Süddeutsche Zeitung

Nach einem halben Jahr im Weltraum:"Einfach nicht nach unten schauen"

Lesezeit: 3 min

Der Astronaut Matthias Maurer blickt beim Missionsabschluss im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf seine Zeit auf der Internationalen Raumstation ISS zurück.

Von Patrizia Steipe, Weßling

Kinder können so gnadenlos sein. Diese Erfahrung musste auch Astronaut Matthias Maurer machen, als er vor seinem Flug ins All auf einer Promotion-Tour von einer Schar Kinder umringt war. "Warst du denn schon im All?", habe ein kleiner Naseweis gefragt und auf Maurers Antwort "Nein, aber bald" erwidert: "Dann bist du kein richtiger Astronaut." Sprachs, drehte sich um und ging - gefolgt von den anderen Kindern.

Diese Anekdote erzählte der ESA-Astronaut vor Wissenschaftlern und Presse im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Genugtuung. Denn nach seinem sechsmonatigen Aufenthalt im All, der sogar einen "Weltraumspaziergang" beinhaltete, hält sein Astronautenstatus auch kritischen Kindern stand. Der 53-Jährige ging als 13. Deutscher im Weltraum in die Geschichtsbücher ein.

Bei der zweitägigen Veranstaltung im DLR ging es um die Experimente im All, viele davon hatte Maurer durchgeführt, und um einen Rückblick auf die Mission "Cosmic Kiss". "Science debrief" nannte sich das.

Wer den Raumfahrer auf seiner Mission medial begleitet hatte, bemerkte, dass Maurers Gesicht in echt viel schlanker als im All aussieht. Hatte er auf der Internationalen Raumstation ISS etwa zu viel von seinem mit Milchpulver und probiotischen Ernährungszusätzen angesetzten Joghurt verspeist? Eines der Experimente, die Maurer inoffiziell durchgeführt hatte, um seinen Speiseplan aufzupeppen, wie er verriet. Der Grund waren aber nicht zu viele Kalorien, sondern die Schwerelosigkeit. "Bei Astronauten wachsen auch mehr Gehirnzellen im All", erzählte der Raumfahrer, das reguliere sich später auf der Erde.

Was die Experimente betrifft, so waren die zusätzlichen Gehirnzellen sicher nicht schlecht, denn es galt, ein anspruchsvolles Pensum zu bewältigen. Nicht alles konnte vorher auf der Erde geübt werden, deswegen wurde Maurer geschult, verschiedene Forschungsstandards einzuhalten, die bei allen Experimenten angewandt werden konnten. Für eines musste Maurer unterschiedlich beschichtete Oberflächen anfassen, um herauszufinden, welche von Bakterien am wenigsten "gemocht" werden.

"Wenn wir einen Menschen ins All schicken, schicken wir immer auch Mikroben mit", erklärte Ralf Möller (DLR). Auf der ISS hätten diese bereits Schäden angerichtet. Bei der Versuchsanordnung, die gemeinsam mit Frank Mücklich (Universität Saarland) ausgearbeitet worden war, hatten sich die Wissenschaftler von der Natur inspirieren lassen und mit Laser verschiedene Oberflächen nachgemacht. Es gelang tatsächlich, eine Oberfläche zu finden, an der sich 80 Prozent weniger Bakterien anhafteten und die Bakterien sogar abtötete.

Auf der Leinwand verfolgte das Publikum Maurer, wie er im Columbus-Modul der ISS seine Finger auf das kleine Rechteck mit den unterschiedlichen Oberflächen, genannt "Touch Array", drückte. Normalerweise heiße es "don't touch my experiment", doch hier lautete die Devise: "please touch", erklärte Möller. Die Experimente wurden von Schülern ergänzt. Sie untersuchten Anhaftungen auf Oberflächen wie Handyhüllen, Klobrillen, Türklinken oder ähnlichem. Eines steht jetzt schon fest. "Kupfer und Messing sind am besten", folgerte Mücklich. Er hofft, dass die Ergebnisse auch beim Kampf gegen multiresistene Keime helfen können.

Oben zu erfahren, dass auf der Erde Krieg ausgebrochen ist, "das hat uns ganz besonders wehgetan"

Highlight auf der To-do-Liste von Maurer sei ein Außeneinsatz gewesen, ein sogenannter "Weltraumspaziergang". Wie er sich dabei gefühlt habe, lautete eine Frage. Wenn man im All schwebe, unter sich 400 Kilometer bis zur Erde, könne leicht Panik entstehen. Deswegen habe er sich die Strategie zurechtgelegt, einfach nicht nach unten zu schauen. "Aber es wurde ganz anders", erzählte der Astronaut. Kaum war er mit seinem Kollegen aus der Raumstation geklettert, gab es technische Probleme mit dem Sicherheitssystem und dann mit seiner Helmkamera. Wegen der Reparaturen wären sie so beschäftigt gewesen, "da blieb keine Zeit zur Panik". Doch in eine komplett andere Welt einzutauchen, sei einzigartig gewesen.

Als "schaurig-schön" beschrieb Maurer das Gefühl, von oben auf die Erde zu schauen und zu erkennen, dass alles, "was jemals in der Menschheitsgeschichte passiert ist, in nur 90 Minuten überflogen werden kann", resümierte er. So lange würde es nämlich dauern, bis die ISS einmal die Weltkugel umrundet hat. Da sei er zur Erkenntnis gekommen, dass er "Botschafter für diese wunderbare Erde" sei. Von oben zu erfahren, dass auf der Erde Krieg ausgebrochen ist, "das hat uns oben ganz besonders wehgetan".

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