Cosmic Kiss:Matthias Maurer und die Radieschensamen

Lesezeit: 2 Min.

Endlich abgehoben: Der mehrmals verschobene Raketenstart in Cape Canaveral wird auf einen Bildschirm im DLR Oberpfaffenhofen übertragen. (Foto: Arlet Ulfers)

Wenn der deutsche Astronaut auf der Raumstation ISS experimentiert, kümmern sich Wissenschaftler in Oberpfaffenhofen um die technischen Voraussetzungen im Columbus-Modul.

Von Michael Berzl, Weßling

Der nächtliche Himmel über Oberpfaffenhofen ist sternklar und die Luft kalt, die Temperaturen liegen knapp unter dem Gefrierpunkt. Das Gelände der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist fast menschenleer um diese Zeit mitten in der Nacht zum Donnerstag. Nur im Kontrollzentrum hat sich ein Grüppchen versammelt, um den Start einer Rakete im Kennedy Space Center in Florida zu beobachten. Dort, gut 7800 Kilometer entfernt im Westen, macht sich Matthias Maurer aus dem Saarland zusammen mit drei weiteren Astronauten auf den Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz auf der internationalen Raumstation ISS. Und in Oberpfaffenhofen sorgen Techniker und Wissenschaftler dafür, dass er genug Strom hat, dass es ihm nicht zu warm wird dort droben und dass die Luft nicht zu feucht wird. Sie halten das Columbus-Modul am Laufen und kümmern sich darum, dass alles funktioniert.

"Wir arbeiten den Astronauten voraus. Wir räumen den Weg frei, damit sie dort möglichst effektiv arbeiten können." So beschreibt der Flight Controller Florian Bender die Aufgaben, die er und gut 30 Kollegen im Team des DLR übernehmen. Er war einer der wenigen Wissenschaftler, die in der Nacht auf einem riesigen Bildschirm im Kontrollraum den Raketenstart um kurz nach 3 Uhr mitverfolgt. "Es ist immer wieder spannend", sagt er. Bis Donnerstagabend verlief der insgesamt 22 Stunden dauernde Flug plangemäß und problemlos. In der Nacht sollte die Dragon-Raumkapsel an der Raumstation andocken.

Auf einem großen Bildschirm im Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen ist nachzulesen, womit die Astronauten auf der ISS gerade beschäftigt sind: Experimente, Sport, Schlafen. "Im Moment schlafen sie alle", sagt Felix Huber, Direktor des Deutschen Raumfahrtkontrollzentrums (GSOC), während er den Raketenstart auf einem Bildschirm mitverfolgt. Und das wird für die nächsten sechs Monate auch Maurers erste Aufgabe nach der Ankunft in seinem neuen Zuhause 400 Kilometer über der Erde sein: sich hinlegen und schlafen. Nach der Ruhephase solle sich der 51-Jährige erst einmal vertraut machen mit der Station. "Die hat immerhin das Innenvolumen einer Boeing 747 und ist ziemlich verwinkelt", erklärt DLR-Ingenieur Bender, der vom Boden aus Planungs- und Koordinierungsaufgaben übernimmt. Auch ein Sicherheitstraining gehört zur Eingewöhnungsphase im All, zu wissen, wo Fluchtwege sind, wo ein Feuerlöscher zu finden ist.

Im Rahmen seiner Mission "Cosmic Kiss" führt Maurer 36 deutsche sowie mehr als 100 internationale Experimente an Bord der ISS durch. Das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum in Oberpfaffenhofen ist für die Planung und Durchführung der Experimente im europäischen Columbus-Modul zuständig. Betreut werden diese Versuche von verschiedenen Standorten in ganz Europa aus, in Köln, Belgien, Toulouse, in der Schweiz und in Spanien. "Und bei uns laufen die Fäden zusammen", sagt Bender.

Felix Huber, der Direktor des Deutschen Raumfahrtkontrollzentrums in Oberpfaffenhofen, erläutert Details der Mission "Cosmic Kiss". (Foto: Arlet Ulfers)

Ein paar Beispiele: Da wird etwa die Strahlenbelastung außerhalb des Columbus-Labors gemessen und ein Bio-Printer zur Wundversorgung ausprobiert. Gase der menschlichen Atmung wie Sauerstoff und Kohlendioxid sowie Herzschlag und Körpertemperatur werden gemessen, um das Training der Astronauten zu verbessern. Und auch ein paar Schülerprojekte stehen auf der To-Do-Liste. Maurer hat Rucola- und Radieschensamen mitgenommen ins All, die auf einem ähnlichen Boden keimen sollen, wie er auf dem Mars zu finden sei, heißt es in einer Kurzbeschreibung des DLR. Im Rahmen eines Grundschulwettbewerbs sollen Kinder aus dritten und vierten Klassen dann zu Forschern werden und herausfinden, wie die "Space Seeds" die Reise überstanden haben.

Voraussichtlich im April soll der ESA-Astronaut Maurer die ISS wieder verlassen und in einer Raumkapsel zur Erde zurückkehren. Für die Wissenschaftler und Techniker in Oberpfaffenhofen aber geht die Arbeit weiter. Sie werden weiter vom Kontrollzentrum aus die Stromzufuhr im Columbus-Modul regeln, Wasserpumpen ein- und ausschalten und wieder gespannt den Start der nächsten Mission verfolgen.

© SZ vom 12.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mitten in Wessling
:In Geduld geübt

Manchmal will gut Ding Weile haben - in der Raumfahrt ebenso wie in der Forschung

Glosse von Astrid Becker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: