Nähert man sich in diesen Wochen dem Haus der Landshammers in Weßling zu Fuß, tut man gut daran, sich zu beeilen. Wer nur kurz innehält, wird von den Mücken regelrecht überfallen. Zu Tausenden fliegen die Insekten surrend durch die Luft, um sich bei der nächsten Gelegenheit auf ihr Opfer zu stürzen. Das Haus der sechsköpfigen Familie am Waldrand scheint die kleinen Insekten besonders anzuziehen.
Die Familie versucht, der Mückenplage irgendwie Herr zu werden: Sie sind gerüstet mit den üblichen Sprays und elektronischer Fliegenpatsche, an den Fenstern sind Gitter angebracht, die Terrasse ist mit einem weißen, engmaschigen Netz umhangen, und auf dem Terrassentisch steht ein Gerät, das die Mücken fernhalten soll. Es setzt einen für Menschen nahezu geruchslosen Abwehrstoff frei; so kann man zwischendurch wenigstens kurz an die frische Luft, ohne sich mit Mückenspray einzusprühen.
Außerdem geht Familienvater Florian Landshammer jeden Abend durch die Kinderzimmer, um möglichst alle Mücken zu erwischen. Das ist natürlich unmöglich; trotz aller Bemühungen bleiben immer ein paar Insekten übrig und stechen zu. Jedes der vier Kinder hat mittlerweile jeweils mehr als 30 Stiche. Irgendwann habe sie aufgehört zu zählen, erzählt die Mutter Romy Landshammer. „Die Stiche schauen aus wie Windpocken“, sagt sie.
Der Alltag der Familie ist damit immer wieder eingeschränkt: tagsüber Gassigehen in T-Shirt, kurzer Hose und Badeschlappen? Das war einmal. Bei 30 Grad im Schatten sind inzwischen Regenjacke, Schal und Kopfbedeckung angesagt. Romy Landshammer klagt: „So schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie“. Wegen des feucht-milden Wetters haben es die Mücken in großen Teilen Süddeutschlands besonders gut. Normalerweise schlüpfen die Mücken erst Anfang Mai, diesmal hat die Saison drei bis vier Wochen früher schon im April begonnen. Nach Starkregen und Überschwemmungen steht auf etlichen Flächen im Fünfseenland immer noch das Wasser. Das sind ideale Brutbedingungen; auf diesen Flächen legen die Mückenweibchen millionenfach ihre Eier ab.
Derzeit breiten sich nach Angaben des Bayerischen Umweltministeriums vor allem die Arten Aedes vexans und Aedes sticticus aus, die als Überschwemmungsmücken bekannt sind. Außerdem gibt es noch die Waldmücken, Wiesenmücken und Hausmücken. Insgesamt existieren laut der Biologin und Mückenexpertin Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) 52 Mückenarten in Deutschland, weltweit seien es wohl 3700.
Günstiges Mückenspray für Gastwirte
Der frühe Saisonstart und die große Zahl der Mücken hat auch die Tourismusbranche und die Gastronomie alarmiert. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga in Bayern hat für seine Mitglieder eine Mückenschutz-Aktion gestartet. Gastwirte und Hoteliers können bis Ende September zu Sonderkonditionen Mückenspray kaufen. Umsatzeinbußen sollen verhindert werden.
Dabei haben sich die schlimmen Befürchtungen in der Branche meist nicht erfüllt: Till Weiß, der Wirt des Augustiner am Wörthsee, hält die Lage für „aushaltbar“, wie er sagt. Obwohl sein Lokal direkt am Wasser liegt und es Anfang Juni durchaus schwierige Wochen gegeben habe, sei die Terrasse jetzt wieder bis 22 Uhr voll. Die Gäste seien mittlerweile vorbereitet und bringen bei ihren Besuchen selbst Mückenspray mit. Zudem hat Weiß Blaulichter für das Restaurant gekauft. Etwas abseits vom See beim Hotel Garni Jakl-Hof an der Dorfstraße im Ort zeigt sich ein ähnliches Bild: Für die Betreiberin und Dehoga-Kreisvorsitzende Claudia Aumiller ist derzeit „alles normal“. Wegen der Mücken kämen nicht weniger Gäste. Wenn gewünscht, würden sie jederzeit Spray vom Hotel bekommen.
Auch am Starnberger See scheint die Situation ertragbar: Auf das Starnberger Seebad habe die Mückenplage bisher keine Auswirkung, sagt Betriebsleiter Christian Herrmann. „Das Seebad ist nach wie vor gut besucht“, berichtet er. Auch Renate Schöpf von der Touristeninformation Tutzing berichtet, dass sich bei ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen bis jetzt noch keine Gäste beschwert hätten.
Lieferengpässe bei den Apotheken
In anderen Bereichen kurbeln die lästigen Insekten sogar das Geschäft an. Von einer erhöhten Nachfrage für Mückenschutzprodukte berichtet Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands Bayern. Er persönlich habe sogar schon gesehen, wie eine Kassiererin wegen des Mückensprays persönlich angegangen worden sei. Allerdings seien die Sprays „nicht das neue Toilettenpapier“, sagt er und spielt damit auf die zeitweise leeren Regale während der Corona-Pandemie an. Viele Firmen hätten nach der Pandemie ihre Logistik verbessert. Laut einer Umfrage des Handelsverbands entfallen allein 40 Prozent der Hochwasserschäden auf Oberbayern. Dort sei nun auch die Mückenplage besonders schlimm.
Die erhöhte Nachfrage ist auch bei Apotheken am Ammersee angekommen: Helen Brugger in Herrsching berichtet, dass der Bedarf an Produkten wie Mückensprays oder heilenden Cremes für Stiche im Juni doppelt so hoch gewesen sei wie in den Jahren zuvor. Die Filialleiterin der St.-Nikolaus-Apotheke und der See-Apotheke spricht sogar von Lieferengpässen: Tagesaktuell seien immer mal wieder Produkte nicht verfügbar, Liefermengen fielen sehr unterschiedlich aus. Trotzdem seien ihre Apotheken komplett ausgestattet. „Ich bin optimistisch, dass wir nicht auf null gehen“, sagt Brugger. Im Klinikum in Starnberg sind laut Pressereferent Petr Lehr keine Auswirkungen zu spüren. Allergische Reaktionen seien selten und in der Regel unproblematisch. Allerdings besitze das Krankenhaus auch keine Dermatologie.
Bti-Einsatz in Herrsching und Wörthsee abgelehnt
Wegen des hohen Mückenaufkommens am Ammersee hatte die FDP-Fraktion im Herrschinger Gemeinderat beantragt, einen Bürgerentscheid über den Einsatz des Biozids Bacillus thuringiensis israelensis (Bti) einzuleiten. Allerdings vergeblich. Ihr Antrag wurde mit 21:2-Mehrheit abgelehnt.
Grundlage für seinen Einsatz ist eine Kartierung der Brutstätten. Einmal in den kartierten Gebieten ausgebracht, werden die Eiweißkristalle von den Larven der Überschwemmungsmücke aufgenommen und zerstören ihre Darmwand, die Insekten sterben. Andere Arten wie etwa die Zuckmücke würden durch den Einsatz des Mittels nicht beeinträchtigt, betont FDP-Gemeinderat Alexander Keim. Er hat bereits die Mückenplage von 2019 mitbekommen und war schockiert, dass seine Kinder nur eingesprüht an die frische Luft konnten. Daher ist er 2020 in den Verein „Mückenplage? Nein, danke!“ eingetreten.
Für den Einsatz von Bti führt er an, dass der Wirkstoff am Chiemsee und Oberrhein zum Einsatz komme und es keinen Nachweis darüber gebe, dass eine andere Spezies geschädigt werde. Sogar das Bayerische Umweltministerium habe sich für den unbürokratischen Einsatz des Mittels in Regionen ausgesprochen, in denen aufgrund von Hochwasser besonderer Handlungsbedarf bestehe. Zudem sei das Biozid günstig zu bekommen. Für eine Saison fielen laut Keim lediglich Kosten von 30000 Euro an. Das sei jedenfalls günstiger, als wenn die Herrschinger Hunderte Euro für Mückenspray ausgeben.
Allerdings blieb der Antrag ohne Erfolg: Nur Keim und sein Fraktionskollege Johannes Puntsch sprachen sich für den Bürgerentscheid aus. Die anderen Gemeinderäte stimmten parteiübergreifend aus verschiedenen Gründen dagegen: Die Kosten für eine Kartierung seien zu hoch, viele der anvisierten Flächen stünden unter Naturschutz, und Überschwemmungsgebiete seien bislang nicht ausgewiesen. Aus ähnlichen Gründen hat sich auch die Gemeinde Wörthsee gegen den Einsatz des Biozids entschieden.
Dies dürfte ganz im Sinne vom Bund Naturschutz in Bayern gewesen sein. Der Verein sieht den Bti-Einsatz kritisch: Er hebt vor allem die Funktion der Mücken als Nahrung für Fische, Vögel und Fledermäuse hervor. Zudem sei das Mittel ineffektiv, schließlich kämen Stechmücken nicht nur in freien Gewässern vor, sondern auch in Pfützen, feuchten Wiesen und Wäldern, in Kellern, Regentonnen oder Gartenteichen. Eine Bekämpfung der Stechmücken an Gewässern führe daher laut Bund meist zu keinem durchgreifenden Erfolg. Versuche hätten ferner ergeben, dass bei einer regulären Bti-Anwendung mindestens 50 Prozent der Zuckmückenlarven getötet würden; diese sollten eigentlich verschont bleiben. Sogar das Umweltministerium bezweifelt die Effektivität des Mittels, obwohl es sich eigentlich für seinen Einsatz ausspricht: Durch einen großflächigen Bti-Einsatz könnten Tiger- und Hausmücken im Siedlungsbereich nicht sinnvoll bekämpft werden.
Eine Lösung für künftige Mückenplagen steht damit weiterhin aus. Laut dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wird sich vor allem die Asiatische Tigermücke in Deutschland ausbreiten. Das bestätigt das Citizen Science-Projekt Mückenatlas. Die Tigermücke sei eine von fünf invasiven Arten, die seit 2004 in Deutschland nachgewiesen werden. Wegen der Klimaerwärmung finde sie hierzulande zunehmend passende klimatische Bedingungen, um sich anzusiedeln, zu vermehren und zu überwintern. Ursprünglich stammt sie aus dem asiatisch-pazifischen Raum.
Allerdings könnten die Bürgerinnen und Bürger mithelfen, ihre Verbreitung einzudämmen: Bevorzugt lege die Mücke ihre Eier in kleinere Wasseransammlungen wie beispielsweise Blumenvasen ab. Diese kleineren Wasseransammlungen gelte es nun „mückensicher“ zu machen. Ungenutzte Behälter im eigenen Garten könnte man einfach umdrehen oder entfernen.
Derzeit bestehe bei einem Stich in Deutschland noch kein Grund zur Sorge. Das Risiko, sich dadurch mit einem Krankheitserreger zu infizieren, bewertet das LGL als gering. Jedoch weist es darauf hin, dass dieses Risiko ansteige, wenn sich die Tigermücke weiter ausbreite und stabile Populationen bilde. Bei der fortschreitenden Klimaerwärmung scheint das nicht unwahrscheinlich.