Musik:Turbo-Truppe

Dießen, Konzert Foltin

Wilde Burschen vom Balkan: Slave Jovev, Pece Nikolovski, Pece Trajkovski und Branislaw Nikolov (v. l.).

(Foto: Georgine Treybal)

Die großartige mazedonische Band "Foltin" lässt es virtuos krachen

Von Armin Greune, Dießen

Foltin bauen erst einmal Distanz auf: Das Sextett aus Mazedonien drängt die Zuhörer mit mächtigen Schallwellen drei Meter weit von der Bühne zurück. Und die sechs wilden Burschen vom Balkan behalten diesen Pegel eigentlich unverändert bei - auch wenn sie nach den ersten beiden Stücken ermahnt werden, leiser zu spielen. Hinter der akustischen Mauer im Dießener Craft-Bräu aber drängen sich die ebenso ent- wie begeisterten Zuhörer, wippen mit oder tanzen.

Was sie am Donnerstag im kleinen Gastraum der passionierten Bierbrauer Claus Bakenecker und Martin Hug miterleben durften, war in jeder Hinsicht großartig: Die Musik von Foltin ist ebenso vielseitig wie unberechenbar und wird von hervorragenden Instrumentalisten präsentiert, deren technische und intuitive Fähigkeiten ihresgleichen suchen. Das ist wohl kein Wunder, denn die Gründung der Band in Bitola, zweitgrößte Stadt der zwei Millionen Einwohner zählenden Republik Mazedonien, liegt schon 20 Jahre zurück. Umso erstaunlicher ist, dass der Erfolg dieser fulminanten Truppe noch immer weitgehend auf den Balkan beschränkt ist. 2014 und 2016 lieferte sie sensationelle Auftritte beim Kulturfestival in Gräfelfing ab, heuer reicht das Publikumsinteresse immerhin schon für eine kleine Tournee durch Süddeutschland.

Beim Zwischenstopp in Dießen demonstrieren die Musiker rasch, was sie alles drauf haben: Da verschmelzen bei "Lo-Lee-Ta-Too" oder "If You Touch Me, I will Die" Gypsy-Melodien mit schmalzigem Schlager- und entfesseltem Scat-Gesang des Sängers und Keyboarders Branislav Nikolov. Freilich dominiert als Tempo prestissimo, aber die Ausflüge in Balkan-Turbofolk, Elektro-Funk oder Progressive Rock können auch völlig unvermittelt abbrechen, um nahtlos etwa Ambient- oder Latin-Sounds Raum zu geben.

Die beiden Drummer Slave Jovev und Marjan Stanič prügeln ebenso rasant wie exakt auf ihre Felle und Bleche ein und werden bei ihrer Rhythmusarbeit von Goce Jovanovski am Bass unterstützt. Vor diesem Hintergrund führen Pece "Brada" Trajkovski am Akkordeon oder Pece Nikolovski die mal jazziger, mal poppiger ausfallenden Melodien. Letzterer spielt meist Klarinette, bedient aber auch die Elektronik und erweist sich zudem als hinreißender Solist an der Blues Harp: Zu "Last Night a DJ Saved My Life" etwa, während Nikolov mit seinem Mini-Keyboard experimentiert oder im Stakkato scattet, bis er den Mann an der Mundharmonika aus dessen gespielter Trance wachrüttelt. Nikolovski schüttelt die Schweißtropfen von seiner Harp und winkt nach Erster Hilfe, die dann auch sofort in Form eines Krugs voller "Craftstoff" verabreicht wird. Währenddessen steuert die 15-minütige Version des Disco-Klassikers aus dem Jahr 1982 auf einen weiteren Höhepunkt zu, als ein unglaublich präzises und mitreißendes Drum Battle folgt.

Ein zweites entwickelt sich im angeblich letzten Song, einem völlig überdrehten Cover von "Rich Man's World". Abrupt wird es still, die Musiker verharren 20 Sekunden lang wie eingefroren in ihren Posen, bis das Finale erklingt. Danach beweist das Publikum, dass es auch ganz schön laut pfeifen, kreischen und heulen kann. Zur Belohnung gibt es eine sehr eigenwillige Interpretation von Kraftwerks "Model" und damit noch mal heftig etwas auf die Ohren. Vielleicht darf es ja auch ein bisschen wehtun, wenn Foltin alle Register ziehen. Und dennoch überlegen einige Zuhörer durchaus ernsthaft, gleich am folgenden Tag nach Reutlingen zu fahren, wo Foltin beim "Inter:Komm!" Open Air Headliner sind.

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