Oper:Liebende Rachefurie

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Mit wenig Requisite viel Wirkung erzielt: Neun quadratische weiße Tische genügen als Rahmen, um das dramatische Geschehen von Luigi Cherubinis Oper Medea wirkungsvoll in Szene zu setzen. (Foto: Nila Thiel)

Andreas Schlegel und Ada Ramzews bringen Luigi Cherubinis Oper "Medea" auf die Bühne der Schlossberghalle. Das Wagnis gelingt trotz einiger Abstriche

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Die Handlung ist knapp und erzählerisch klar. Selbst wer des Französischen nicht mächtig ist, kann ihr folgen. Was aber Luigi Cherubinis Oper "Médée" (Medea) psychologisch in sich birgt, ist schwer zu bändigen. Das Stück zu inszenieren, bedeutet geradezu über ein Minenfeld zu laufen: Die Chance, dass es gut geht, ist gering. Dennoch hat der künstlerischer Leiter von "Oper in Starnberg", Andreas Schlegel, recht: Diese Oper gehört häufiger gespielt. Vor allem, weil sie schöne Kombinationen aus Solisten und Chor beinhaltet; sehr tiefsinnige und hochdramatische Arien, starke orchestrale Momente und reich changierende Stimmungen.

Schlegel hatte leicht reden, lag es doch vor allem an Ada Ramzews, den multiplen, schwer fassbaren Charakteren der mythologischen Tragödie in der Inszenierung gerecht zu werden - und dies bei kargster Ausstattung. Aber Not machte auch hier erfinderisch: Neun quadratische weiße Tische genügten Ramzews als spielerisches Element, um liegend oder stehend immer wieder neue räumliche Konstellationen zu schaffen. An ihnen wurden auch symbolische Handlungen vorgenommen: Etwa wenn Jasons neue Braut und Tochter des Königs Kreon Dircé (Glauke) von Zweifeln und Ängsten getrieben auf den Tischen herumwandert, die ihre Begleiterinnen wie im Schiebefix so anordnen, dass sie schließlich zu ihren Brautschuhen, zu ihrem Glück gelangt. Katherina Heißenhuber (Sopran) und Silvia Aurea De Stefano (Mezzosopran) als Dircés Freundinnnen erwiesen sich dabei stimmlich ebenbürtig.

Ein langer Monolog, flankiert von viel Möbelrücken, in dem die Sopranistin Yuna-Maria Schmidt zwischen Schwärmerei und düsteren Vorahnungen hin- und hergerissen war, überzeugte. Dass Kreon, hier mit dem altersmäßig allzu energisch agierenden, doch stimmlich des Königs würdigen Bariton Timon Führ besetzt, seine Tochter fürs Goldene Vlies verkaufte, war für die Oper aber eher irrelevant.

Denn hier ging es vor allem um Jason und Médée (Iason und Medea), deren große Liebe beim Raub des Goldenen Vlieses begann und mit zwei Söhnen beglückt wurde. Viele Schwarzweißfotos zeugten auf der Bühne von den glücklichen Zeiten, die immer wieder in der Oper heraufbeschworen wurden. Zumindest so lange, bis alle begriffen, dass die schönen Erinnerungen wohl eine Lüge gewesen waren - obwohl Medea für diese Scheinidylle ihren eigenen Bruder umgebracht hatte. Wer wäre da nicht wütend? Jason alias Tenor Jason Papowitz, als einst heldenhafter Anführer der Argonauten kaum noch zu erkennen, doch stimmlich ein kraftvoller Gegenpart, ließ es natürlich kalt.

Der späte Auftritt Medeas profitierte von der dramaturgischen Spannung, die Warten zu erzeugen vermochte. Zumal hier ein Dämon mit für die kurze Entfernung zum Publikum in der Starnberger Schlossberghalle allzu übertriebener Mimik und Gestik die Bühne betrat. Sopranistin Marieke Wikesjo war für die Rolle eine gute Wahl, weil sie die Wandlung zwischen der Liebenden, Giftspeienden und Mörderin selbst innerhalb einer einzigen Phrase stimmlich absolut glaubhaft vollziehen konnte. Sie wechselte so unentwegt die Persönlichkeit, dass es einem schwindlig werden konnte. Der Dolch in ihrer Hand war dann endlich mal eine klare Ansage, auch wenn sie dabei vor sich selbst erschrak. Was um so glaubhafter wirkte, nachdem sie ihre Dienerin Néris zuvor in einer berührenden Arie liebevoll besungen hatte.

Die Mezzosopranistin Solgerd Isalv brillierte aber nicht nur in dieser warmtonig empfindsamen Arie. Ihr ausdrucksstarkes Spiel überzeugte schon allein mimisch. Die beiden Schwedinnen hielten denn auch den ganzen dritten Akt unter Spannung, bis Dircé und die beiden passend unbekümmert agierenden Prinzen (Leo Klammer und Caspar von Essen) der Rachefurie zum Opfer fielen.

Projektsänger und Mitglieder des Vokalensembles Fünfseenland spielten als Ausdeuter der Stimmungen im Sinne eines antiken Chors sicher und überzeugend mit, auch wenn ihr stimmliches Vermögen angesichts der dramatischen Entwicklungen bisweilen etwas blass ausfiel. Das lag vor allem an der entfernten, rückwärtigen Position des Chors, wo auch das Orchester Capella München im reduzierten Umfang mit den Zuspitzungen zu kämpfen hatte, um die nötige Durchschlagskraft zu erreichen und klangsatt Unheil zu entfachen. Aber ohne Abstriche ist ein solches Unternehmen in der Schlossberghalle nicht zu stemmen. Weniger störend war, dass die Sänger über die Zuschauer hinweg sehen mussten, um die Projektion des Dirigenten, der hinter ihnen souverän Emotionen formte, im Blick zu haben. Für die gegebenen Möglichkeiten war das Ganze ein Meisterwerk, das sich die lang anhaltenden frenetischen Ovationen zweifelsohne verdient hat.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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