Früher war das mit den Kameras bestimmt eine angenehme Sache für ihn. Im Dezember 1997 etwa, nach seinem Kopfballtor für Schalke gegen Borussia Dortmund kurz vor Schluss, als der Torwart zum umjubelten Torschützen wurde. Und natürlich bei der Weltmeisterschaft 2006. Zwei gehaltene Elfmeter im Viertelfinale gegen Argentinien, dank des legendären Zettels. Völlig verdient stand er damals im Blitzlichtgewitter. Jens Lehmann, Fußballheld der Nation.
Am Freitagvormittag sind die Kameras wieder auf Lehmann gerichtet. Aber diesmal sieht es nicht so aus, als würde er es genießen. Mal blickt er, der das doch eigentlich gewohnt ist, auf den Boden, mal ins Leere. Kein Lächeln, kein Wort. Minutenlang ist nur das Klicken der Kameras zu hören, auch die Fotografen verrichten ihre Arbeit im Stillen. Dann erst werden sie und die Fernsehleute aus dem Saal gebeten. Der Richter betritt den Saal.
Jens Lehmann, 54, einst als Torwart unter Vertrag bei Vereinen wie Arsenal London, Borussia Dortmund, Schalke 04 und dem VfB Stuttgart, steht mal wieder vor Gericht. Und wie im vergangenen Dezember geht es auch diesmal um die Sache mit dem Dachbalken und der Kettensäge. Damals verurteilte ihn das Amtsgericht Starnberg wegen Sachbeschädigung, Beleidigung und versuchten Betrugs zu einer Geldstrafe von 210 Tagessätzen à 2000 Euro, also insgesamt 420 000 Euro. Lehmann, beruflich damals nach eigenen Angaben als „arbeitsloser Fußballtrainer“ unterwegs, hat laut Gericht den Dachbalken an der Garage seines Nachbarn mit einer Kettensäge bearbeitet, weil ihn das Gebäude störte. Auch dabei wurde Lehmann offenbar eine Kamera zum Verhängnis: Zwar hatte Lehmann daran gedacht, das Kabel der Überwachungskamera an der Garage zu kappen. Allerdings lief das Gerät akkubetrieben weiter und filmte das Geschehen auf dem Nachbargrundstück.
Wenige Monate zuvor hatte er laut Richterspruch einer Polizistin eine „Fehlschaltung im Gehirn“ attestiert und sie als „durchtriebene Lügnerin“ bezeichnet. Und dann sind da noch die Parkgebühren am Flughafen: Die soll Lehmann geprellt haben, indem er „Stoßstange an Stoßstange“ hinter einem vorausfahrenden Auto durch die Schranke gefahren war, ohne sein Parkticket zu bezahlen.
Lehmann hat im Dezember viel versucht zu erklären. Er hat eingeräumt, sich auf dem Nachbargelände aufgehalten zu haben. Aber daran, dass der Dachbalken Bekanntschaft mit seiner Kettensäge gemacht hat, konnte er sich angeblich nicht mehr erinnern. Die Vorwürfe? „Rufmord“ und „Verleumdung“. Die Polizistin wollte er nicht beleidigt haben. Und die Geschehnisse im Parkhaus sollen auch auf ein Missverständnis zurückzuführen sein.
Am Freitag tritt Lehmann ganz anders auf. Sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft haben gegen das Starnberger Urteil Berufung eingelegt, weshalb der „Kettensägen-Prozess“, wie ihn der Boulevard getauft hat, vor dem Landgericht in München neu aufgerollt wird. Vier Verhandlungstage sind angesetzt, am Ende wird die Verhandlung gerade einmal zwei Stunden dauern. Das liegt auch an Lehmann. Denn der Ex-Profi schweigt. Keine Angaben zur Sache, keine Rechtfertigungsversuche, kein letztes Wort.
Dafür haben sein neuer Verteidiger Florian Ufer und er im Vorfeld der Verhandlung auf eine Verständigung mit Gericht und Staatsanwaltschaft abgezielt. Kern der Abmachung: Lehmann akzeptiert den Schuldspruch für den angesägten Dachbalken und die Manöver im Parkhaus. Im Gegenzug spielt die Beleidigung keine Rolle mehr für den Urteilsspruch. Und weil das Amtsgericht Starnberg Lehmanns Vermögensverhältnisse zu hoch angesetzt und unter anderem Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Frau und seiner Tochter nicht berücksichtigt hat, stellt ihm die Kammer des Landgerichts eine deutlich geringere Strafe zwischen 130 und 170 Tagessätzen à 900 Euro in Aussicht. Die Verständigung hat für das Gericht den Vorteil, dass die Vorwürfe nicht noch einmal aufgerollt werden müssen. Es entscheidet nur noch über die Höhe der Strafe. Die beiden Zeugen, die vor der Tür des Gerichtssaals gewartet haben, der Nachbar und die Polizistin, können wieder gehen.
Lehmann hat vor dem Berufungsverfahren mit seinem Nachbarn eine Vereinbarung getroffen und den Schaden beglichen. Das hält ihm die Kammer zugute, auch wenn der Richter bemängelt, das Schriftstück enthalte keine ausdrückliche Entschuldigung für den „zersägten Stützbalken“. Dennoch sei Lehmann die „Verantwortungsübernahme“ anzurechnen. Auch beim versuchten Betrug habe sich der Angeklagte „geständig gezeigt“ und die Kosten im Nachhinein beglichen.
Auch Lehmanns Verteidiger betont, sein Mandant habe mit der Vereinbarung mit seinem Nachbarn sowie der gerichtlichen Verständigung „Einsicht“ gezeigt. Es sei Lehmann zu verdanken, dass das Berufungsverfahren durch die Verständigung zu einem raschen Abschluss gekommen sei. Staatsanwalt Stefan Kreutzer hingegen erinnerte daran, dass sich Lehmann nach wie vor „im unteren Bereich der Strafbarkeit“ nicht an gesetzliche Vorgaben halte, wie „auch jüngste Ereignisse“ zeigten. Lehmann war zu Beginn der Woche nach einem Oktoberfest-Besuch mutmaßlich alkoholisiert von der Polizei aus dem Verkehr gezogen worden. Die Behörden stellten deshalb seinen Führerschein sicher.
Das Gericht verurteilt Jens Gerhard Lehmann wegen Sachbeschädigung und versuchten Betrugs zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 900 Euro. 135 000 Euro muss der 54-Jährige also insgesamt zahlen. Das ist nicht mal ein Drittel des Urteils aus erster Instanz. Lehmanns Anwalt nennt die Entscheidung „ein sehr gutes Ergebnis“.
Lehmann nimmt den Richterspruch ohne jede Regung zur Kenntnis. Und ohne irgendeine Kamera um sich herum.