Süddeutsche Zeitung

Mitten in Tutzing:Fiktion und Wahrheit

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Was herauskommt, wenn die CSU eine Idee hat

Von Gerhard Summer

Der Mensch, zumal der männliche, muss nicht immer alles verstehen im Leben, aber schön wäre es manchmal schon. Ist es zum Beispiel erfreulich, wenn auf der Gehaltsabrechnung eine Aufrollungsdifferenz auftaucht? Kann es sein, dass die CSU, die Tugendsamste unter den Parteien, zum bürgerlichen Ungehorsam aufruft? Und: Braucht man für einen fiktiven Wald eine Rodungsgenehmigung? Die letztere Frage ist natürlich leicht zu beantworten: Ja klar, unbedingt! Denn der Wald mag zwar nicht da sein, aber es ist vorstellbar, dass die Bäume noch wachsen. Und wer wie die Tutzinger vorhat, auf einer Wiese, also dem grünen Tor zur Zukunft, einen Beachvolleyballplatz hinzustellen, der muss auch für den Fall gewappnet sein, dass unwirklicher Wald Gestalt annimmt. Das ist womöglich so ähnlich wie bei der Aufrollungsdifferenz, nur andersrum auf der Zeitachse. Jedenfalls untypisch für diesen Ort: Dort werden sonst nur vorhandene Bäume mit Hilfe von Motorsägen imaginär.

Was die CSU und die Aufsässigkeit betrifft, so muss man sagen: Beide liegen in Tutzing erstaunlich nahe beieinander, fast so nahe wie Dichtung und Wahrheit oder Wille und Vorstellung. Und das kommt so: Die Tutzinger Liste wollte ein Ortsschild versetzen lassen, um die Position an die " bestehende und geplante Bebauung" anzupassen. Der Kenner ahnt es: Da ist von fiktiven Wohnungen die Rede. Letztlich scheiterte das Ganze an Gründen, die keiner verstehen muss. Aber die CSU hatte eine Idee: Es könnte doch sein, dass dieses Schild in der Freinacht mir nichts, dir nichts die Position wechselt. Und der Streich unbemerkt bleibt, weil das zuständige Staatliche Bauamt "so lahm ist". So weit ist es gekommen mit der CSU!

Der CDU-Landwirtschaftsminister von Niedersachsen soll vor einigen Jahren einen anderen Weg eingeschlagen haben: Um eine riesige Hähnchenmast genehmigen zu können, die in Forstnähe verboten ist, ließ er einen realen Wald angeblich für nicht vorhanden erklären. So kennt man die CDU: phantasievoll und der Sache dienend. Allerdings kam es dann anders, der Mann ist inzwischen nicht mal mehr fiktiv im Ministeramt, was aus Sicht der Hähnchen und des Waldes kein Schaden sein dürfte.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2015
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