Der Chefsessel im Rathaus von Pähl ist als „Schleudersitz“ bekannt: Am 8. März muss dort zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Amtsinhaber Simon Sörgel (parteifrei) hat schon im Frühjahr erklärt, dass er – entgegen seiner ursprünglich erklärten Absicht – nach nur zweieinhalb Jahren nicht mehr zur Wahl antreten wird. Als Grund gibt der Sozialpädagoge „destruktive, konfliktbehaftete Auseinandersetzungen“ im Gemeinderat an. Der zunächst 2023 zum Bürgermeister gewählte, ebenfalls parteilose Markus Bleek hatte sein Amt gar nicht erst angetreten, sondern wenige Tage vor der geplanten Vereidigung das Handtuch geworfen, weil er im Ort nach eigener Darstellung auf offene Feindseligkeit traf und keinerlei Unterstützung vom vormaligen Rathauschef Werner Grünbauer (parteifrei), dessen Stellvertreterin Ursula Herz und im Gemeinderat erhielt.
Vor diesem Hintergrund erscheint es fast unglaublich, dass sich nun gleich drei Kandidaten um den Chefsessel im Pähler Rathaus bewerben wollen. Alle sind in der selbst ernannten „Perle des Pfaffenwinkels“ kommunalpolitisch bislang kaum in Erscheinung getreten. Erstaunlicherweise hat auch Grünbauers Tochter ihren Hut in den Ring geworfen: Teresa Grünbauer-Incir, die für die CSU kandidert, hat nicht nur die empfindliche Wahlniederlage ihres parteifreien Vaters gegen einen jungen, ortsfremden Newcomer vor zwei Jahren miterlebt. Sie war auch indirekt betroffen, als sie vor der Maisernte Dutzende Stahlstifte in den Pflanzen fand, die mutmaßlich Feinde der Grünbauers im Acker versteckt hatten.
Vor der 31-Jährigen hatte bereits Christian Pfänder von der Bayernpartei seine Ambitionen auf das Pähler Bürgermeisteramt verkündet. Der 28-Jährige ist 2020 in den Gemeinderat der Nachbargemeinde Andechs gewählt worden, er ist Gründungsmitglied des Ortsverbands der Bayernpartei sowie deren stellvertretender Kreisvorsitzender und kandidiert nach eigenen Worten als Parteifreier ohne Listenverbindung. In der jüngsten Sitzung ebnete der Pähler Gemeinderat den Weg zu Pfänders Kandidatur: Einstimmig wurde beschlossen, das Rathaus wieder von einem hauptamtlichen Bürgermeister leiten zu lassen. Für den ehrenamtlichen Posten, wie ihn Sörgel ausübt, wäre Pfänder nicht zur Verfügung gestanden – auch weil er dann nach Pähl hätte umziehen müssen.

Zu Beginn der jüngsten Sitzung dort erklärte nun überraschend die parteiunabhängige Christine Waibel dem Gemeinderat, ebenfalls für das Amt der Ratshauschefin zu kandidieren. Die 58-Jährige ist zwar zweite Vorsitzende des Freundeskreises Ortsgeschichte Pähl-Fischen, kommunalpolitisch aber bislang nicht in Erscheinung getreten. Waibel ist im Dorf aufgewachsen und dorthin vor acht Jahren zurückgezogen. Sie findet, „dass ich die richtige Frau für dieses Amt bin, um Tradition und Moderne zu verbinden“ und verweist auf ihre Qualifikation als Diplom-Verwaltungswirtin. Derzeit arbeitet sie in der Agentur für Arbeit München.

Ihre jüngeren Mitbewerber sind beide in der Landwirtschaft verwurzelt und in Bauernhöfen in Erling beziehungsweise Pähl aufgewachsen. Pfänder, gelernter Brauer, Mälzer und Schnapsbrenner ist als Projektbetreuer bei einem Anlagenbauer für die Getränkeindustrie angestellt. Grünbauer-Incir wiederum hat ein Master-Studium der Agrarwissenschaft absolviert und arbeitet seit gut zwei Jahren als betriebswirtschaftliche Beraterin für den Genossenschaftsverband Bayern.

Im Januar hat sie den Vorsitz des CSU-Ortsverbands Pähl-Fischen übernommen. Der Anstoß für ihr politisches Engagement sei von der Entwicklung ausgegangen, die sie mit ihrem Ehemann Öndör Incir in dessen türkischer Heimat beobachten muss, sagt Grünbauer-Incir. Dort stehe der Fortbestand der Demokratie auf der Kippe. Vor drei Jahren trat sie nach gründlicher Abwägung – auch mit Hilfe des „Wahl-O-Mats“ – der CSU bei. Sie meint, dass in der Partei „viel zu wenig Frauen und junge Menschen sichtbar werden“. Nachdem Pfänder seine Kandidatur bekanntgegeben hatte, entschied die CSU-Kommunalpolitikerin, sich selbst für das Bürgermeisteramt in Pähl zu bewerben: „Es sollte auch jemand aus dem Ort zur Wahl stehen“, findet Grünbauer-Incir, die mit Mann und einjährigem Sohn im Ortsteil Vorderfischen wohnt.
Pfänder glaubt dagegen nach eigenen Worten, ein unbelasteter Außenstehender täte sich leichter, die Gräben im zerstrittenen Gemeinderat zu überwinden. Um „möglichst unabhängig, möglichst neutral vorgehen zu können“ habe er daher Angebote bestehender Pähler Fraktionen „dankend abgelehnt“, sich ihnen vor der Wahl anzuschließen, sagt der stellvertretende Kreisvorsitzende der Bayernpartei. Wie Waibel werde er auch nicht auf einer Gemeinderatsliste antreten. Seit klar war, dass Sörgel sein Amt nicht fortsetzen will, sei er wiederholt von „guten Bekannten aus Pähl und Fischen“ auf eine Kandidatur angesprochen worden. Was er „anfangs scherzhaft aufgefasst hat“, aber nun mit vollem Ernst verfolge. Seitdem habe er nahezu jede Gemeinderatssitzung in Pähl verfolgt und dort mit vielen Bürgern gesprochen. Um „mit offenem Visier zu kämpfen“ hat Pfänder sein Mandat in Andechs schon niedergelegt, bevor sicher war, ob in Pähl künftig wieder ein hauptamtlicher Bürgermeister die Verwaltung anführt.
CSU-Bewerberin Grünbauer-Incir kandidiert auch für den Gemeinderat
Grünbauer-Incir hingegen wäre für den Posten auch im Ehrenamt zur Verfügung gestanden und wird auch für den Gemeinderat kandidieren. Den Verdacht, in die Fußstapfen ihres Vaters treten zu wollen, weist sie von sich: „Ich habe mit der Politik von meinem Vater schon rein altersmäßig nichts zu tun gehabt und er hat das Amt nie in die Familie getragen“, betont sie. Die vermeintlichen Folgen aber hat sie zu spüren bekommen. Als ihre Eltern vor drei Jahren im Urlaub waren, fand sie im Maisacker der Familie Dutzende zehn Zentimeter lange Nägel, die in den Stauden steckten oder in Kolben eingewickelt waren. Ein dem Häcksler vorgeschalteter Metalldetektor verhinderte einen bis zu sechsstelligen Schaden, Täter konnte die Polizei trotz ausgesetzter Belohnung nicht ermitteln. Die Vermutung eines Sabotageakts gegen den damaligen Bürgermeister liegt nahe, angeblich hatten schon zuvor Unbekannte Glasscherben vor seinen Fahrzeugen ausgelegt, seine Siloballen zerstochen und Zäune beschädigt.
Die vermeintlichen Racheakte sind für Grünbauer-Incir ein weiterer Ansporn, sich kommunalpolitisch zu engagieren: „Die dürfen doch nicht recht behalten.“ Die Querelen um und über die Pähler Bürgermeister seien viel zu lange im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden, findet sie. Dabei werde vergessen, „wie gut Pähl mit seinen mehr als 30 Vereinen untereinander funktioniert“. Wie sie äußert auch Pfänder die Hoffnung, dass nach der Kommunalwahl im März ein erneuerter und verjüngter Gemeinderat antritt und die verhärteten Fronten dann der Vergangenheit angehören. „Ich sehe eine große Chance darin, dass Bürgermeister und Gemeinderat mit den gleichen Voraussetzungen starten“, sagt der 28-Jährige.
In ihren Zielen unterscheiden sich die Kandidaten kaum
In ihren Zielen unterscheiden sich alle drei Kandidaten nicht groß: Alle wollen zunächst die anstehenden Projekte wie Rathausneubau, Schulerweiterung und die Einrichtung einer Tagespflege umsetzen. Grünbauer-Incir möchte darüber hinaus Kinderbetreuungsplätze schaffen, sie selbst muss gerade ihren Sohn in einen Herrschinger Kindergarten eingewöhnen. Langfristig hält sie es zudem für dringend notwendig, in Pähl bezahlbare Mietwohnungen zu schaffen. Waibel wiederum will auf längere Sicht die mangelnde Anbindung Pähls ans öffentliche Verkehrsnetz verbessern.

Dass sich nun erstmals gleich drei Kandidaten für das fragile Bürgermeisteramt in Pähl interessieren, könnte auch Sörgel zu verdanken sein. Trotz des Widerspruchs zu den eigenen Erfahrungen und seinen Konsequenzen daraus betreibt der Rathauschef seit Monaten „aktiv Werbung“ für das Amt: „Es ist ein toller Job und macht an den allermeisten Tagen viel Spaß“, sagt der 38-Jährige.
Fünf Bürgermeister in 30 Jahren
1996 - 2008 Rainer Kugler: Nach zwei Legislaturperioden nominiert die Pähler CSU statt ihm einen kommunalpolitischen Newcomer aus Schwaben. Als Kandidat einer neu gegründeten Bürgerliste verliert Kugler die Wahl, er arbeitet noch einige Monate als Kämmerer der Gemeinde, bevor er aus familiären Gründen sechs Jahre lang in unbezahlten Urlaub geht.
2008 - 2011 Klaus Pfeiffer: In der Amtszeit des vormaligen Musik- und Religionslehrer werden unter anderem der Supermarkt in Fischen, der Turnhallenbau mit Sportheim und das Gewerbegebiet südlich von Pähl auf den Weg gebracht. Doch Anfang 2011 wirft Pfeiffer den Job von einem auf den anderen Tag hin und geht in Elternzeit, weil er „den enormen Widerstand“ im Gemeinderat nicht mehr erträgt: Er habe „geradezu Unwillen gegen meine Arbeit und mich persönlich“ gespürt.
2011 -Mai 2023 Werner Grünbauer: Als kommunalpolitischer Neuling setzt sich der Bankkaufmann und Landwirt, der in Fischen und Pähl lebt, mit 73 Prozent der Stimmen gegen den amtierenden Vizebürgermeister Hans Weber (CSU) durch. Bei Grünbauers Wiederwahl 2017 findet sich kein Gegenkandidat, dennoch votiert nur ein Drittel der Bürger für ihn, jeder sechste Wähler trägt irgendeinen anderen Namen auf dem Wahlzettel ein.
Mai 2023 Marius Bleek: Gegen Grünbauer schickt ein neu gegründetes „Vertrauensbündnis für Pähl und Fischen“ in letzter Minute den 29-jährigen Bundespolizisten ins Rennen. Obwohl er weder kommunalpolitische Erfahrung noch einen Bezug zu Pähl oder dem Ammersee vorweisen kann, erhält der parteilose Bleek ein gutes Drittel mehr Stimmen als der Amtsinhaber. Doch wenige Tage vor seiner Vereidigung tritt er den Rückzug an; als Grund gibt er gegenüber der Öffentlichkeit an, dazu durch „unvorhersehbare Umstände gezwungen“ worden zu sein.
Oktober 2023 – März 2026 Simon Sörgel: Bei der Nachwahl setzt sich der kommunalpolitische Quereinsteiger aus dem Pähler Ortsteil Aidenried gegen Alexander Zink (CSU) durch, der zuvor 18 Jahre lang Gemeinderat und neun Jahre lang Grünbauers Stellvertreter war. Sörgel gewinnt knapp mit 53,6 Prozent der Stimmen und erklärt, auch über die Kommunalwahl 2026 hinaus amtieren zu wollen. Im März 2025 gibt er jedoch bekannt, dass er kein zweites Mal kandidieren wird.

