Bürgermeisterdrama in Pähl:"Querulantentum hat im Politikbetrieb nichts verloren"

Lesezeit: 5 Min.

Vom Schulsozialarbeiter zum Bürgermeister: Bereits am Donnerstag soll Simon Sörgel vereidigt werden. (Foto: Veit Stößel)

Die Bewohner von Pähl, der selbsternannten "Perle des Pfaffenwinkels", müssen im Oktober ein weiteres Mal an die Wahlurnen, um einen neuen Rathaus-Chef zu finden. Immerhin - einen Kandidaten gibt es schon: Sozialarbeiter Simon Sörgel.

Interview von Viktoria Spinrad, Pähl

Der umstrittene Bürgermeister ist abgewählt, der neue von draußen hat das Handtuch geschmissen, noch bevor er vereidigt werden konnte - die Gemeinde Pähl hat turbulente Wochen hinter sich. Derzeit wird die zerstrittene "Perle im Pfaffenwinkel" kommissarisch von der Zweiten Bürgermeisterin geleitet, Neuwahlen sind für Sonntag, 8. Oktober, anberaumt. Doch wer ist hier noch bereit, die Scherben aufzukehren und zur Sacharbeit zurückzukehren? Im Rathaus fällt der Name "Simon Sörgel". Google spuckt einen Ombudsmann von der Diakonie aus - ist er es? Eine E-Mail an die Abteilung, am nächsten Tag um 9.03 Uhr ruft er an: "Sörgel hier", sagt ein ernst klingender Mann, und ja, er habe sich am Montag offiziell um den Bürgermeisterposten beworben. 60 Wahlberechtigte braucht der 35-Jährige nun, die seine Kandidatur als Parteilosen mit ihrer Unterschrift unterstützen. Ein spontanes Gespräch über Blumen vorm Rathaus, Job-Tetris, Mediationsfähigkeiten als Sozialarbeiter und den Zauber ideologiefreier Sachpolitik.

SZ: Sie wollen also nun ins Rennen gehen, die Geschicke einer zerstrittenen Gemeinde zu leiten. Wieso tun Sie sich das an?

Simon Sörgel: Die Stimmung in Pähl hat sich durchaus verändert. Alle wissen, dass es jetzt um Zusammenhalt geht, um gemeinsame Lösungen. Die Aktion einiger Mitbürger gegen Hass und Hetze mit Blumen vor dem Rathaus hat mir sehr imponiert. Das sind Signale, die mich motivieren.

Aber die Kommunen ertrinken mittlerweile in Aufgaben. Ombudsmann für Jugendliche, Schulsozialarbeiter und Bürgermeister - wäre das nicht alles etwas viel?

So gern ich meine beiden Jobs mache: Wenn ich gewählt werde, gebe ich in jedem Fall eine der beiden Halbtagsstellen auf. Dann bin ich auf jeden Fall mit mindestens 20 Stunden in der Woche Bürgermeister. Die Aufgabenfülle ist in jedem Fall genug für einen Vollzeit-Bürgermeister. Deshalb würde ich auch beide Stellen aufgeben - vorausgesetzt, es findet sich eine einvernehmliche Entschädigung am oberen Ende der Skala. Beide Modelle würden keinen merklichen Unterschied zu meiner jetzigen Situation machen. Ich will ja kein Bürgermeister wegen des Geldes werden.

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An der Schule in Germering würde man Sie sicher vermissen. Sozialarbeiter werden ja händeringend gesucht.

Ich habe dort tolle Kolleginnen, die das schon auffangen würden. Die Stelle und die Schule sind wirklich interessant, die Stelle wäre sicher schnell nachbesetzt.

Kann einer, der Schüler tröstet und Konflikte zwischen Jugendlichen und Sozialarbeitern moderiert, auch politische Querelen besser abmoderieren?

Bei den Schülern hilft es oft, gemeinsam eine Runde ums Schulgelände zu drehen. Da kommt man viel leichter ins Gespräch. Und auch bei der Ombudsstelle geht es um Deeskalation. Warum hat das Jugendamt einen Antrag auf Hilfe abgelehnt? Warum möchte die Familie eine besondere Wohngruppe? Ist das finanzierbar? Wie kann etwas beim nächsten Mal besser laufen? Insofern gibt es schon Parallelen. Schwierige Konflikte sind nichts Neues für mich, sie gehören zu meinem Arbeitsalltag.

Das dürfte man auch vom Hauptbahnhof-Bundespolizisten Marius Bleek behaupten, der auf das Amt nach seiner Wahl überraschend verzichtete. Wieviel Verständnis haben Sie für seinen Rückzug?

Ich weiß nicht, warum er sich zurückgezogen hat. Ich mag mich auch nicht an Spekulationen beteiligen. Für mich ist klar: Hier ist mein Lebensmittelpunkt. Ich habe als Kind hier gelebt, lebe jetzt seit vier Jahren wieder hier, habe vor sechs Wochen hier geheiratet und baue hier mein Haus. Das ist baurechtlich übrigens schon vom Gemeinderat abgesegnet - nicht, dass es heißt, der neue Bürgermeister genehmigt sich sein eigenes Haus.

Der Polizeibeamte Marius Bleek aus Germering wurde am 7. Mai zum neuen Pähler Rathaus-Chef gewählt. Doch sechs Wochen später ruderte er zurück - kurz vor seiner Vereidigung. (Foto: Georgine Treybal)

Sie klingen sehr entschlossen. Aber warum erst jetzt? Sie hätten ja auch schon im Frühjahr kandidieren können.

Ich habe im Winter schon mit meiner Frau diskutiert, ob das eine Option wäre. Aber mir war auch klar: Ich bin 35 Jahre alt - und als Bürgermeister braucht man eine gewisse Lebenserfahrung. Ich habe viel Respekt vor dem Amt. Damals habe ich mich noch nicht soweit gefühlt, zudem gab es mit Werner Grünbauer und Bleek ja zwei Kandidaten. Es war klar, der Pähler Bürger hat eine echte Wahl.

Im Ort sind Sie als treuer Besucher der Gemeinderatssitzungen bekannt.

Ich finde politisches Engagement sehr wichtig. Debatten muss man aus erster Hand mitkriegen. Alles andere ist das Prinzip Flüsterpost.

Dadurch kennen Sie die Herausforderungen, vor denen der Ort steht. Was würden Sie in den zweieinhalb Jahren bis zur nächsten Wahl gerne anpacken?

Es gibt bereits viele Projekte, die vorangebracht werden müssen: Sanierung oder Neubau von Schule und Rathaus, das neue große Baugebiet mit bezahlbarem Wohnraum, die geplante Tagespflege für Senioren und eine Hausarztpraxis für Pähl. Dazu kommen brennende Themen wie Kinderbetreuungsplätze, der öffentliche Nahverkehr, der Radweg nach Dießen. Es gilt zu priorisieren, was wir jetzt als Erstes umsetzen können - und was den Bürgern wichtig ist. Also immer wieder rückzukoppeln, was im Interesse des Gemeinwohls liegt.

Wie wollen Sie das feststellen?

Zum Beispiel könnte man alle halbe Jahre eine Bürgerversammlung abhalten. Sie bieten ein Diskussionsforum, jede Meinung hat ihre Berechtigung. Wichtig ist mir, dass der Anstand gewahrt bleibt. Demokratie heißt, miteinander ins Gespräch zu kommen, unterschiedliche Meinungen auszuhalten.

Ein weiteres Drama im Ort entspann sich um die "Asinella"-Eselfarm. Grünbauer zeigte die Betreiberin wegen Schwarzbauten beim Landratsamt an - schlussendlich durfte die Farm unter Auflagen weiterbestehen. (Foto: Arlet Ulfers)
Zwölf Jahre lang hat Werner Grünbauer die Geschicke der Gemeinde Pähl geleitet. Er sanierte den Haushalt, doch mit denkwürdigen Auftritten stieß er viele vor den Kopf. (Foto: Arlet Ulfers)

Etwas, mit dem man sich in Pähl bisher offenkundig schwergetan hat.

Auseinandersetzungen gehören ja zur Politik. Wenn es allerdings nur ein Querschießen ist, wenn es nur Querulantentum ist, die Grenzen von Anständigkeit und Höflichkeit verletzt werden, dann hat das im Politikbetrieb nichts verloren.

Grünbauer wurde als "Ammersee-Trump" verspottet.

Es steht mir nicht zu, den früheren Amtsinhaber zu kritisieren. Da scheiden sich die Meinungen, und sicherlich gab es sowohl gute Ansätze als auch nicht so konstruktive Debatten. Klar ist, es muss jetzt alles auf den Tisch. Was ist finanziell machbar, was nicht? Mit Transparenz und guter Kommunikation sollte vieles möglich sein. Ich will eine ideologiefreie Sachpolitik.

Also als Parteiloser antreten, statt einer Partei beizutreten?

In Anbetracht der Auseinandersetzungen wäre es ein ungutes Signal, mich einer Partei anzudienen. Ich möchte mich auch nicht irgendwelchen Ideologien oder Parteiprogrammen unterwerfen. Deshalb wäre ich gern zu hundert Prozent parteilos angetreten. Da das bayerische Kommunalwahlrecht das nicht vorsieht, haben wir eine Wählergruppe gegründet. Sie heißt "Pähl in Gemeinschaft". Schließlich geht es eben darum - Gemeinschaft.

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Von Linus Freymark

Wer ist "wir"?

Verschiedene Familienmitglieder. Menschen, denen wichtig ist, dass ruhige und geordnete Verhältnisse in Pähl einkehren. Das Prozedere dahinter war nicht ganz einfach. Aber ich bin das mit derselben Ernsthaftigkeit angegangen, mit der ich jetzt Bürgermeister werden will. Im Gemeinderat war davon die Rede, dass man als ehrenamtlicher Bürgermeister ja auch erstmal "reinschnuppern" könne. Für mich ist das keine Option, das ist ja keine Stammtischidee. Ich möchte nicht nur ein Bürgermeister für die zweieinhalb Jahre sein, sondern auch für die Zeit danach - womöglich auch als hauptamtlicher Bürgermeister. Ich meine das sehr ernst.

Das lässt sich jetzt so einfach sagen. Noch sind Sie ja nicht im Sturm der Gemengelagen.

In den vergangenen vier Jahren habe ich viel mitbekommen und mir viele Gedanken gemacht. Ich mache mir keine Sorgen, vergrault zu werden, im Gegenteil. Ich setze auf ein spannendes Amt, und ja - auch eines mit schwierigen Entscheidungen. Ich habe da keine rosarote Brille auf. Bei allem Negativen ist auch immer viel Positives möglich.

Geht Ihr Plan auf, gehen Sie womöglich als Retter von Pähl in die Annalen ein. Wobei es ja noch einen zweiten Interessenten geben soll . . .

Ich hoffe, dass es noch mehr Kandidaten geben wird. Die Bürger haben das Recht auf eine Wahl - gerade in Pähl.

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