Süddeutsche Zeitung

Natur und Umweltschutz im Landkreis Starnberg:Moorpackung gegen die Klimakrise

Im Kerschlacher Forst wird der Wald abgeholzt, damit sich Torf im Boden bildet. Denn der speichert Treibhausgase viel effektiver als Bäume.

Von Armin Greune

Es klingt paradox: Während an vielen Orten der Welt aufgeforstet wird, um die Klimaerwärmung zu bremsen, holzt der Staatsforstbetrieb aus dem gleichen Grund ab. Im Kerschlacher Forst zwischen Tutzing und Pähl wird seit Freitag auf einer vier Hektar großen Fläche an der Straße nach Machtlfing gefällt. Ein Harvester sägt etwa 80-jährige Fichten, Waldkiefern und Stroben - eine aus Nordamerika stammende Kiefernart - um. Nur jeder fünfte Stamm darf stehen bleiben, neben Totholz auch die Laubhölzer, vor allem Birken und Erlen. "Das wird zuerst einmal ein bisserl grob ausschauen", räumt Betriebsleiter Wilhelm Seerieder ein.

Doch er ist sicher, dass Klima und Natur von dem Eingriff langfristig profitieren: Er muss sich nur umdrehen, um auf ein 15 Hektar großes Areal zu blicken, das 2005 auf gleiche Weise ausgelichtet wurde. 15 Jahre später ist daraus ein Übergangsmoor mit Zwergsträuchern, Moosen und Pfützen entstanden. Vereinzelte Gruppen von etwa fünf Meter hohen Moorbirken und Spirken schaffen ein reizvolles Landschaftsbild. Wollgräser, Rohrkolben und andere seltene Pflanzen, bedrohte Libellen wie die Kleine Moosjungfer und auch die Kreuzotter haben hier Lebensraum gefunden: "Es ist die amphibien- und reptilienreichste Gegend im ganzen Alpenvorland", weiß Sebastian Werner vom Landesbund für Vogelschutz (LBV). 13 Arten an Lurchen und Kriechtieren hat er im Kerschlacher Forst gezählt - in ganz Deutschland gibt es 33, zwei Drittel stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten.

Auch die Klimabilanz der vormaligen Waldfläche hat sich enorm verbessert: "In Deutschland speichern die vier Prozent an Moorfläche genau soviel CO₂ wie die 30 Prozent Wald", sagt Emil Hudler, Projektleiter und Seerieders Stellvertreter im Forstbetrieb. Doch 95 Prozent der bayerischen Moore seien stark angegriffen; wenn der Torf in ihnen mineralisiert, werden die Treibhausgase wieder freigesetzt: "Bundesweit sind das jährlich 40 Millionen Tonnen, was fünf Prozent der Gesamtemissionen entspricht", erklärt Hudler.

Ursprünglich nahmen Feuchtflächen in Oberbayern viel mehr Raum ein. Die meisten waren am Ende der Eiszeit nach dem Rückzug der Gletscher in Senken, Mulden und Toteislöchern entstanden. Im vergangenen Jahrhundert aber wurden fast alle Moore entwässert, um Torf abzubauen und sie land- oder forstwirtschaftlich zu nutzen. So war es auch auf der Fläche im Brunnhäusl im Kerschlacher Forst, die in den 1920er-Jahren durch Gräben trockengelegt wurde. Doch Torf wurde dort nicht abgebaut und vor einigen Jahren wurden Torfmoose als Relikte des Moors entdeckt: "Sonst wäre eine Renaturierung dort gar nicht sinnvoll", sagt Seerieder. Das Brunnhäusl biete sich auch wegen der Topografie mit dem leichten Gefälle nach Nordwesten und den relativ hohen Niederschlägen für eine Wiedervernässung an. Zudem waren die flachwurzelnde Nadelbäume dort ohnehin stark gefährdet, von Stürmen umgeworfen und von Schädlingen befallen zu werden.

Nach dem Abholzen, das die Wasserabgabe durch die Bäume reduziert und lichtliebende Moorpflanzen begünstigt, sollen im Hochsommer im Abstand von je 25 Metern Dämme angelegt werden, um das Wasser im Boden anzustauen. Etwa 50 hölzerne Spundwände, die mit Torf ummantelt werden, lässt der Staatsforst verlegen und wendet dafür rund 25 000 Euro auf. Der Betrieb ist ja nicht nur dem Profit durch Holzverkauf verpflichtet, sondern auch dem Gemeinwohl: also dem Erhalt der Erholungsfunktion und der biologischen Vielfalt, der Luftreinigung, der klimaregulierende Wirkung des Waldes sowie dem Schutz des Grundwassers. Mit der Moorrenaturierung kann der Staatsforst Punkte für das Ökokonto ansammeln, die andernorts bei Eingriffen in die Natur wieder abgebucht werden.

Auch nach der Vernässung werde sich Im Brunnhäusl erst wieder ein lichter Wald formieren. Doch langfristig hofft Hudler, dass sich die Fläche wieder zum Hochmoor entwickelt: "Der Zielzustand lautet: zuschauen und nichts mehr machen." Ganz so einfach war das auf der 200 Meter entfernten Fläche, die 2005 ausgelichtet wurde, nicht. Werner erinnert sich daran, wie er mit Azubis des Forstbetriebs immer wieder zu Pflegeeingriffen ausrücken musste. Es stellte sich als Fehler heraus, dass die Matten aus Ästen und Zweigen, die für die Holzerntemaschinen ausgelegt worden waren, um den Boden zu schützen, nach der Fällung nicht beseitigt wurden. Aus dem Geäst trieben Unmengen von Birken aus, die in mühsamer Handarbeit entfernt werden mussten.

Dass sich auch kleine Fichten im Übergangsmoor wiederangesiedelt haben, sei hingegen kein Problem, meint Seerieder: Sie könnten sich im wechselnassen Milieu nicht lange halten, viele sind jetzt schon vergilbt. Zur Freude des Forstbetriebsleiters hat sich auf der Fläche auch die Spirke von selbst ausgebreitet: Diese auch Moorkiefer genannte Art gehört zu den seltensten einheimischen Baumarten und steht als gefährdet auf der Roten Liste. Seerieder hofft, dass sie sich auch im Brunnhäusl natürlich ausbreitet, notfalls will man Spirken nachpflanzen. Im Übergangsmoor hat Werner mit seinen Helfern einige noch seltenere Strauch-Birken eingesetzt, die in Deutschland vor dem Aussterben stehen. Noch ist die Torfschicht, die Kohlenstoff viel effektiver als Wald speichert und nach Starkregen wie ein riesiger Schwamm wirkt, erst 1,50 Meter stark.

Das Brunnhäusl ist erst das vierte Moorrenaturierungsprojekt der Staatsforsten im Fünfseenland. Bereits vor drei Jahrzehnten wurde die Allmannshauser Filz in Berg wieder unter Wasser gesetzt. Als Seerieder noch für das Forstamt Landsberg arbeitete, hat man vor etwa 18 Jahren die Ochsenfilz zwischen Dießen und Rott renaturiert. Horst Guckelsberger vom LBV wünscht sich, dass diese Beispiele noch mehr Schule machen - insbesondere für das 40 Hektar große Wildmoos bei Gilching. Dort aber müsste man viele Privateigentümer unter einen Hut bringen. Im Kerschlacher Forst ist da die Gemengelage viel einfacher strukturiert: Das gesamte Gelände ist im Besitz des Freistaats.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2020
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