Es ist paradox, aber letztendlich sind die Starnberger Musiktage dem von den Kommunisten ruinierten Albanien zu „verdanken“. Nicht nur, weil es einen so herausragenden Geiger wie Rudens Turku hervorbrachte und weil die Chancenlosigkeit in diesem Land die Familie 1992 zur Migration nötigte. Sondern vor allem, weil es ihn und seine Familie lehrte, dass Erfolg hart erarbeitet werden will. Wenn also nun zum 25. Bestehen der Starnberger Musiktage die hochrangigen Honoratioren Schlange standen und zum Festkonzert neben renommierten Solisten das herausragende Georgische Kammerorchester Ingolstadt – seit 1990 im deutschen Exil – unter der Leitung dessen früheren Chefdirigenten und heutigen künstlerischen Leiters sowie Konzertflötisten Ariel Zuckermann aus Tel Aviv auf der Bühne stand, dann nur dank Turkus Ausdauer, Beharrlichkeit, schweißtreibender Arbeit und der Überzeugung davon, was Musik Gutes an Menschen zu vollbringen vermag. Gestützt von seinen engagierten Eltern und der Geigenpädagogin Ana Chumachenco, die ihn auch menschlich bestärkte, seinen Weg zu gehen.
Festreden und Konzertpraxis passen seitens der Musiker wenig zusammen, da sie Konzentration, Spannung und die Wirkung des Einspielens untergraben. Aber die Festrednerin und Kulturbeauftragte des Landrats Barbara Beck sowie Bezirkstagspräsident Thomas Schwarzenberger, Stellvertretender Landrat Matthias Vilsmayer und die dritte Bürgermeisterin der Stadt Starnberg, Christiane Falk, hielten sich an Turkus Einschwören auf pointiert-prägnante Kürze und schafften Epochales: In knapp einer Viertelstunde kein überflüssiges Wort, aber auch nicht zu wenig Würdigung. Und durchaus auch Erinnerungen, etwa an den Anfang mit nur sechs Schülern in der Waldorfschule, wo Rudens Turku eine Chance bekam, ohne deutsche Sprachkenntnisse den Anschluss zu finden.
Heute kommen alljährlich 250 junge Instrumentalisten aus der ganzen Welt, um in nach wie vor motivierender, kreativer Atmosphäre von zehn Meistern ihres Fachs ein gutes Stück vorangebracht zu werden. Begleitet von großartigen Konzerten, gespielt von den Dozenten, aber auch illustren Gästen, zudem Studenten, die von der Unterstützung durch den Verein zur Förderung hochbegabter junger Musiker profitieren. Inzwischen entstand um die Starnberger Musiktage ein ganzer Apparat, der aber den ursprünglichen Geist des Festivals nicht aus den Augen verlor. Das Festival ist keine starr verwaltete Institution, sondern ein Kreis von Musikenthusiasten.
Wie wichtig Rudens Turku die Gemeinschaftsidee ist, zeigte sich beim vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnittenen Festkonzert in der bestens gefüllten Starnberger Schlossberghalle darin, dass er sich selbst nicht in den Vordergrund drängte. Im ersten Stück war es selbstverständlich, dass der Gründer und künstlerischer Leiter mitwirkt, aber er tat es in Begleitung seines Fachkollegen Stephan Picard. Im Programm wich die effektvolle Virtuosität der Anfangsjahre dem tief reichenden Gehalt, was wohl auch damit zusammenhängt, dass es über die Jahre gelang, das einst in Klassik wenig geübte Starnberger Publikum mitzunehmen und ihm auch die Feinheiten des Genres nahezubringen.
Gewiss, die schnellen Rahmensätze des Doppelkonzerts d-Moll BWV 1043 von Bach lieferten genug Stoff für geigerische Bravour, aber die Seelenmassage des ausladenden zentralen Largos stand hier im Fokus und setzte vom homogenen Duo Turku und Picard musikalische Maßstäbe, in der Klangkultur wie in der Feinsinnigkeit der Stimmführungen. Der Klarinettist Johannes Gmeinder packte mit „Sholem-alekhem, rov Feidman“ von Béla Kovács anschließend eine üppige Ladung temperamentvolle Ausdruckskraft oben drauf, nicht zuletzt dank enormer Flexibilität und Wendigkeit des höchst aufmerksam begleitenden Orchesters.


Das so weiträumig abgesteckte Spektrum motivierte auch die Kollegen, sinnenfreudig aus dem Vollen zu schöpfen. Cellist Wen-Sinn Yang tat es mit Thema und Variationen „Une Larme“ vom gealterten Rossini. Dass dabei alles nach Opernarien und -duetten klang, lag nicht an Yang, vielmehr an Rossini, der aber damit den Musikern an die Hand gab, ein theatralisches Feuerwerk zu entfachen.
Ähnlich die Fantasie op. 94 von Hummel, ein Auszug aus dessen „Potpourri“, in dem Themen aus Opern von Mozart und Rossini vom Bratschisten Roland Glassl in ein Wechselbad der Gefühle getaucht zu einem Dramenspektakel unter stimmiger Regie genauso mitrissen. Eine Charakteristik, die insbesondere Mozarts Gelegenheitswerke aufweisen. So auch die aus überlieferten Puzzle-Teilen zusammengesetzte Sinfonia concertante mit Stephanie Winker (Flöte), Kai Frömbgen (Oboe), Malte Refardt (Fagott) und Sibylle Mahni (Horn) mit einer überbordenden Fülle an Farbnuancen und vor allem im Variationen-Schlusssatz musikalischen Charakteren. Die enorme Anpassungsfähigkeit des Georgischen Kammerorchesters demonstrierte Zuckermann als virtuoser Primus inter pares im Flötenkonzert d-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach mit einer Traversflöte. Das zwang den relativ großen Streicherapparat zu extremer Rücknahme und verlangte gerade im rasenden Schlusssatz von ihm einen fulminanten Sturm.
Als absolutes Highlight erwies sich die Auftragskomposition vom anwesenden Bernd Franke (geb. 1959) „Wild Land“ für Nonett und Streichorchester. Das reinste Abenteuer, in dem die Solisten des Abends mit Matthias Weber am Kontrabass und ohne Picard die Gelegenheit bekamen, feinsinnig-farbenreiche Klangregionen zu erkunden, in instrumentalen Kombinationen, die sich die alten Meister kaum getraut haben. Dramaturgisch schickte Franke die Instrumentalisten auf eine unentwegte Berg- und Talfahrt der Ausdruckskraft wie der Gefühle. Einer so bilderreichen Narration konnte sich niemand entziehen, was die Uraufführung zu einem großen Publikumserfolg machte.