Süddeutsche Zeitung

Musik:Sinnenfreudige Soundscapes

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Das kanadische Jazztrio Myriad3 findet im Schloss Seefeld zwischen minimalistischen Motiven und orchestralen Höhepunkten einen einzigartigen Weg durch die Welt der Musik

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Nach ihrem Auftritt 2016 kamen die Drei aus Toronto offenbar gerne wieder. Und erneut schlug ihnen im Sudhaus die aufrichtige Begeisterungsfähigkeit des Publikums entgegen. Kein Wunder, denn das Spiel des 2010 gegründeten Trios Myriad3 ist schon einzigartig und vermag die Zuhörer in eine packende Konzertstimmung zu versetzen. Sie würden nahezu jede Art von Musik hören, verkündete Pianist Chris Donnelly in seiner sympathischen Moderation. Aber offenbar wird sie von den drei Musikern nicht nur gehört, sondern auch in Eigenkompositionen verwertet. Sofern es mit dem besonderen Zugriff des Ensembles vereinbar ist, der von drei Charakteristika geprägt ist.

Zum einen ist da der dichte, intensive Rhythmusapparat, der wie eine Folie hinterlegt ist und im Normalfall ein Vorwärtsstürmen entfacht hätte. Ernesto Cervini am Schlagzeug zerlegt mehr geräuschhaft als klangvoll jedes Metrum in allerkleinste Bestandteile, pochend strukturiert von Dan Fortin am dick blubbernden Kontrabass, der dem Klang mit ostinaten Figuren eine gewisse Tektonik verleiht. Fürs ausbremsende Kontrastprogramm ist Donnelly am Flügel mit meist minimalistischen Motiven zuständig; die vorwiegend zarte, weit gedehnte Melodik erhebt sich nur hauchdünn, sehr empfindsam und fragil übers Gesamtgefüge. Dabei folgt jede Komposition als zweitem bestimmendem Element einer strengen Dramaturgie, die ungeachtet vielfältiger Ereignisse auf dem Weg dorthin zielgerichtet auf einen geradezu orchestralen Höhepunkt zustrebt. Die Struktur verdichtet sich dabei und lässt die drei eigenständigen Parts allmählich zu einem satt sonoren Klangteppich von berauschender Wirkung verschmelzen. So etwa mit gedämpftem Schlagzeug in "Myriad" oder mit repetitivem Ostinato in "Unnamed Cells". Es entstehen weit atmende, sinnenfreudige Soundscapes, in denen Donnelly die Zügel locker lässt und sein technisch brillantes, virtuoses Auf und Ab in der mächtigen Klangmasse aufgeht.

Was dabei herauskam, grenzte in Schloss Seefeld schon an Ekstase, besonders wenn in den Höhepunkten am Flügel akkordische Glockenschläge zu triumphalen Gesängen anhoben. Das dritte Charakteristikum bedurfte kniffliger Einstudierung. Dabei ging es darum, das musikalische Geschehen in kurze Unisono-Phrasen zu zerlegen und selbst bei komplexer Rhythmisierung und virtuosen Inhalten in einhelligem Duktus dicht beieinander zu bleiben. In dieser Weise brachte das perfektionistische Ensemble überaus packend und emotional Strawinskys Piano-Rag-Music zur Aufführung. Diese Manier machten sich die Musiker auch in Eigenkompositionen wie "DNA" zunutze, um Spannungen aufzubauen. Mit jedem Phrasenneuansatz wurde eine Erwartungshaltung aufgebaut, die nach anschließendem Abbruch ein unbefriedigendes Gefühl hinterließ. Manchmal ließen die Musiker die Spannung im Raum stehen. Ihre Entladung bewirkte indes erlösende Hochgefühle.

Doch interpretierten die drei jungen Musiker keinesfalls nach Schema - ganz im Gegenteil. Konventionen dienten im Grunde nur dazu, bei Abweichungen davon große Überraschungseffekte zu erzielen. Rhythmuswechsel, plötzliche Rücknahmen und Neuansätze, packende Unisono-Einwürfe, intensivierendes Tremolo-Spiel, unerwartete Verschlankungen gehörten zu den Mitteln der Individualisierung. Manche Kompositionen konnten aber auch gänzlich frei gestaltet sein, wie etwa "Little Lentil", das mit kindlichem Glockenspiel in schönmelodischer Glücksseligkeit glänzte. Ähnlich bezaubernd war mit seelentief berührender Lyrik und Empfindsamkeit "The Strong One" konzipiert. In den Zugaben kam aber auch kraftvoller Bebop zum Zuge, der mit langen Pausen als Gestaltungselement einmal mehr absolut eigen erschien.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2018
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