Musiktour durch Tutzing:Pfeifen, Register und schräge Akkorde

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Kirchenmusikerin Helene von Rechenberg stellt bei einem Orgelspaziergang fünf der Instrumente in Kirchen und im Ortsmuseum vor

Von Patrizia Steipe, Tutzing

Mit elf Orgeln nimmt die Gemeinde Tutzing einen Spitzenplatz im Landkreis Starnberg ein. Dabei hat jedes Instrument seine Besonderheit. Am Tag des offenen Denkmals hatte der Verein zur Förderung der Kirchenmusik zusammen mit der Gemeinde zu einem Orgelspaziergang eingeladen. Kirchenmusikerin Helene von Rechenberg stellte an fünf Orten die "Königin der Instrumente" mit vielen Musikbeispielen vor.

"Hier steht ein echter Mercedes unter den Orgeln", schwärmte Rechenberg in der Pfarrkirche St. Joseph. Die 12,5 Tonnen schwere Sandtner-Orgel aus dem Jahr 1984 ist mit mehr als 3000 Pfeifen, 44 Registern und drei Manualen die größte Orgel im Landkreis. Dass das Instrument "ziemlich viel Power" habe, bewies Rechenberg mit dem "Les Cloches de Hinckley" von Louis Vierne. Der kathedrale und orchestrale Klang mit dem gewaltigen Crescendo passt besonders gut zu französischer Orgelmusik, so die Kirchenmusikerin.

Auf der Empore erklärte sie der Gruppe, wie eine Orgel funktioniert. Gespielt wird auf Tasten, der Klang wird durch Pfeifen erzeugt, die der Orgelmotor mit Luft anbläst. "Früher mussten das Kalkanten mit einem Blasebalg machen", so Rechenberg. Das Instrument hat mit dem Rückpositiv, dem Schwell-, Haupt- und Pedalwerk quasi vier eigenständige Orgeln. Immer wieder zog Rechenberg eines der Register, die Klangfarben von Posaunen, Trompeten, Flöten oder Streichern imitieren und kombiniert werden können. Am meisten verwende sie das "Prinzipal" mit seinem festlich-rauschigen Klang. Für das Registerziehen benötigt Rechenberg allerdings Unterstützung. Ihr Wunsch ist deswegen, dass das Instrument mit einer Setzeranlage nachgerüstet wird. Damit können die Register per Knopfdruck betätigt werden. Das würde rund 50 000 Euro kosten.

Die Sanierte, die Unterschätzte und der Oldtimer: Helene von Rechenberg vor den Pfeifen der Orgel in der Christuskirche, ...

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(Foto: Georgine Treybal)

... die Beer-Orgel in Peter und Paul ...

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(Foto: Georgine Treybal)

und die älteste Tutzinger Orgel im Ortsmuseum ...

... mit ihrer vergilbten Tastatur.

Dieses Problem gibt es mit der ältesten Orgel am Ort nicht. Das Instrument feiert heuer seinen 300. Geburtstag und steht im Ortsmuseum. Die 1720 von Philipp Franz Schleich erbaute Orgel sei keine klassische Kirchenorgel und könnte auch als Hausorgel genutzt worden sein. Sie war ein Dachbodenfund aus der Kallevilla. Dort wurde sie in den 1970-er Jahren in Einzelteile zerlegt entdeckt. Ein Großteil der aus Zinn, Zink und Blei gefertigten Pfeifen war allerdings kaputt. In den 1980-er Jahren wurde die Orgel restauriert und zunächst in St. Nikolaus aufgestellt. "Die Orgel ist mitteltönig gestimmt", erklärte Rechenberg. Das sei heute ein Problem, denn während einige Akkorde wunderschön seien, würden andere falsch klingen. Die früheren Kirchenmusiker haben dieses Phänomen dazu genutzt, um beispielsweise die Auferstehung durch C- und D-Dur-Akkorde zu untermalen, wenn es dann um Tod und Teufel ging, gab es den schrägen H-Dur-Akkord. Moderne Orgeln sind gleichstufig gestimmt, "dadurch klingt alles gleich schön". Durch diese Nivellierung klingen aber manche Stücke aus dem 17. Jahrhundert "fantastisch auf der alten Orgel und fast banal auf der Sandtner-Orgel", sagte Rechenberg. Ihren Musikbeispielen lauschte das Publikum im Garten sitzend durch das offene Fenster des Ortsmuseums.

Auf der Ilkahöhe in der Kirche St. Nikolaus lauschten die Zuhörer Orgelmusik, die von den Glocken der Kühe auf der benachbarten Wiese begleitet wurden. Erst vor zwei Jahren hat das Kirchlein seine kleine Orgel bekommen, "ein echtes Baby", schwärmte Rechenberg und führte den jubelnden hellen Klang des Instruments anhand einer Chaconne von Pachelbel vor.

Besonders am Herz liegt der Kirchenmusikerin die Orgel in der Kirche Peter und Paul, die lange Jahre auf der mittlerweile abgerissenen Empore in St. Nikolaus gestanden hatte. Der Orgelbaumeister Johann Georg Beer (1816 bis 1876) aus Andechs habe mehr als 50 Orgeln gebaut, die heute noch in Diemendorf, Aufkirchen, Pähl und vielen anderen Orten gespielt werden. "Die Beer-Orgeln werden sehr unterschätzt", fand Rechenberg. Egal wie kalt es im Winter sei oder wie lange das Instrument nicht gespielt wurde, "sie funktioniert stets einwandfrei". Vor allem die Flötenstimmen der acht Register seien wunderschön, wie Rechenberg mit einem Andante für eine Flötenuhr von Wolfgang Amadeus Mozart bewies. Das Klappern der Tasten habe einen zusätzlichen Reiz und gehöre zu einem alten Instrument einfach dazu.

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(Foto: Georgine Treybal)

Reich verziert: die Orgel von St. Joseph ...

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(Foto: Georgine Treybal)

... mit einigen ihrer 52 Register ...

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(Foto: Georgine Treybal)

... und das Baby unter den königlichen Instrumenten, die Orgel in St. Nikolaus, ...

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(Foto: Georgine Treybal)

wo Helene von Rechenberg mit Mark Haslinger und Elisabeth Dörrenberg (re.) Station machte.

In der Evangelischen Christuskirche standen Orgelstücke von Johann Sebastian Bach auf dem Programm. Schließlich werde Bachs Musik als fünftes Evangelium bezeichnet. Die Klais-Orgel mit ihren 900 Pfeifen und 15 Registern stammt aus den 1980-er Jahre. Damals hat sie 240 000 Mark gekostet, erklärte Pfarrerin Beate Frankenberger.

2017 sind Orgelbau und Orgelmusik von der Unesco zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit ernannt worden. Vor allem in Deutschland gibt es eine lange Orgeltradition. Dabei waren die Orgeln bereits 246 vor Christus in der griechischen Antike erfunden worden.

Der Orgelspaziergang findet nochmals am Sonntag, 20. September, zwischen 14.15 bis 18 Uhr statt. Platzkarten sind im Tourismusbüro und in der Buchhandlung Held erhältlich.

© SZ vom 18.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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