Eine reduzierte Kammermusik-Fassung von Carl Orffs "Die Bernauerin" auf einem unter Corona-Bedingungen realisierten Orff-Festival. Kann das gut gehen? Orff lebt doch vom Orchester, dem großen Chor, vielen Schauspielern auf der Bühne, von Gänsehaut-Fortissimo. Es kann. Sogar sehr gut, nicht nur weil die Alternative in Pandemie-Zeiten gar keine Aufführung bedeutet hätte. Regisseurin Angela Hundsdorfer, Bühnenbildner Thomas Bruner, Musizierenden und Darstellenden gelang das Kunststück, das Wenige nach viel aussehen und klingen zu lassen, so dass nichts von der Orffschen Klangfülle, Opulenz und Lebendigkeit verloren ging.
Beim Betreten des sparsam bestuhlten Florianstadls brachte ein Blick auf die Instrumente auf der Bühne Erleichterung. Gott sei Dank, die große Trommel stand hinter den Streich- und Blasinstrumenten, auch die typischen Orffschen Rhythmus- und Klanginstrumente, Xylofone, Glocken und Rasseln waren da. Gespielt wurden sie von den Münchner Symphonikern unter der Leitung von Joseph Bastian. Der Chor auf der Bühne fehlte zwar, der Gesang des Mendelssohn Vocalensembles kam vom Band. Aber die pragmatische Lösung fiel nicht als Makel auf, zumal das Publikum virtuelle Musik im Lockdown schätzen gelernt hat. Die Anzahl der Akteure auf der Bühne war auf zehn eingedampft worden. Die Schauspielerinnen und Schauspieler mimten wechselweise Badbesucher, Ritter, Volk oder Hexen. Dieser Kniff war äußerst gelungen, die unterschiedlichen Rollen konnten dadurch als Sinnbild für das Facettenreichtum des menschlichen Seins gedeutet werden.
Links und rechts vor dem Kammerorchester standen Leinwände, vor denen die Schauspieler agierten. Mit Lichteffekten wurden mal Musiker, mal Schauspieler in den Mittelpunkt gerückt. Oder das Publikum sah Schattenrisse hinter der Leinwand, auf der das holzschnittartige Bühnenbild in Schwarzweiß projiziert war.
In dem 1947 uraufgeführten Werk hat Carl Orff die unglückliche Liebesgeschichte zwischen Herzog Albrecht und Agnes Bernauer verarbeitet. Er verwendete dafür ein mittelalterliches Bairisch mit vielen Alliterationen und lautmalerischen Kunstworten (Falter, die flogezen und flibizen). Gleich die erste Szene führt die Zuschauer in die Orffsche Klang-, Farb- und Spielwelt. In einer Badestube vergnügen sich die Besucher hemmungslos und frivol.
Im Kontrast dazu stand die madonnenhafte Badertochter Agnes Bernauer (Anna Maria Sturm), angeschmachtet von Herzog Albrecht (derjenige, der Kloster Andechs gegründet hat). Er wurde gespielt von Pirmin Sedlmeir, der dank seiner Bierbrauerlehre in Herrsching eine besondere Beziehung zum Kloster hat. Bürger, Hexe, Mönch, Richter oder Häscher waren Jürgen Fischer, Andreas Bittl, Thomas Heim, Pia Kolb, Peter Weiß aus Weßling und Max Pfnür, der viel Applaus für seine Rolle als demagogischer und diabolisch hetzerischer Mönch bekam. Höhepunkt war die Szene, in der die Hexen mit zu irren Fratzen verzerrten Wutgesichtern, kreischend und mit geiferndem Voyeurismus den Tod der Bernauerin in den Fluten der Donau beobachteten. Sie wurden von anschwellendem Schlagwerk begleitet. Erst in der nächsten Szene fanden sie beim verzweifelten Ruf von Albrecht ("wo ist die Bernauerin?") zur Menschlichkeit zurück. Statt Wut und Raserei spiegelten die Gesichter der Schauspieler Betroffenheit, Verlegenheit und Scham wider. Es drängen sich Parallelen zur heutigen Zeit mit Hasskommentaren in den sozialen Medien auf. Die 2020 von Komponist Paul Leonard Schäffer erarbeitete reduzierte Bühnenfassung könnte dazu beitragen, dass die "Bernauerin" in Zukunft öfter aufgeführt wird. Wegen der Masse an Interpreten beim Original scheuten nämlich kleinere Bühnen vor dem Werk zurück.
Weitere Aufführungen im Florianstadl Andechs am 6. und 7. August (19 Uhr) sowie am 8. August (15 Uhr). Karten unter orff-festival.com