Süddeutsche Zeitung

Oberpfaffenhofen:Hilfe von oben bei Naturkatastrophen

Das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt bereitet Daten aus dem All auf. Mit den digitalen Karten können sich Hilfsorganisationen bei Unglücken wie dem Erdbeben in der Türkei orientieren.

Von Carolin Fries, Weßling

Die meisten Katastrophen schaffen es nicht in die Tagesschau oder die Zeitungen - sie finden aber dennoch statt: etwa der tropische Wirbelsturm "Kevin" in Vanuatu Anfang des Monats, die Erdrutsche in Indonesien kurz darauf oder Zyklon "Freddy" in Südostafrika. "Aktuell ist außerdem Hochwassersaison in Afrika", sagt Monika Gähler, die Leiterin des Zentrums für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen.

Für sie bedeuten all diese Ereignisse Arbeit, wenn auch nicht in den Krisengebieten vor Ort. Gähler und ihr Team erstellen auf Grundlage von Satellitendaten am DLR digitale Karten, die den Hilfsorganisationen in den betroffenen Regionen wertvolle Hilfestellung leisten. War das Trümmerfeld eine leer stehende Schule, die nachts eingestürzt ist oder ein Wohnhaus, in dem Menschen schliefen, als die Erde nachts bebte? Was hat der Wirbelsturm mitgerissen - und wo stehen bereits Zelte der Helfer?

In all den genannten Fällen wurde die "internationale Charta Weltraum" zur Unterstützung der Katastrophenhilfe aktiviert. In dieser arbeiten die Weltraumagenturen und sämtliche Satellitensystembetreiber zusammen, um Datensätze bereitzustellen. Irgendjemand in Gählers Team hat darum immer Rufbereitschaft, um den TerraSar-X-Radarsatelliten des DLR in 514 Kilometern Höhe für die benötigten Daten anzufunken.

Das klappt mal besser, mal schlechter. "Nachts ist es dunkel, da kriegen wir keine Bilder oder aber es ist neblig", erklärt Gähler. Als eines Nachts Anfang Februar die Erde im Südosten der Türkei bebte, war der Himmel am Morgen danach bewölkt, Aufnahmen waren nicht möglich. Erst tags darauf konnte der Satellit Bilder von der Region Gaziantep übermitteln, abends standen die Daten bereits aufgearbeitet den Helfern vor Ort zur Verfügung. "In den vergangenen Jahren hat sich in punkto Geschwindigkeit viel getan", sagt Gähler.

Zudem gibt es immer neue Möglichkeiten, die Daten sinnvoll aufzubereiten und den Nutzern verständlich über Webdienste zu präsentieren, wie die 49-jährige Geografin erzählt. Das motiviere sie immer wieder aufs Neue, auch wenn sie und ihr Team bei der Erdbeobachtung viel Zerstörung und Leid sehen und aushalten müssen. "Wir können einen Beitrag der Hilfe leisten, wenn auch nur einen kleinen."

Natürlich greifen auch die deutschen Behörden und Institutionen auf die Dienste des ZKI aus Oberpfaffenhofen zurück, das es seit 2004 gibt. Bei der Aufklärung von Verbrechen, bei Großveranstaltungen mit Sicherheitsrisiken oder aber auch dem Hochwasser im Ahrtal. Dafür werden auch die Daten anderer Satellitenbetreiber angefragt, um möglichst alle angeforderten Informationen zur Verfügung stellen zu können. So lässt sich zum Beispiel ermitteln, welche Autos bei einem Überfall in der Nähe parkten oder aber aus welchem Fahrzeug heraus der kontaminierte Müll im Wald ausgeladen wurde. Auch kann per Satellit kontrolliert werden, ob die geforderten Ausgleichsflächen tatsächlich als Biotope angelegt wurden - und auch als solche erhalten werden.

In vielen Fällen arbeitet das ZKI eng mit den Nutzern zusammen. Von der Stadt Altenahr etwa fertigten die Datenanalysten aus Weßling nach dem Hochwasser eine Karte, auf der alle zerstörten und weggeschwemmten Gebäude transparent im Lageplan der Stadt eingezeichnet sind. "Diese Form der Darstellung hilft beim Wiederaufbau", weiß die Umweltwissenschaftlerin Anne Schneibel. Für die benötigten, hoch aufgelösten Bilder waren Drohnen im Einsatz, die systematisch die Stadt abgeflogen und Daten übermittelten.

Auch in der türkischen Stadt Kirikhan ließen DLR-Mitarbeiter eine Drohne Daten sammeln. Der daraus entwickelte Service ist für die Hilfsorganisationen enorm wichtig: Jedes größere Gebäude ist nach dem Grad seiner Zerstörung farblich markiert und lässt sich für zusätzlich hinterlegte Informationen anklicken. Für derlei Dienste nutzt das ZKI neueste Technologien wie eine KI-basierte Gebäudedetektion.

Was den Krieg in der Ukraine betrifft, greife das ZKI ausschließlich für humanitäre Zwecke auf Satellitendaten zurück, erklärt Schneibel. Zwischenzeitlich standen jedoch keine Daten der US-amerikanischen Satellitenbetreiber zur Verfügung, wie sie erzählt. Inzwischen bekommt das DLR wieder Informationen, welche die Erdbeobachter zum Beispiel für die Erstellung von Infrastruktur-Karten nutzen und Hilfsorganisationen zur Verfügung stellen, damit diese ihre Lieferungen gezielt koordinieren können.

Manche Katastrophen bleiben lange in Erinnerung

Monika Gähler und ihre sechs Mitarbeiter - bei Bedarf lässt sich das Team temporär auch auf bis zu 20 Kollegen aufstocken - arbeiten in Forschungsprojekten daran, den Mehrwert der Satellitendaten für die Nutzer permanent zu erhöhen. So können sie auch nachweisen, wie sich die Landmassen durch die schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien verschoben haben: Die Verwerfungen betragen an manchen Stellen bis zu sechs Meter, die Risse sind an der Oberfläche auf etwa 250 Kilometern Länge zu erkennen. Dafür haben ZKI-Wissenschaftler Daten des europäischen Radarsatelliten Sentinel-1 analysiert und visualisiert. "Wir sehen einfach mehr", sagt Schneibel. "Das erweitert den Horizont."

Mitunter lassen einen die Bilder nach Feierabend aber auch nicht mehr los. Monika Gähler etwa erinnert sich bis heute an die Erdbebenkatastrophe 2010 in Haiti, als die internationale Charta aktiviert wurde und sie Rufbereitschaft hatte. Damals starben geschätzt mindestens 200 000 Menschen, mehr als eine Million wurde obdachlos. Ebenso in trauriger Erinnerung bleibt das Hochwasser im Ahrtal. "Das war schon sehr besonders in diesem Ausmaß."

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