MVV:20-Jähriger fährt immer schwarz - um für einen kostenlosen Nahverkehr zu kämpfen

MVV: "Erschleichen von Leistungen", heißt das Delikt, doch Manuel Erhardt (links) weist auf einem Schild darauf hin, dass er ohne gültige Fahrkarte den Zug benutzt. Vor Gericht begleitet ihn Andreas Schachtner.

"Erschleichen von Leistungen", heißt das Delikt, doch Manuel Erhardt (links) weist auf einem Schild darauf hin, dass er ohne gültige Fahrkarte den Zug benutzt. Vor Gericht begleitet ihn Andreas Schachtner.

(Foto: Arlet Ulfers)

Der Gilchinger Manuel Erhardt ist 23 Mal erwischt worden. Nun muss er vor Gericht - und setzt dank eines Kniffs auf Freispruch.

Von Michael Berzl

Manuel Erhardt fährt schwarz. Nicht heimlich und gelegentlich, sondern ganz offen und systematisch, denn der 20-jährige Gilchinger begreift es als politische Aktion, ohne Fahrschein in S-Bahn und Zug einzusteigen. Und darum weist er ganz demonstrativ auf einem Schild darauf hin, dass er Schwarzfahrer ist. "Nulltarif für alle", lautet seine Forderung. Dieses Ziel schützt den jungen Mann, der sich politisch dem linken Spektrum zurechnet, aber nicht vor Strafverfolgung.

Vor dem Starnberger Amtsgericht muss er sich wegen "Erschleichen von Leistungen" verantworten. Wie die Staatsanwaltschaft bestätigt, werden ihm 23 Fälle zur Last gelegt, in denen er vor allem die S-Bahn ohne gültiges Ticket benutzt hat. Er selbst rechnet sich gute Chancen auf einen Freispruch aus und kündigt an: "Ich werde mich unabhängig vom Urteil auch weiter für kostenlose öffentliche Verkehrsmittel einsetzen."

Er fährt nie heimlich, sondern immer demonstrativ ohne Ticket

Dass ihm wortwörtlich vorgeworfen wird, die Leistungen erschlichen zu haben, ist für den Gilchinger ein wesentlicher Punkt. Denn das hieße in der Logik des Politaktivisten, dass er heimlich oder versteckt schwarz fährt; er jedoch tut das ganz offensichtlich und demonstrativ. Damit, so meint er, habe er sich auch nicht strafbar gemacht. Erhardt wird mit einem befreundete "Laienverteidiger" kommen. Der 27-jährige Andreas Schachtner aus Gilching ist kein studierter Jurist, sondern Mechatroniker. Dass ein juristischer Laie die Rolle eines Verteidigers übernimmt, ist in der Szene durchaus üblich.

Der angeklagte Gilchinger will den Gerichtstermin dazu nutzen, um darauf hinzuweisen, dass sich auch wegen der steigenden Preise viele Menschen den Fahrschein für den öffentlichen Nahverkehr nicht leisten können. "Das bedeutet für die Betroffenen soziale Isolation", mahnt der 20-Jährige. Er jobbt als Saisonarbeiter in der Gastronomie und muss selbst mit bescheidenen Mitteln über die Runden kommen. "Ich sehe es als sinnvoll an, mit möglichst wenig Geld über die Runden zu kommen", erklärt er.

Mit den Argumenten von Nulltarif-Aktivisten haben sich schon etliche Gerichte auseinandersetzen müssen. Einer von ihnen ist der 50-jährige Dirk Jessen, der ebenfalls gerne ohne Ticket, dafür mit Schild Zug fährt und sich damit prompt Strafverfahren eingehandelt hat, zunächst vor dem Starnberger Amtsgericht, dann vor dem Münchner Landgericht. Dort haben die Richter ein erstes Verfahren gegen ihn eingestellt. Im zweiten Prozess sei er freigesprochen worden, sagt Jessen. Im April geht es in die nächste Instanz, bestätigt das Oberlandesgericht.

Autofahrer sollen auf Bus und Bahn umsteigen

Die Staatsanwaltschaft habe Revision eingelegt, berichtet Jörg Bergstedt aus Gießen, der Jessen und andere Schwarzfahrer als sogenannter Laienverteidiger vor Gericht begleitet hat und mittlerweile ein Experte in der Materie geworden ist.

Als Vorbild gilt ihm Luxemburg, wo der öffentliche Personennahverkehr nach dem Willen der neuen Regierung vom Sommer an kostenlos nutzbar sein soll. Damit soll Autofahrern der Umstieg auf Bus und Bahn schmackhaft gemacht werden. Jessen, der damals noch in Gilching gelebt hat, und Bergstedt waren vor fast vier Jahren auf einer bayernweiten Protestfahrt mit Gesinnungsfreunden von München nach Nürnberg in einem ICE erwischt worden.

Der Verhandlung am Oberlandesgericht gegen den Frührentner aus Gilching, der mittlerweile nach Braunschweig umgezogen ist, blickt der Politaktivist Bergstedt mit Spannung entgegen: "Dann hätten wir ein Urteil, das bayernweit gilt. Vielleicht schießen die da ein richtiges Eigentor." In Gießen gebe es jetzt schon für Schwarzfahrer mit Schild regelmäßig Freisprüche. Darauf hofft auch der 20-jährige Erhardt, der am Dienstag in Starnberg vor Gericht steht.

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