Süddeutsche Zeitung

Nepomuk:Ein ewig Rätsel

Dass sich Geister und mitunter auch Frauen schwer tun mit Entscheidungen, ist wenig überraschend. Aber politische Gremien und Institutionen?

Kolumne von Eurem Nepomuk

Liebe Leut', es ist an der Zeit, auszupacken. Nein, keine Koffer. So was brauchen wir Geister nicht. Also ich nicht. Nepomuka schon. Die kann sich ja nicht mal entscheiden, was sie einpacken soll, wenn sie sich mal aus den Tiefen unserer Seen nach oben an Land wagt: lieber zwei grüne, drei rote oder vier blaue Kleider? Bei mir ist das anders. Ich bin entscheidungsfreudig. Und drum hab' ich mich mit meinen 175 oder 196 Jahren - je nach Zeitrechnung - entschieden, die Wahrheit zu sagen. Ganz streng nach demokritischen Grundsätzen: "In Wirklichkeit wissen wir nichts, die Wahrheit liegt in der Tiefe". Und wie ich mich dort, im Starnberger See, an seiner tiefsten Stelle an der Allmannshausener Wand, herumtrieb, habe ich den Demokrit verstanden.

Und deshalb verrat' ich Euch jetzt: Den Satz "Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen" hat König Ludwig II. geklaut. Nein, nicht von Starnbergs Bürgermeisterin Eva John - auch wenn sie diesen Satz zum Leitmotiv all ihres Handelns erhoben hat. Nein, den Satz hat der Kini von mir. Wir haben uns nämlich ganz gut gekannt, er und ich. Und dann hat er mich mal gefragt, was einen Geist wie mich ausmache. Ja, und dann hab ich ihm das mit dem ewigen Rätsel um die Ohren gehauen. Weil uns Wassergeister ja kein Mensch versteht, wir aber die Menschen dafür umso besser. Dachte ich.

Tja, weit gefehlt. Wie ich mich also vor kurzem mal wieder aus den Tiefen des Ammersees, oder besser gesagt aus den Untiefen am Rieder Eck, erhebe, um mir eine Gemeinderatssitzung im Rathaus von Herrsching anzuhören, hab' ich ehrlich gesagt gar nichts mehr kapiert. Da ging es wieder mal um die Zwillingsstraßen von Herrsching und Breitbrunn, also um den Kapellenweg und die Seestraße. Warum?, hab' ich mich gefragt. Der Gemeinderat hatte sich längst entschieden, nichts zu entscheiden, weil sich die Anlieger auch nicht entschieden haben - also eigentlich etwas, was ich auch immer mach', wenn Nepomuka mal wieder nicht weiß, was sie einpacken soll, und mir damit in den Ohren liegt. Ich sag dann immer: Die grünen Kleider sind toll, die roten sowieso und die blauen ohnehin. Und dann lässt sie alles, wie es ist. Und so hat das der Herrschinger Gemeinderat auch gemacht.

Aber jetzt hat sich einer bei der Regierung beschwert, dass die Verwaltung nicht einfach entscheidet, die in solchen Fällen aber gar nichts zu entscheiden hat. Und die Regierung wollte auch nicht entscheiden, hat das Ganze ans Landratsamt gegeben, das auch nicht entschieden hat, sondern nur dem Gemeinderat gesagt hat, er solle sich noch einmal damit befassen. Und der entschied jetzt, die Bürger in Breitbrunn zu befragen, ob ihr Kapellenweg und ihre Seestraße um den Zusatz "Breitbrunner" blablabla ergänzt werden solle.

Abgesehen davon, dass das dem Beschwerdeführer nicht passte, stellt sich die Frage, wie wohl die Breitbrunner entscheiden werden. Wahrscheinlich gar nicht. Zumindest nicht einhellig. Damit wird wieder alles bleiben, wie es ist. Mit einer Sache allerdings plag' ich mich jetzt herum: Warum hab' ich bloß damals das mit dem ewigen Rätsel dem König Ludwig II. gesagt? Ich hätte das Ganze jetzt so gut gebrauchen können für die Herrschinger und die Breitbrunner. Denn was die da grad umtreibt, wird bestimmt ein ewig Rätsel bleiben. Mir und anderen, glaubt

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SZ vom 18.01.2020
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