Süddeutsche Zeitung

Musik:Akustisch unter Strom

Der aus Milwaukee stammende Sänger und Liedermacher Byron Andrew Wiemann spielt mit Vorliebe Songs der Fünfziger- bis Achtzigerjahre. Mittlerweile lebt er in Seeshaupt

Von Barbara Szymanski, Seeshaupt

Byron Andrew Wiemann greift sich eine seiner akustischen Gitarren und legt mitten in seinem Wohnzimmer in Seeshaupt los: "Runaway" von Del Shannon aus den Sechzigerjahren. Und es rockt rund, knackig und mit packendem Rhythmus, als wäre eine ganze Band mit einem virtuosen Leadsänger zu Gast.

Denn das hat er drauf: Schon zu Shannons Zeiten, als die Rock-Hymnen von der aufrührerischen Nachkriegsjugend aufgesogen wurden wie Limonade, griff auch der damals 13-jährige und heutige hauptberufliche Sänger, Gitarrist und Singer-Songwriter in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin wie so viele zur Gitarre. Und er versuchte, den Sound der Beatles, Beach Boys, Bee Gees, den von Janis Joplin, Eric Burdon, The Who oder Jimi Hendrix irgendwie hinzubekommen. Heute muss der Vollblutmusiker keine Sekunde überlegen, wenn er Cat Stevens, Led Zeppelin, Supertramp oder Elton John, aber auch Songs von Dolly Parton, Otis Redding oder Talking Heads überall dort spielt, wohin man ihn eben einlädt. So wie jüngst zu einem Seefest in der Region. "Ich spiele bis zum Sonnenuntergang, und die Leute finden es wunderbar und schwenken Feuerzeuge", sagt er strahlend.

Dem jungen Byron Wiemann war schnell klar, dass es ihm ernst ist mit der Musik. Er schaute den Größen des Rock auf die Finger, lernte die Texte, begann aber seine Karriere in einer der in den USA bekannten "Garage Rock Bands": The Coachmen spielten schnörkellosen und eher harten Rock. Mit dem Komponisten Sigmund Snopek gründete Byron, wie er von den meisten Leuten genannt wird, eine progressive Rockband, tourte in den Siebzigern zehn Jahre lang kreuz und quer durch die USA, gründete später jedoch eine eigene Band, trat mit dieser im Fernsehen auf und schrieb weiterhin eigene Texte und Songs.

Bis heute geht er fast täglich in sein kleines Studio und arbeitet an neuen Liedern. "Ich lasse mir Zeit, manchmal viele Monate, bis sie reif sind, sie für eine neue CD einzuspielen", sagt er, der am liebsten E-Gitarre spielt, wegen des packenden und fetten Sounds und der kreativen Möglichkeiten bei der Tonalität.

An der akustischen Gitarre wie einer echten Martin, dem Mercedes unter diesen Schlaginstrumenten, hören ihn seine Fans eigentlich am liebsten. Und sie mögen seine Interpretationen von Welthits der Fünfziger- bis Achtzigerjahre.

Diese stehen heute oft im Mittelpunkt seiner Auftritte. "Ich habe gut 1000 Titel im Repertoire", sagt er und meint nach skeptischen Blicken seines Gegenübers, es könnten vielleicht auch nur 700 sein. Alle Texte, auch die lyrischen von Bob Dylan oder Paul Simon, kann er auswendig. Es muss eben alles stimmen, damit es die Zuhörer von den Sitzen reißt. Und Rap und überhaupt die heutige populäre Musik? Byron presst die Lippen zusammen: "Kommt alles aus dem Computer. Das klingt doch wie Endlosschleifen", sagt er, der sich jedoch nicht generell aktuellen Musikstars verschließt wie Pink oder den Red Hot Chili Peppers: "Die können singen, haben gute Stimmen, und es gibt eine Melodie und nicht nur hämmernden Rhythmus." Melodie und Gesang, der unter die Haut geht, sind das Hauptanliegen seines musikalischen Schaffens. Das hat ihn bekannt gemacht, dafür werden Feuerzeuge angeknipst.

Manchmal hat Byron trotzdem starke Sehnsucht nach Milwaukee, seinen Freunden, der Familie, den Musikkollegen. Und das nach all den Jahren. 1985 nämlich ist er mit Frau und Tochter "ausgewandert nach Deutschland", wie er lächelnd erzählt. Nicht nur wegen seiner deutschen Vorfahren, der Familie Wiemann aus Stettin und Rothenburg ob der Tauber, sondern wegen der damals herrschenden politischen Verhältnisse mit dem als unberechenbar und gefährlich geltenden Präsidenten Ronald Reagan. Byron hat sich schnell in Europa verliebt, die kleinen Straßen und Häuser, aber gestaunt über die so ernst blickenden Leute und ihre Zurückhaltung gegenüber Fremden.

Wenn Byron heute auftritt, ist niemand zurückhaltend, sondern zeigt mit Pfiffen und Rufen seine Begeisterung bei den vielen Gastspielen landauf und landab. Fühlt sich der Weitgereiste in Seeshaupt denn überhaupt zu Hause? "Ich wüsste nicht, wo ich sonst wohnen sollte", sagt er und verrät aber nach Wisconsin seinen zweiten Sehnsuchtsort: Kreta. Dort - "in Seeshaupt Süd" - wird er schon von seinen griechischen Fans erwartet.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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