Süddeutsche Zeitung

Mitten in Utting:Aristophanes und die drei Grazien

Ja, die Welt ist ungerecht. Die einen haben zu viel Geld, die anderen nur Ödnis. Und jetzt spielen sie in Utting auch noch ein Stück des Griechen Aristophanes. Es heißt Reichtum. Spinnen die?

Von Gerhard Summer

Manchmal ist es schon ein wenig traurig, weder schön noch reich zu sein. Was also denkt sich der weißhäutige Besucher des Starnberger Strandbads, wenn er abends erst in sein welkes Portemonnaie und dann auf den See schaut, wo gerade ein sonnengegerbter Altstar mit wehendem Haar und drei Grazien im Schlepptau auf seiner hölzernen Motoryacht gen Hafen fährt? Er denkt sich: Verdammt, warum nicht ich? Ja, die Welt ist ungerecht. Sie gibt den Reichen noch mehr Geld und den Armen Kummer. Oder Hüftspeck. In der Regel beides zugleich. Andererseits, was hat es einem Gogol-Schurken wie Pawel Iwanowitsch Tschitschikow schon gebracht, Steuern für "tote Seelen" abzukassieren, also für gestorbene, aber immer noch auf Listen geführte Leibeigene? Oder einem Generaldirektor Heinrich Haffenloher, der in Helmut Dietls "Kir Royal" meint, er könnte alle mit seinem Geld zuscheißen? Ist er wirklich glücklicher geworden, weil er jetzt auf dem Tisch tanzen und sich prächtig amüsieren darf im Kreise seiner Freunde? Womöglich ja. Aber das nur nebenbei.

In Utting ist jetzt zum Glück Schluss mit dieser zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit, denn Florian Münzers kleine Seebühne zeigt Aristophanes Komödie "Plutos - Der Reichtum". Ja wie, darf der das? Griechenland steht varoufakislos vor dem Abgrund. Die Geldautomaten in Athen spucken kaum noch was aus. Und Münzer macht Scherze am Ufer? Noch dazu mit diesem Namen: Münzer, das muss doch ein Pseudonym sein, oder? Nein, stopp. Die Wahrheit ist, dass Aristophanes in seinem letzten Stück nur den einfachen Strandbadgästen zu ein paar Kröten mehr verhilft. Es zeigt sich nämlich: Plutos, der Gott des Reichtums, ist alt und blind, weshalb er die Besitztümer bisher immer sehr willkürlich verteilt hat. Gegen das Alter kann man womöglich nicht viel machen, gegen die Blindheit schon, jedenfalls im Griechenland der Antike: Plutos wird im Tempel des Asklepios geheilt, Penia, die hinterlistige Göttin der Armut, einfach verjagt. Und schon sind die Bedürftigen reich und die Reichen bedürftig. Wunderbar. Konkret heißt das: Der blöde Altstar kann morgen im Tretboot vertrocknen, und die drei jungen Grazien liegen auf unserem Badetuch, oh ja! Rein theoretisch könnte es natürlich auch sein, dass Griechenland reich und Deutschland arm wird. Aber diese Möglichkeit ist jetzt rein, äh: fakultativ.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2015
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