Naturkunde:Die seltenen Orchideen von Andechs

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Sie blühen nur in diesen Tagen: Am Mesnerbichl wachsen ganz besondere Blumen. Margit Hiller führt zu ihnen und erzählt deren Geschichten.

Von Carolin Fries, Andechs

Margit Hiller ist begeistert, aber anstatt in Jubelrufe auszubrechen, verharrt sie ganz ruhig auf der Wiese, den Blick auf die rosa-weiße Sumpf-Stendelwurz zu ihren Füßen gerichtet. Mit der Lupe geht sie ganz nah ran, um die filigranen Blütensporne zu begutachten. Ein kurzes Lächeln, dann gibt sie die Lupe weiter an Hildegard Heinrich. Geräuschloses Staunen auch bei ihr. "Mich wundert direkt, dass es sowas noch gibt", sagt sie. Das kleine Wunder ist eine Orchidee, die - das ist das große Wunder - in Andechs am Mesnerbichl wächst.

Etwa vier Wochen lang im Jahr, bis etwa Mitte Juli noch, blühen hier abseits der gewöhnlichen Spazierwege botanische Raritäten, darunter verschiedene Lilien und Orchideen. Die Wiesen in der hügeligen Sumpflandschaft sind seit 1941 Naturschutzgebiet. Margit Hiller aus Krailling kennt das Gebiet gut, ihr Großvater hat der heute 53-Jährigen einst gezeigt, was sich hier auf den Wiesen alles finden lässt. Der Spaziergang zu den Knabenkräutern am Mesnerbichls wurde für sie ebenso zum Ritual wie die Ausflüge zu den Frauenschuhen in der Pupplinger Au und den Christrosen am Pendling bei Kufstein. Inzwischen bietet Margit Hiller selbst jedes Jahr eine handvoll botanischer Führungen in Andechs an, unentgeltlich. "Man kann nur wertschätzen, was man kennt", sagt sie.

Rotes Waldvögelein

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(Foto: privat/oh)

Das Rote Waldvögelein wurde 1982 zur Blume des Jahres gewählt und 2000 zur Orchidee des Jahres, da die Bestände in Deutschland in den vergangenen 100 Jahren überdurchschnittliche Rückgangstendenzen zeigten. Das Waldvögelein liebt Halbschatten in lichten, trockenen Wäldern. Je kalkreicher der Untergrund ist, umso kräftigere Farben bilden die Blüten aus. Die Art wurde im Jahr 1817 von dem französischen Botaniker Professor Louis Claude Marie Richard aufgestellt. Der Name setzt sich aus den griechischen Wörtern für "Kopf" und "blühend" sowie dem lateinischen Begriff für "rot" zusammen.

Waldhyazinthe

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(Foto: privat/oh)

Von den weit über 400 beschriebenen Arten, Unterarten und Formen werden etwa 85 Arten der Waldhyazinthe gültig anerkannt. Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Gattung liegt im asiatischen Raum. In Europa kommen fünf Arten vor, zwei lassen sich auch in Andechs finden: die Zweiblättrige Waldhyazinthe und die Grünliche Waldhyazinthe. Ihren Duft verbreiten sie ausschließlich in der Nacht, weshalb sie von nachtaktiven Schmetterlingen bestäubt werden. Für Orchideenarten sind sie in der Standortwahl relativ tolerant - weshalb es noch ungewöhnlich viele Vorkommen gibt.

Sumpfgladiole

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(Foto: Georgine Treybal)

Die Sumpfgladiole ist keine Orchidee, sondern eine Schwertlilie - aber mindestens ebenso schön. Durch die Trockenlegung von Mooren und den Rückgang der Streuobstwiesen gibt es in Deutschland nur noch wenige Standorte, darunter die Hardtwiesen zwischen Weilheim und Tutzing, den Mesnerbichl in Andechs und ein Gebiet in Königsbrunn bei Augsburg. Die Knolle ist von einem Fasernetz umgeben, das einem Kettenhemd gleicht. Im Mittelalter galten deshalb Ritter, die die Knolle unter ihrer Rüstung trugen, als unverwundbar. Im Volksmund ist die Pflanze darum auch als Siegwurz bekannt.

Feuerlilie

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(Foto: Georgine Treybal)

Wie der Name schon sagt, eine Lilie: Die Feuerlilie ist meist nur südlich der Alpen anzutreffen. Am Mesnerbichl sticht sie in ihrem orangeroten Ton aus den ansonsten rosa-violett-weiß dominierten Wiesen regelrecht hervor. Anders als andere Lilienarten duftet die Feuerlilie nicht. Sie ist im Volksglauben Bestandteil des sogenannten "Sonnwendbüschels". Dieses wird in das Johannisfeuer geworfen, um Unwetter fernzuhalten. Der Pflanze wird wegen der feuerroten Farbe nachgesagt, dass sie Blitze anzieht, weshalb sie nicht ins Haus gebracht werden soll. Inzwischen sind die Wildpflanzen geschützt.

Händelwurz

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(Foto: privat/oh)

Durch den langen Sporn an den kleinen Blüten ist die Art leicht von den ähnlich aussehenden Knabenkraut-Arten zu unterscheiden: Es gibt die Mücken-Händelwurz und die Wohlriechende Händelwurz, deren rosafarbenen Blüten stark nach Vanille duften. 45 flüchtige Aromastoffe, die Schmetterlinge anlocken, wurden bei Untersuchungen erkannt. Die winzigen Samen breiten sich als Körnchenflieger aus; ihr Gewicht beträgt nur 0,008 Milligramm. In jeder Fruchtkapsel sind mehrere Tausend Samen vorhanden. In den Alpen kommt sie in Höhenlagen von bis zu 2500 Metern vor.

Ihre Feierabendtouren beginnen um 18 Uhr, Treffpunkt ist ein Parkplatz am Ortsrand. 14 Teilnehmer warten diesmal, überwiegend ältere Semester. Katharina Wörle, 31, und Ann-Sophie Heldele, 28, aus Weilheim sind die jüngsten in der Runde. Sie haben beim Dönerladen einen Flyer gefunden und spontan entschieden, die knapp dreistündige Runde mitzugehen, um "die Gegend ein bisschen kennenzulernen". Alexandra Schlembach und ihre Freundin aus Feldafing schwitzen gewöhnlich zusammen beim Bauch-Beine-Po-Kurs. Stattdessen gibt es diesmal seltene Blumen. Mit dabei ist außerdem Hobby-Fotograf Heinrich Schwienbacher aus Puchheim. Er kann es kaum erwarten, die ersten Blüten vor die Linse zu bekommen. Die Makro-Fotografie ist seine Lieblingsdisziplin. "Ich hab' die alle schon mal fotografiert, allerdings ohne zu wissen, um was es sich dabei handelt."

Margit Hiller kann recht bald ein rotes Waldvögelchen am Wegesrand präsentieren, dass versteckt unter jungen Buchentrieben wächst. Dann zeigt sie einen Türkenbund, benannt nach der ballonartigen Kopfbedeckung der türkischen Sultane, der im Wald scheinbar blütenlos wächst - derart beliebt sind seine Blütenknospen bei Rehen. Die technische Redakteurin kann aber auch über die Tollkirsche und ihren Wirkstoff Atropin erzählen, den sich die adeligen Frauen einst verdünnt in die Augen träufelten, um mit einem ausdruckstärkeren Blick Eindruck zu machen. Auch dass der Schwalbenwurz früher als Brechmittel eingesetzt wurde und das gelbe Labkraut dem Cheddarkäse seine Farbe gab, weiß die Kraillingerin in kleinen Geschichten zu erzählen. Das macht ihre Führungen besonders interessant, weil nicht nur hübsche Orchideen, sondern auch vermeintlich unscheinbare Pflanzen wie der Klappertopf und der Alant gewürdigt werden.

Die blühenden Sumpfgladiolen sind ein beliebtes Fotomotiv. Margit Hiller (gelbes Shirt) wartet geduldig, bis sie zu den nächsten botanischen Raritäten am Mesnerbichl führt. (Foto: Georgine Treybal)

Im Gänsemarsch geht es über schmale Trampelpfade durch die Wiesen, die unter anderem die letzten Sumpfgladiolen Bayerns beheimaten. In einem kräftigen pink-violett leuchten die zarten Blüten in der Abendsonne zwischen weißen Graslilien und Wollgras in ungewohnter Schönheit. "Die Wiesen in Bayern sind immer gelb", hatte Margit Hiller noch zu Beginn der Tour gesagt. Löwenzahn und Hahnenfuß kämen eben gut zurecht mit einer hohen Nitratkonzentration durch häufiges Düngen und mehrmaliges Mähen. Die Lilien und Orchideen indes schätzen den mageren Boden und das beständige Wachstum. Sie sind anspruchsvoll in ihrer Anspruchslosigkeit - was die prachtvollen Pflanzen noch sympathischer macht. Die Lieblingsorchidee von Margit Hiller ist die Sumpf-Stendelwurz. "Sie ist im Blütenaufbau der Prototyp der Orchidee", schwärmt sie.

Bevor es mit Blick auf das Kloster und die untergehende Sonne zurück zum Parkplatz geht, präsentiert die Hobby-Botanikerin noch einen Gelben Enzian. Knapp eineinhalb Meter hoch stehen die verwelkten Blütenstände. Aus seinen Wurzeln wird der bittere Schnaps gebrannt - auch wenn die meisten Etiketten die blaue Blüte des Bergenzians zeigen. So auch die Flasche, die Margit Hiller aus ihrem Rucksack zieht, um auf diese vergängliche Schönheit anzustoßen. "Es gibt keinen bittereren Geschmacksstoff aus der Natur."

Infos und Termine zu den Orchideenwanderungen unter http://steinundkraut.de/vortrag.php

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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