Süddeutsche Zeitung

Neuausrichtung:Vorzeige-Projekt im Schlösschen geplant

Die denkmalgeschützte Beringervilla soll mit Tagungsbetrieb, Tagespflege und Hort sozial und im Sinne der Inklusion genutzt werden

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Als Tagungsstandort ist Tutzing mit der Evangelischen Akademie im Schloss und der Akademie für Politische Bildung schon jahrzehntelang überregional bekannt. Jetzt soll ein weiteres Tagungshaus mit einer ganz besonderen Konstellation dazukommen: Im Beringerheim, einer historischen Villa mit weitläufigem Park, plant der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Regionalverband München/Oberbayern ein Tagungshaus gemeinsam mit Montessori Biberkor. Ein gemeinnütziger Inklusionsbetrieb für Menschen mit und ohne Behinderung soll das Tagungshaus managen. Darüber hinaus will der ASB auf dem großen Areal einen Hort im Wald verwirklichen, die Remise zu einem Multifunktionsraum umbauen und eine Tagespflege errichten. Damit kehrt das "Beringerheim" wieder zu der sozialen Funktion zurück, die ihm der Tutzinger Erbauer Beringer einst zugedacht hat.

Bei der Vorstellung im Gemeinderat stieß das umfangreiche Projekt durchweg auf Wohlwollen. Bürgermeisterin Marlene Greinwald sprach von "sehr schönen Plänen, die gut in die Gemeinde passen". Das repräsentative Schlösschen soll aus mehrjährigem Dornröschenschlaf wieder erweckt werden. Umfasste das Haus ursprünglich 50 Übernachtungsplätze für Erholungsuchende des "Bayerischen Verkehrs-Beamtenvereins", so sollen nach der Modernisierung 35 bis 40 Gäste übernachten können. Einiges müsse auf den fünf Etagen mit rund 1600 Quadratmetern saniert und der Brandschutz ertüchtigt werden, so ASB-Projektleiterin Monika Mayer. Doch das solle "bodenständig, wertig, solide" geschehen. Dabei werden die Denkmalschützer mitreden. Um das Flair des Altbaus wäre es schließlich schade. Im Untergeschoss mit Küche existiert noch ein Speisenaufzug; ein Billardtisch in einem Salon findet sich ebenso wie Parkettböden, überklebt mit Teppichware, alte Doppelfenster und Heizungsverkleidungen.

In der Montessori-Bildungseinrichtung Biberkor in der Gemeinde Berg freut man sich, dass Absolventen mit Inklusionsbedarf jetzt eine gute Perspektive auf einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz haben. Denn in der Inklusionsfirma, die die Trägerschaft des Tagungs- und Übernachtungshauses übernimmt, soll es Beschäftigung in Gastronomie, Hotellerie, Technik und Garten geben. "So etwas haben wir uns schon lange gewünscht", sagt Geschäftsführer Christoph Borchardt. Denn zum Ende der Schulzeit in Biberkor habe man für behinderte Schüler kein Konzept gehabt. Wie können sie selbstbestimmt und doch gut betreut weiter ihren Weg gehen?

Derzeit besuchen 22 Schüler unter anderem mit Down-Syndrom, Autismus oder Asperger-Syndrom die Grund- und Mittelschule, das sind knapp neun Prozent der Schüler. Samt Gymnasium gehen insgesamt 575 Kinder und Jugendliche auf die Montessori-Schule. Dazu kommt die Montessori-Akademie, in der jedes Jahr 400 Lehrer nach Montessori-Grundsätzen ausgebildet werden.

Diese Akademie soll im Beringerhaus künftig attraktive Räume finden, ebenso wie die Akademie des ASB-Landesverbandes und deren Kriseninterventionsteam. Die Villa und der sechs Hektar große Park, in dem Brücken über kleine Bäche führen, stehen nach Mayers Worten aber auch der Öffentlichkeit zur Verfügung, für Vereine, Kunst und Kultur und externe Tagungen.

Unter Regie des ASB soll die alte Remise einen Schulungs- und Mehrzweckraum mit 69 Quadratmetern und eine Toilettenanlage bekommen, von außen möglichst unverändert. Für die Kinder des geplanten Hortes im Wald dient er auch als Schutzraum. Der Hort muss wegen anstehender Umbauarbeiten aus der Tutzinger Mittelschule weichen und fände am Beringerweg Unterschlupf - ein Top-Angebot für die Gemeinde. Zunächst sind 25 Kinder in zwei Bauwagen vorgesehen. Er kann aber dem Vernehmen nach auf 65 Kinder aufgestockt werden.

Vom Telefonpionier bis zum BND

Die Beringervilla hat eine mehr als hundertjährige bewegte Geschichte hinter sich. Schon ihr Erbauer war ein illustrer Zeitgenosse. Johann Georg Beringer (1829 bis 1919) gilt als bedeutender Erfinder und Bienenfachmann. Der Ingenieur machte sich als Pionier der Telefonie einen Namen. Im Rang eines "Königlich Bayerischen Telegraphenoberingenieurs" war er maßgeblich an der Einrichtung des ersten Telefons auf der Zugspitze beteiligt, installierte verschiedene Schlossbeleuchtungen und bildete Lehrlinge im Fernmeldewesen und der Elektroinstallation aus. Zudem verfügte er über ein umfangreiches botanisches Wissen und war Imker, bekannt als "Tutzinger Bienenvater". Seine Abhandlung "Grundzüge der Bienenzucht" gehört bis heute zu den Standardwerken. Als Kunstsammler war Beringer befreundet mit bekannten zeitgenössischen Künstlern wie Carl Spitzweg, Franz von Lenbach und Friedrich Kaulbach.

Das Schlösschen an dem später nach Beringer benannten Weg ließ der Ingenieur 1912 errichten. Die Villa im Reformstil mit zwei Flügeln, Walmdächern und Erkertürmen in einem weitläufigen Park- und Waldanwesen vermachte er dem "Bayerischen Verkehrs-Beamtenverein" mit der Auflage, ein Erholungsheim für seine Mitglieder zu schaffen. Im "Beringerheim", wie es bis heute in Tutzing heißt, erholten sich jahrzehntelang Bahn- und Postangestellte am Starnberger See. Im Zweiten Weltkrieg diente es vorübergehend als Lazarett. Zuletzt hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) die Villa mit Beschlag belegt. Dort erhielten Mitarbeiter bis zu zwei Jahre lang Unterricht in Englisch und vor allem osteuropäischen Sprachen zu Abhörzwecken. Im Ort ist bis heute die Rede von der "Bundesbehörde, deren Namen man nicht nennen darf" - und man weiß Bescheid. 2018 erwarb der Arbeiter-Samariter-Bund die denkmalgeschützte Villa.manu

Im Jahr 2022 ist am Fuß des Beringerparks ein Neubau ins Auge gefasst, mit 400 Quadratmeter auf zwei Etagen - eine Tagespflege für Senioren mit dem ASB als Träger. "Dafür ist uns Bedarf signalisiert worden", wie Projektleiterin Mayer sagt. Für denkbar hält sie auch ein Angebot in Kurzzeitpflege. Über den Kaufpreis der Immobilie und das ungefähre Investitionsvolumen gibt die Hilfs- und Wohltätigkeitsorganisation keine Auskunft. Konzepte würden gerade geschrieben, diskutiert und öffentlich vorgestellt; Kalkulationen für die einzelnen Bereiche würden in der Folge erstellt und zunächst mit den zuständigen Vorständen und möglichen "Zuschussgebern" wie etwa Stiftungen besprochen, heißt es auf Nachfrage.

Planungsrechtlich will Tutzing den Weg für das Vorhaben rasch ebnen. Beschlossen wurde, den Flächennutzungsplan zu ändern und einen Bebauungsplan aufzustellen. Montessori-Geschäftsführer Borchardt hofft, dass der Vorzeige-Inklusionsbetrieb in weniger als zwei Jahren starten kann.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020
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