Emanzipation:Die Frauenrechtlerinnen vom Haus Buchenried

Haus Buchenried der VHS München

Der Altbau von Haus Buchenried in Berg gehört heute der Volkshochschule München.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Fund gilt als Sensation: Eine Historikerin entdeckt auf der Fraueninsel zwei Gästebücher, die Auskunft über Frauenrechtlerinnen und Künstler geben, die sich vor 100 Jahren im heutigen Haus Buchenried in Leoni trafen.

Von Astrid Becker

Marie Haushofer, Emma Merk und Carry Brachvogel - diese Schriftstellerinnen wurden als führende Köpfe der Münchner Frauenbewegung prominent. Dass sie sich aber regelmäßig in der Villa Weinmann am Starnberger See getroffen haben, dürfte bislang unbekannt gewesen sein. Nun sind jedoch zwei lange Zeit verschollene Gästebücher aufgetaucht, die belegen, wie häufig die Künstlerinnen im Altbau des heutigen Hauses Buchenried waren, der heutigen Außenstelle der Münchner Volkshochschule im Berger Ortsteil Leoni. Entdeckt hat die Gästebücher die Münchner Literaturwissenschaftlerin und Forscherin Ingvild Richardsen. Der Fund wird als historische Sensation gesehen.

Es war reiner Zufall, der die beiden wertvollen Bände der Wissenschaftlerin die Hände gespielt hat. Richardsen beschäftigt sich schon viele Jahre mit der Münchner Frauenbewegung, die sie als führend für ganz Deutschland bezeichnet. Ihren Anfang nahm die Initiative 1894, ihr Ende fand sie 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Richardsen hat sich umfassend mit den Protagonistinnen befasst: Im Zentrum stand oft Marie Haushofer, Enkelin des Landschaftsmalers und Gründers der Frauenwörther Künstlerkolonie im Chiemsee, Maximilian Haushofer. Der Name ist im Fünfseenland tief verankert - die Familie besitzt noch heute den Hartschimmelhof bei Pähl.

Haus Buchenried der VHS München

Im Eingang der Villa begrüßt Hausleiter Christian Haager die Wissenschaftlerin und Buchautorin Ingvild Richardsen, die die Folianten gefunden hat.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Richardsens Recherchen zu Filmen, Vorträgen, Büchern und der Ausstellung "Evas Töchter", die im vergangenen Jahr im Hildebrandhaus der Monacensia zu sehen war, führten sie nicht nur regelmäßig nach Pähl, sondern auch auf die Fraueninsel. "Dort habe ich mich dann in den Inselwirt eingemietet", erzählt die Wissenschaftlerin. Eines Tages habe die Wirtin dann mal gefragt, ob sie ihr etwas zeigen dürfe. Die Hausherrin schleppte zwei schwere Folianten an, und als Richardsen sie aufblätterte, wusste sie, dass sie etwas sehr Wertvolles entdeckt hatte. Gleich auf der ersten Seite des einen Bandes ist eine Zeichnung zu sehen, die auf die Villa Weinmann am Starnberger See hindeutet, an anderer Stelle liest man "Hätt' ich mich eingeschrieben, so oft war ich zu Gast, wär' keine Seit' geblieben, ohn' meinen Namen fast". Dieses Gedicht hat die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Emma Haushofer-Merk in einem der beiden Bände im Jahre 1924 handschriftlich verfasst und auch unterzeichnet.

Auch ihre Stieftochter, die Malerin Marie Haushofer, hat sich immer wieder in den Gästebüchern verewigt. Zum Beispiel am 27. Juni 1918 mit dem Zusatz "immer noch im Weltkrieg!" Auch sie dichtete: "In diesem Hause liebt man Kunst, die Hausfrau schenkt ihr Lieb' und Gunst, und ganz besonders rühmend sprach man heut' von Meister Feuerbach: Sein Riesenbild ganz winzig klein mal ich drum in das Buch hinein: An seinem Brunnen sitzt Hafis, die schönen Damen vis-a-vis..." Marie Haushofer spielt damit auf das Gemälde von Anselm Feuerbach "Hafis am Brunnen" aus dem Jahre 1866 an, das heute in der Sammlung Schack in München hängt. Die Malerin hatte sich zur Zeit ihrer Widmung längst auf das Kopieren alter Meister verlegt. Marie Haushofer war bereits seit 1894 Mitglied in der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau und engagierte sich auch in der bürgerlichen Frauenbewegung Bayerns - der übrigens auch ihr Vater Max angehörte, der einerseits Professor für Nationalökonomie und Statistik an der TU München war, andererseits aber auch mit dem Roman: "Das Planetenfeuer" als Schriftsteller berühmt wurde.

Ebenfalls ständiger Gast in der Villa Weinmann war die Autorin und Frauenrechtlerin Emma Merk. Sie war wie der Dichter Rainer Maria Rilke, Carry Brachvogel oder Marie Haushofer eng mit Julie Weinmann befreundet, der die Villa zu dieser Zeit gehörte. Julie Weinmann hatte das Haus von ihrem Mann geerbt, dem Pasinger Papierfabrikdirektor Louis Weinmann. Die Villa ließ das jüdische Ehepaar Weinmann 1882 errichten, nachdem sie fünf Jahre zuvor das gesamte Areal erworben hatten. Heute dient es als Seminarzentrum der Münchner Volkshochschule am Starnberger See. In dieser malerischen Lage stand bereits eine Villa, die der Eisenbahnpionier Johann Ulrich Himbsel 1827 hatte erbauen lassen und die schnell zum Treffpunkt Münchner Künstler wurde. Wilhelm von Kaulbach hatte dort sogar zeitweise gelebt. 1866 wurde die Himbsel-Villa und das gesamte Gelände an den Unterhaltungsschriftsteller Friedrich Wilhelm Hackländer verkauft. Nach dessen Tod ging das Grundstück an die Familie Weinmann, in der zweiten Villa nebenan gingen dann die Protagonistinnen der Frauenbewegung ein und aus.

Die Eigentümer

Das Gelände, das heute Sitz des Seminarzentrums "Haus Buchenried" der Münchner Volkshochschule ist, gehörte von 1919 bis 1928 dem Frankfurter Fabrikantenehepaar Johanna und Karl Weinreben. Noch ist nichts Näheres über diese Zeit bekannt. Vermutet wird aber, dass die Weinrebens ebenfalls wie die Weinmanns eine jüdische Familie waren. 1928 übernahm der Nürnberger Kaufmann Rudolf Sigi kurzzeitig das Anwesen, er behielt es aber wenige Monate. 1933 wurde es dann Eigentum des renommierten Münchner Verlagsbuchhändlerpaares Kurt und Elisabeth Wolff. Die Wolffs verlegten Autoren wie Franz Kafka, Heinrich Mann, Georg Trakl, Karl Kraus und Robert Walser. Kurt Wolff musste 1938 mit seiner zweiten Ehefrau Helen nach Frankreich fliehen. Nach mehreren Internierungen gelang ihm 1941 die Flucht nach New York. abec

Nachdem Richardsen die beiden Gästebücher ausgiebig studiert hatte, beließ sie sie zunächst noch auf der Fraueninsel. Als sie ein Jahr später wegen einer Besprechung ins Haus Buchenried kommt, fragt sie dessen Leiter, Christian Haager nach der Villa Weinmann: "Mir kam das alles so bekannt vor. Ich war zwar als Kind oft bei meiner Verwandtschaft in Berg, aber ich dachte, das alles hast du doch schon mal gesehen, aber nicht hier", erzählt sie. Also habe sie Haager gefragt, wo die Villa sei. Das Treffen fand auf der Sonnenseite vor dem Haus statt, also dem Altbau - und so fiel Haagers Antwort recht kurz aus: "Hier, Sie sitzen auf der Terrasse."

Sprachlos sei sie zunächst gewesen, dann habe sie Haager die ganze Geschichte erzählt. Gemeinsam fuhren sie später auf die Fraueninsel, überzeugten die Wirtin, die Bände dem Münchner Stadtarchiv zu überlassen. Dort werden sie nun digitalisiert, weil sie nach Einschätzung des Archivs mit ihren vielen Gedichten, Musiknoten, Zeichnungen als "wirkliche Rarität" angesehen werden - und, laut Haager, als "eindrucksvolles Zeugnis des reichen kulturellen und insbesondere jüdischen Lebens am Starnberger See" gelten. Ihr Inhalt soll nun noch weiter analysiert und bewertet werden.

Um die Münchner Frauenbewegung und ihre Protagonistinnen geht es auch bei der Tagung "Wir schaffen uns selber unser Recht" im Haus Buchenried von 17. bis 19. Januar 2020. Referentin ist Ingvild Richardsen, deren neuestes Buch darüber "Leidenschaftliche Herzen, feurige Seelen" am 25. September erscheint. Auf dem Programm steht auch eine literarische Matinee mit der österreichischen Schriftstellerin Gertraud Klemm. Informationen und Anmeldung unter https://www.mvhs.de/programm/themen/haus-buchenried/.

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