Musik:Mit Schreibmaschine und Gitarre

Lesezeit: 3 min

Starkes Duo: Florian Ostertag (links) und Nasim beim gemeinsamen Auftritt im Gautinger Bosco. (Foto: Georgine Treybal)

Die Liedermacher Florian Ostertag und Nasim spielen im Bosco Songs zwischen Melancholie und Ironie

Von Amelie Plitt, Gauting

Gemurmel erfüllt den Saal, auf der Bühne stehen allerlei Instrumente und Requisiten: eine alte Tonbandmaschine, ein rauschender Fernseher mit VHS-Rekorder, eine Schreibmaschine, ein indisches Harmonium, Klavier, Mandoline, Akkordeon, diverse Akustik- und E-Gitarren. Retrocharme trifft Popkultur. Dann geht die Tür zur Bühne auf, das Publikum wird still. Einen kurzen Moment könnte man denken, dass die zwei Männer in grauen Jeans und T-Shirts zwei Tontechniker sind, die schnell mal die Akustik überprüfen.

Als die beiden sich dann ans Mikrofon stellen, sich ihre Gitarren schnappen und ohne einleitende Worte ein Intro spielen, wird schnell klar: Die beiden sind Multiinstrumentalist Florian Ostertag und Newcomer Nasim (Nasim Kholti). Das Publikum können sie vom ersten Lied an für sich begeistern, manche wippen gleich zu Beginn zum Rhythmus der Musik oder klopfen mit den Fingern zum Takt.

Normalerweise spielen die Musiker in kleinen Cafés, Bars oder Clubs. Diesmal ist die Umgebung für die Stuttgarter Ostertag und Kholti ungewohnt: das Gautinger Bosco. Sie präsentieren an diesem Abend selbst geschriebene Lieder, die sie auch musikalisch eigens umsetzen. Sie spielen immer abwechselnd und unterstützen einander bei ihren Liedern instrumentell. Nasim, der marokkanische Wurzeln hat, singt auf Deutsch; seine Lieder, die er meistens mit der Akustikgitarre begleitet, erinnern an Folksongs. Die Liedtexte Ostertags sind auf Englisch, wodurch eine abwechslungsreiche Mischung entsteht. Thematisch sind die beiden Liedermacher wieder auf einem Nenner: Inspiration finden sie in persönlichen Erlebnissen, besonders auf der Gefühlsebene, in Dingen, die sie gerade beschäftigen. Um nachdenklichen, emotionalen Themen die Schwere zu nehmen, durchbrechen sie das Singer-Songwriter-Klischee und fügen immer wieder selbstironisch konnotierte Textstellen ein.

Für Ostertag, der hauptberuflich Musiker ist und parallel als Keyboarder in der Band von Eurovision-Songcontest-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut und von Philipp Poisel spielt, sind experimentelle Elemente wichtig. Sein instrumenteller Ideenreichtum spiegelt sich, ebenso nicht frei von Sarkasmus, auch in seinem Programm im Bosco wider: Mal begleitet ihn das rhythmische Klappern von Schreibmaschinentasten, mal spielt er Schlagzeugmusik eines Freundes von einer alten Bandmaschine ab. Bei seinem letzten Stück an diesem Abend begleitet ihn ein Bekannter auf der Mandoline, ein Beitrag, der via Videokassette übertragen wird. Veraltete Medien als Mittel der Kritik am Innovations- und Digitalisierungswahn. In der heutigen Welt würde alles ersetzt und rationalisiert, die Bühnenutensilien würden den Job des Schlagzeugers überflüssig machen, erklären die zwei Musiker. Außerdem würde ein Computer auf der Bühne zu ihrer Musik nicht passen. Es wirke authentischer und charmanter, wenn sich zur Musik so eine alte Bandmaschine bewege. Ostertags weiche, einfühlsame Stimme, bei der ein Hauch Melancholie mitschwingt, geht unter die Haut und bleibt im Gedächtnis.

Wenn es nach Nasim geht, finden sich in seiner Musik auch Popelemente. Der 31-Jährige, der hauptberuflich Sozialarbeiter ist, orientiert sich auch an der in den 1980-er Jahren aufgekommenen Musikbewegung der Hamburger Schule, die an die Tradition der Neuen Deutschen Welle anknüpfte. Und er umgeht bei Liedern über die Liebe bewusst Phrasen, bricht witzig mit Ausländerklischees und geht schon mal auf seinen eigenen schwäbisch-marokkanischen Hintergrund ironisch ein. Seine sanfte, aber zugleich markante Stimme steht im Fokus seiner Musik, meist begleitet er seine Songs nur mit Akustikgitarre. Seine Stimme wirkt beruhigend, gerade so, dass man meint, ihr alles abnehmen zu können. Ein bisschen erinnert Nasims Stil an die Soulballaden von Tim Bendzko.

Nasim und Ostertag, die sich 2012 im Tontechnik-Studio von letzterem kennengelernt haben, treten nicht zum ersten Mal gemeinsam auf: Seit einem Jahr touren der 36-jährige Ostertag und sein fünf Jahre jüngerer Musikerkollege durch Deutschland und Österreich. Seit diesem Jahr geben sie Gartenkonzerte bei Privatgästen. Solo kann man die Musiker auch buchen.

Für die Liedermacher war es zwar ungewohnt, vor vornehmlich nicht mehr ganz so jungem Publikum zu spielen. Aber wohl fühlten sie sich trotzdem: "Der Altersdurchschnitt ist höher als sonst üblich, wir fanden den Abend aber super cool, die Menschen waren megaaufmerksam und total entspannt", sagte Ostertag im Anschluss. Die Plätze im Kulturhaus waren nicht voll besetzt, trotzdem zeigte sich das Publikum vom Auftritt der Musiker samt zehnminütiger Zugabe begeistert.

In der ersten Reihe sitzen fünf Freunde, die aus München angereist sind. Siona Sokul, 28, hört Ostertags Musik schon seit fünf Jahren und hat mit ihren Freunden schon einige Auftritte der zwei Künstler besucht, unter anderem heuer in Gartenkonzert in Schwabing: "Ich finde das Publikum hier zwar ungewohnt, aber total charmant, besonders gut gefällt mir neben der schönen Musik das Theaterambiente des Boscos, das ist was anderes als bei einem Auftritt in einer Bar."

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: