Es ist ja so eine Sache mit dem Brauchtum: Während manches wie Hexenverbrennung und Haberfeldtreiben dankenswerterweise an Bedeutung verloren hat, leben andere heimatliche Traditionen wieder auf. Sommersonnwendfeuer, Kirtahutschn im Herbst oder die Perchtenläufe zur Winterszeit schwappen vom Pfaffenwinkel jedes Jahr weiter ins Fünfseenland hinein. Die Dirndl- oder Krachledernen-Modewelle schwillt schon seit Jahrzehnten an, hat längst ganz Deutschland erfasst und treibt immer buntere und wundersamere Stilblüten.
Zu Wiesn-Tracht und Tradition fällt mir gerade der aktive Arm der Inninger Landjugend ein. Der hat ja vor dem jüngsten Oktoberfest das Kunststück vollbracht, von der streng bewachten Theresienwiese einen Maibaum davonzuschleppen. Und nun hat die Gang einen Stamm aus Allach gemopst, für den die dortigen Burschen schon Lösegeld gefordert hatten, nachdem sie ihn aus einer unbewachten Schule entführt hatten. Sozusagen Hyperparasitismus - wie wenn eine Zecke in eine blutsaugende Fledermaus beißt.

Was die Traditionspflege der Maibaumentführungen betrifft, darf unser schöner Landkreis Starnberg wohl als Nabel der Welt gelten - zumindest, wenn man Schlagzeilen als Maßstab nimmt. Längst werden die Raubzüge nicht mehr auf die Saison im Frühjahr beschränkt - auch im Spätwinter oder eben zur Wiesn-Zeit ist im weiten Umkreis des Fünfseenlands kein potenzieller Maibaum mehr sicher. Die Inninger Langfinger haben sich auch schon mitten im Sommer einen Maibaum bei Starnberg gegriffen. Der wartete auf einer Frohnloher Wiese Mitte Juni immer noch auf die gnädige Genehmigung des Landratsamts, um vor der Kirche aufgestellt zu werden.
Noch mehr als die Inninger haben freilich die Unterbrunner Burschen zum legendären Ruf des Landkreises als Hochburg der Maibaumstibitzer beigetragen. 69 erfolgreiche Coups in 75 Jahren! Doch am Ammersee wächst allmählich Konkurrenz heran: Die Parvenus sollen den Altmeistern schon eine nächtliche Heimsuchung angedroht haben, wenn in Unterbrunn mal ein Baum für die Maifeier lagert. Die Allacher Burschen waren ja bloß Sparringspartner und hatten in einem Internetvideo selbst den Weg zum geklauten Schulbaum gewiesen.
Dass es sich bei diesen Stadtbuben um Dilettanten handelt, beweist auch ein grobes Fehlverhalten, das in dem 30-Sekunden-Ruhmesstreifen zu sehen ist. Bekanntermaßen gehört zu Brauch und Baum unbedingt noch ein drittes B. Bier natürlich, das hektoliterweise als Auslöse verlangt wird und reichlich bei allen Handlungen und Verhandlungen fließen sollte. Die Allacher haben zwar ihr Video musikalisch mit einem Loblied auf den bayerischen Gerstensaft unterlegt, stoßen aber dann auf ihren Coup mit gelb-orange-lila etikettierten Flaschen an, die eindeutig mit einem Wort aus fünf Buchstaben beschriftet sind. Ich will es gar nicht in den Mund nehmen, aber mundartlich steht es auch für Kumpel.
Da ist die Inninger Landjugend halt aus ganz anderem Holz geschnitzt, wie ich vor drei Jahren selbst miterleben durfte. Damals feierten die Buben daheim die geglückte Entführung eines Maibaums. Am frühen Nachmittag waren sie nach unzähligen geleerten Maßkrügen so bumfoi, dass sie kaum noch gerade stehen konnten, um fürs Zeitungsfoto in die Kamera zu grinsen. Dass man hingegen mit der Allacher Anti-Bier-Haltung höchstens vorübergehend Erfolg hat, findet euer überzeugter Pro-Bierer Nepomuk dann doch tröstlich.