Süddeutsche Zeitung

Ortsgeschichte:Spurensuche im Erdreich

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Im Sommer holen Archäologen in Wörthsee bergeweise Perlen, Armreifen und Keramik aus dem Boden. Jetzt wird ein neues keltisches Grabungsfeld an der Kuckuckstraße in Steinebach eröffnet.

Von Christine Setzwein, Wörthsee

In Wörthsee wird wieder ein Fenster in die Vergangenheit geöffnet. Es gibt den Blick frei in die geheimnisvolle Zeit der Kelten, die - das ist mittlerweile durch viele Funde belegt - in der Latènezeit in Steinebach siedelten. Fensteröffner ist dieses Mal Thomas Neumann, Chef der Münchner Grabungsfirma Neumann Excavations & Technologies (Nexct). An diesem Donnerstag beobachtet er, wie der Bagger auf einem Feld an der Kuckuckstraße vorsichtig den Oberboden abträgt. Neumann schaut vor allem auf die dunklen Verfärbungen der Erde, und der Archäologe erkennt sofort, ob sie natürlich entstanden oder von Menschenhand geschaffen sind. Einige Stellen sind bereits mit roter Farbe markiert. Die Kreise, in denen weiße Schildchen liegen, und ein angedeuteter Graben sind vielversprechend. Dort hat Neumann Knochenreste gefunden.

Das Areal zwischen Kuckuckstraße, Schluifelder Straße und Am Teilsrain ist ein Bodendenkmal. Schon beim Bau des früheren Supermarkts und der Kinderkrippe wurde Kelten-Funde sichergestellt, Teile davon sind im Rathaus und im Kelten-Pavillon davor ausgestellt. Erst im vergangenen Sommer holte eine Grabungsfirma aus Icking am Taubenweg in Steinebach bergeweise Funde aus dem Boden: Fibelschmuck, Perlen, mehrfarbige Glasarmreifen, Keramik, Tierknochen und sogar Bernstein. Die Archäologen datieren sie aus der Zeit von 150 bis 50 vor Christus. Zwei Fibeln aus Bronze könnten sogar aus der frühe Latènezeit - 450 bis 380 vor Christus - stammen. Am Taubenweg entdeckten die Wissenschaftler auch 17 Gruben, sechs Gräben, fünf Grubenhäuser und zwei Brunnen.

Soweit ist Thomas Neumann an der Kuckuckstraße noch nicht. Viel spricht dafür, dass in der Erde Pfähle steckten, "aber einen Hausgrundriss sehe ich noch nicht". Der Archäologe geht davon aus, dass noch Keramikfunde im Boden schlummern. Die Knochenreste könnten von Speiseabfällen stammen. Aber die richtige Ausgrabung hat noch nicht begonnen. Das passiert erst, wenn der Oberboden ganz abgetragen und solange die Erde noch nicht durchgefroren ist. Dort, wo archäologische Funde im Boden vermutet werden, sind vor der Bebauung des Grundstücks wissenschaftliche Grabungen vorgeschrieben. An der Kuckuckstraße ist ein neuer Supermarkt geplant und genehmigt. Damit sind nicht alle Wörthseer einverstanden, davon zeugt das Tansparent an den Bäumen vor der Baustelle. Anlieger Robert Wihan findet es dagegen "sehr spannend", was sich gerade tut auf der Baustelle. Er gehe regelmäßig zu den Archäologen und Bauarbeitern und unterhalte sich mit ihnen, sagt er.

Auch Bürgermeisterin Christel Muggenthal war am Donnerstag vor Ort, um sich ein Bild zu machen. Anfang der 2000er-Jahre haben sie, die Historikerin Monika Ofer und die damalige Kulturreferentin Martina Jursch aus den Äckern im Süden Steinebachs kistenweise Tonscherben, Münzen, Fibeln, Bronzestücke und Teile von blauem Glasschmuck aus dem Boden geholt und sie an das Landesamt für Denkmalpflege weitergeleitet. Ob beim Kartoffelklauben oder bei Bauarbeiten: Seit 1949 tauchen in Steinebach immer wieder keltische Funde auf. Heute gilt der Ort als die drittgrößte Keltensiedlung in Bayern, in der Glas geschmolzen, Schmuck und Münzen produziert wurden. Wie groß die Siedlung war, ist unbekannt, die Kelten haben nichts Schriftliches überliefert. Es könnten 500, aber auch 1500 Menschen gewesen sein, die hier gelebt haben.

Für den Archäologen Thomas Neumann ist es wichtig, "zu retten, was noch zu retten ist". Ob Ausgrabungen zu sichern oder sie geschützt im Boden zu lassen, wichtig sei die Dokumentation für spätere Generationen. "Schließlich ist das unser Kulturgut", sagt er.

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SZ vom 04.12.2020
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