisherigen Rathaus. Und sie würden gerne als Erstes die Schule und dann das Rathaus bauen. Beide haben ihre Argumente: Sörgel etwa führt die Kosten an, die bei der von ihm bevorzugten Variante deutlich niedriger seien. Zudem sei die Fläche auf dem Parkplatz recht eng. Die Gegenseite will eine weitere Flächenversiegelung verhindern und die Wiese als Freizeitfläche erhalten. Nebenan ist die Mittagsbetreuung, auf dem Grün spielen die Kinder gerne Fußball. Eine Frage, viele Argumente – deshalb der Bürgerentscheid am 8. Dezember. „Da muss man sehen, was rauskommt“, sagt Sörgel. „So werden wir es dann machen.“
Die Debatte über das neue Rathaus und die neue Schule wird mitunter hart geführt. „Sehr emotional“ nennt Sörgel das in seiner gewohnten Diplomatie. Dem neuen Bürgermeister bescheinigen so gut wie alle, dass der Ton im Gemeinderat ruhiger geworden ist. „Ich glaube, dass sich vieles beruhigt hat“, sagt auch Sörgel. Aber es gebe eben auch vieles, das den Menschen unter den Nägeln brenne. Unter seinem Vorgänger Werner Grünbauer war es nämlich mitunter weniger ruhig zugegangen. Auf Kritik soll er schnell aufbrausend reagiert haben. Einen „Machtmenschen“ nennen ihn manche. Im vergangenen Jahr haben die Pähler ihren Rathauschef abgewählt. Und spätestens da begann das Bürgermeisterdrama aus dem Pfaffenwinkel.
Wenige Wochen vor der Wahl gab es zu Grünbauer nämlich keinen Gegenkandidaten, bis sich dann plötzlich doch noch einer fand: ein 29-jähriger Bundespolizist aus Germering, jung und ortsfremd. Und der setzte sich tatsächlich gegen den Amtsinhaber durch. Eine Sensation, die aber wohl eher einer Abwahl als einem Votum für den Neuen gleichkam. Marius Bleek hatte große Pläne in Pähl, sprach von dem Bau einer Tagespflege, und ja, auch von Rathaus und Schule.
Kurz vor seiner offiziellen Vereidigung zog Bleek dann aber plötzlich zurück. Er sehe sich „durch nicht vorhersehbare Umstände dazu gezwungen“, das Amt nun doch nicht anzutreten, schrieb er in einem Brief an die Einwohner der Gemeinde. Dann war Bleek weg und die Pähler mussten wieder an die Urne. Bei der Wahl im Oktober 2023 setzte sich dann Sörgel gegen seinen Herausforderer Alexander Zink durch. Damit hatte Pähl im vergangenen Jahr drei gewählte Bürgermeister. Klar, dass da keine Konstanz in den Laden kommen kann. Es herrschte politischer Leerlauf.
Jetzt ist also der gebürtige Pähler Sörgel am Ruder und versucht, die Gräben der Vergangenheit zuzuschütten. Der Ort ist in Einheimische und Zugezogene gespalten. Doch Sörgel hat ein Gegenrezept. Kommunikation sei ihm sehr wichtig, erklärt er. Er bietet Bürgersprechstunden und andere Möglichkeiten zum Dialog an. Neulich hat er einen offenen Rundgang gemacht, Samstagvormittag um zehn. Einfach mal mit den Leuten durch den Ort gehen, und wenn es irgendwo Veränderungsbedarf gibt, sollen sie ihm das zeigen, so hat er sich das gedacht. Er kann ja nicht alles sehen. Am Ende stand er mit zwei Leuten da. „Aber das ist okay“, sagt Sörgel. Ihm ist es wichtig, diese Angebote zu machen, ob sie kommen, müssen die Leute selbst entscheiden.
In der Frage Schule/Rathaus hat er im Gemeinderat einen Arbeitskreis eingesetzt, um der Entscheidung, die am Ende eines demokratischen Prozesses zwangsläufig fallen muss, die höchstmögliche Legitimation zu verschaffen, auch wenn seine Kritiker sagen, es sei von Anfang an klar, dass die Mehrheit für die Eichbergstraße stimmen werde. „Mir war ganz wichtig, dass das ergebnisoffen ist“, sagt Sörgel. Gerne hätte man auch die Sichtweise genauer abgebildet von jemandem, der das anders sieht. Aber von denen, die den Neuen im Rathaus kritisch sehen, möchte niemand mit Namen in die Zeitung. Sörgel sieht die Sprengkraft in der Debatte auch darin, dass nicht alle den gleichen Wissensstand haben. „Wenn ich nicht weiß, worum es geht, wird es schwierig“, sagt er. „Deshalb versuche ich, den Menschen Infos zu geben.“
Simon Sörgel ist mit seiner Runde durch den Ort fertig. Er hat beide möglichen Standorte für das Rathaus gezeigt, die Wiese und den Parkplatz. Er hat die Freifläche gezeigt, auf der mal eine Tagespflege entstehen soll. Aber das Projekt muss warten, erst sind Schule und Rathaus dran. Darum dreht sich gerade alles in Pähl. Und auch die Ruhe, die Sörgel zumindest zum Teil wiederhergestellt hat, hängt wohl daran, was bei der Abstimmung am 8. Dezember herauskommt und wie es danach weitergeht. Ob sich die Aufregung wieder legt oder die Turbulenzen wieder starten? Das weiß auch Sörgel nicht. Aber er hat eine Hoffnung: dass es zumindest so ruhig bleibt wie jetzt.